JurPC Web-Dok. 244/2003 - DOI 10.7328/jurpcb/2003189227

Boris Hoeller *

Anmerkung zu Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 24.07.2003 - Az.: 3 U 154/01 - "schuhmarkt.de" = JurPC Web-Dok. 239/2003 (1)

JurPC Web-Dok. 244/2003, Abs. 1 - 9


Mit der Entscheidung "schuhmarkt.de" setzt sich in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung die Entmystifizierung im Domainstreit fort.JurPC Web-Dok.
244/2003, Abs. 1
Noch im Jahre 2000, auf dem Höhepunkt der "new economy" Phase, schien im Streit um die Domain alles möglich. Im Spektrum der "weideglueck.de" (OLG Frankfurt = JurPC Web-Dok. 86/2000) und der "mitwohnzentrale.de I"(OLG Hamburg = JurPC Web-Dok. 34/2000) Entscheidungen kehrte bei Domaininhabern, deren Zahl von im Jahre 1997 ca. 300.000 auf im Jahre 2000 knapp 4 Millionen angestiegen war(2) eine erhebliche Rechtsunsicherheit ein, die sich erst im Lichte der sich ab Mai 2001 in Urteilen konkretisierenden höchstrichterlichen Rechtsprechung legte. Zu dieser Zeit wurde aus dem Werktitel "Schuhmarkt - Trends & Mode" die Klage gegen die Domain "schuhmarkt.de" erhoben.Abs. 2
Das Hanseatische Oberlandesgericht nahm in erfreulicher Deutlichkeit Stellung zu einigen grundsätzlichen Rechtsfragen im sog. Domainstreit.Abs. 3
Bei der Fassung der Klageanträge ist stets darauf zu achten, dass kein "Schlechthinverbot" beantragt wird, denn ein zu weit gefasster Unterlassungsantrag kann auch Handlungen erfassen, die möglicherweise nicht rechtswidrig sind oder für die keine Begehungsgefahr besteht(3). Soweit Benutzungsverbote für konkretisierte Verletzungsformen beantragt werden, gelten die allgemeinen markenrechtlichen Grundsätze. Beim Werktitel ist darauf zu achten, dass die Kehrseite der Schutzgewährung, bei der an die Unterscheidungskraft minimale Anforderungen zu stellen sind, sich im Verletzungstatbestand widerspiegelt. Der Schutz richtet sich zunächst nur gegen unmittelbare Verwechslungsgefahren im engeren Sinne(4) und verfehlt damit die Wirkung gegen funktionsfremde Verwendungen der Zeichenfolge, also solche die nicht werkindividualisierend sind, sondern etwa herkunftshinweisend. Insoweit stellte das Hanseatisches Oberlandesgericht auch zu Recht auf die in Betracht zu ziehenden Verkehrskreise ab, der allgemeine Verkehrskreis der Internetnutzer, der durch die Portaladresse "www.schuhmarkt.de" angesprochen werde und den speziellen Verkehrskreis, der das Branchenblatt "Schuhmarkt - Trends & Mode" kenne. Würde letzterer - überschaubarer - Personenkreis, mit einer E-Commerceplattform unter "www.schuhmarkt.de" konfrontiert, so könne dieser weder überrascht noch enttäuscht sein, wenn sich statt der erhofften Leitseite der Klägerin eine Präsentationsplattform für den Schuhwarenhandel öffnet. Der allgemeine Verkehrskreis hat aufgrund des Gattungsbegriffes von vorneherein - bis auf den Sachzusammenhang Schuhe - keine feste Vorstellung, was ihn unter "www.schuhmarkt.de" konkret erwartet. Bei einer solchen Sachlage ist kennzeichenrechtlich ein Unterlassungsbegehren, selbst bei konkretisiertem Antrag nicht durchsetzbar, es besteht nicht die Gefahr von Verwechslungen.Abs. 4
Das hatte bereits das Landgericht so erkannt, gleichwohl im Rahmen des § 1 UWG eine neue Fallgruppe im Anschluss an die "Class E"-Rechtsprechung (BGH Urteil vom 23.11.2000 - I ZR 93/98 - "Classe E", JurPC Web-Dok. 52/2001 - abgedruckt in: GRUR 2001, 242, 244 = WRP 2001, 160) - des BGH bilden wollen. Dem erteilte das OLG allerdings eine deutliche Absage.Abs. 5
Die Grenze von zulässigen Wettbewerbsverhalten zu unzulässigem unlauteren Wettbewerb ist nach Rechtsprechung des Hanseatischen Oberlandesgerichts erst dann überschritten, wenn ein Mitbewerber gezielt in seiner Entfaltung im Internet gehindert wird, um ihn zu verdrängen, oder wenn er seine Leistung im elektronischen Geschäftsverkehr durch eigene Anstrengung nicht mehr angemessen zur Geltung bringen kann. So hatte schon das Kammergericht in der Entscheidung "bandit.de" (JurPC Web-Dok. 268/2002) judiziert und ebenfalls das Erstgericht aufgehoben. Auch das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken (JurPC Web-Dok. 210/2003) hat jüngst in die gleiche Richtung entschieden.Abs. 6
Die Rechtsprechung des OLG Frankfurt, die eine sehr großzügige Anwendung des § 826 BGB befürwortet(5) und der vereinzelt andere Instanzgerichte und Teile der Literatur gefolgt sind, steht beim BGH nachdem dieser die Revision angenommen hat, zur Überprüfung (Az.: I ZR 207/01 / HV: ca. 1. HJ 2004 - "weltonline.de"). Das Hanseatische Oberlandesgericht meldete bereits in der Entscheidung "schuhmarkt.de" Zweifel an, ob die Anwendung von §§ 1004, 826 BGB überhaupt möglich ist, wenn sich zwei im geschäftlichen Verkehr handelnde Personen im Domainstreit gegenüberstehen(6), konnte dies aber offen lassen, weil zwischen den Parteien unstreitig geblieben war, dass die Registrierung in Nichtkenntnis der Klägerin und deren Werktitel geschah. Hier wird die unausgesprochene Anknüpfung des Hanseatisches Oberlandesgericht an MarkenG § 50 Abs. 1 Nr. 4 ("bösgläubige Markenanmeldung") deutlich. Eine "nachträgliche" Bösgläubigkeit kennt das Markenrecht nicht, da maßgeblicher Zeitpunkt(7) derjenige der Markenregistrierung ist und diese nur zu einer Verwirkung von Markenrechten führen kann, die als prozessuale Einrede vorgebracht werden, nicht aber zur Markenlöschung als solche führen kann.Abs. 7
Nicht problematisiert werden musste im vorliegenden Verfahren die Frage, wie weit die Ansprüche eines Kennzeichenrechtsinhabers gehen, wenn ein Fall der Kollision seines Markenrechts (im weiteren Sinne) mit einer bestimmten Verwendungsform einer Domain vorliegt. Im allgemeinen wurde gefolgert, dass schon der geringste Kollisionsfall zugleich einen Folgenbeseitigungsanspruch nach sich zieht, der einen Anspruch auf Abgabe einer Löschungserklärung gegenüber dem Registrar zum Inhalt hat. Dies erscheint aber im Hinblick auf die Multifunktion der Domain als beweglicher (nichtkörperlicher) Gegenstand des Vermögens, mit der auch andere als markenrechtliche relevante Benutzungshandlungen tagtägliche Praxis ist, rechtssystematisch bedenklich. Die Rechtsprechung hat die ausführliche dogmatische Auseinandersetzung mit dieser Frage bisher gescheut und sich mit kurzen Begründungen auf einen Folgenbeseitigungsanspruch berufen. Der BGH hat sich bereits im Ansatz der Problematik - allerdings nur in der Fallgruppe der Gleichnamigkeit - angenommen; er scheint aber im übrigen die auf lange Sicht nicht durchzuhaltende Rechtsauffassung zu vertreten, dass bereits die Registrierung einer Domain einen Eingriff in Kennzeichenrechte darstellt(8). Dies ist mit Blick auf das Wesen des Kennzeichenrechts, dem eine Doppelnatur immanent ist - Zeichen zum einen in Beziehung zum Zuordnungssubjekt und/oder -objekt zum anderen - systemwidrig. Die Domain hat funktional mehr Aspekte als Kennzeichenrechte aufweisen können. eine Kennzeichenrechtlich neutrale Verwendung durch den Registranten ist nicht ausgeschlossen.Abs. 8
Das Hanseatische Oberlandesgericht hat jedenfalls Recht, wenn es in der erfreulichen Deutlichkeit allgemeinen Benutzungsunterlassungsanträgen im Domainstreit als Regelfall eine Absage erteilt. Gleichwohl schließt sich jetzt für die Zukunft die Folgefrage an: Wenn die Benutzung einer Domain nicht unter jedem Aspekt untersagt werden, kann dann doch ein "Folgenbeseitigungsanspruch" auf Löschung der Domain ausgesprochen werden?
JurPC Web-Dok.
244/2003, Abs. 9

Fußnoten:

(1) Der Autor hat die Beklagte und Berufungsklägerin im Verfahren vertreten
(2) vgl. http://www.denic.de/DENICdb/stats/index.html
(3) so jetzt auch Ingerl/Rohnke Markengesetzkommentar 2. Auflage Nach § 15 Rn. 142
(4) vgl. hierzu etwa BGH NJW-RR 2000, 1062 - "FACTS"
(5) kritisch: Ingerl/Rohnke Markengesetzkommentar 2. Auflage Nach § 15 Rn. 142; zuletzt auch einschränkend auch OLG Frankfurt "drogerie.de" = http://www.bonnanwalt.de/entscheidungen/OLG-Frankfurt-M6U128-01.html = JurPC Web-Dok. 322/2002
(6) vgl. hierzu BGH "shell.de" = JurPC Web-Dok 139/2002
(7) vgl. hierzu Ströbele/Hacker Markengesetz 7. Auflage § 50 Rn. 34 ff.
(8) BGH Urteil vom 26. Juni 2003 - I ZR 296/00 - "maxem.de"
* Boris Hoeller ist Rechtsanwalt bei HOELLER Rechtsanwälte - Homepage: http://www.bonadvo.de.
[online seit: 01.09.2003]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Hoeller, Boris, Anmerkung zu Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 24.07.2003 - Az.: 3 U 154/01 - "schuhmarkt.de" - JurPC-Web-Dok. 0244/2003