JurPC Web-Dok. 44/2023 - DOI 10.7328/jurpcb202338344

OLG Zweibrücken

Urteil vom 26.01.2023

4 U 101/22

Weitersendung eines per Satellit empfangenen Fernseh- oder Hörfunksignals

JurPC Web-Dok. 44/2023, Abs. 1 - 48


Leitsatz:

Die Weitersendung eines per Satellit empfangenen Fernseh- oder Hörfunksignals durch ein Kabelnetz an die Empfangsgeräte der Bewohner einer Senioreneinrichtung mit vollstationärer Altenpflege stellt keine öffentliche Wiedergabe dar, da sich die Weiterleitung nicht an eine unbestimmte Anzahl potentieller Adressaten richtet.

Gründe:

I.Abs. 1
Die klagende GEMA, eine nach dem Verwertungsgesellschaftengesetz (VGG) zugelassene Verwertungsgesellschaft für die urheberrechtlichen Nutzungsrechte an geschützten Werken der Musik, nimmt die Beklagte, die deutschlandweit Seniorenwohnheime betreibt, wegen behaupteter Urheberrechtsverletzung auf Unterlassung in Anspruch.Abs. 2
In der Sache streiten die Parteien darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, in ihrer Einrichtung für Betreutes Wohnen (vollstationärer Pflegebereich) im Pfälzischen D. ohne Erlaubnis der Klägerin über eine Satellitenempfangsanlage Rundfunksignale in die Zimmer der Heimbewohner weiterzuleiten.Abs. 3
Die Beklagte unterhält in D. ein S. Senioren- und Pflegezentrum, in welchem im Pflegebereich insgesamt 88 Einzel- und 3 Doppelzimmer auf insgesamt 4 Wohnbereichen vorhanden sind. Dort leben auf Dauer 89 ausschließlich pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren, die neben der Wohnunterbringung auch umfassend pflegerisch versorgt und betreut werden. Zusätzlich zu dem vollstationären Pflegebereich verfügt die Einrichtung der Beklagten neben den Bewohnerzimmern über verschiedene Gemeinschaftsbereiche wie Speisesäle und Aufenthaltsräume.Abs. 4
Die Beklagte empfängt in der Einrichtung über eine eigene Satellitenempfangsanlage Rundfunkprogramme (Fernsehen/Hörfunk) und sendet diese zeitgleich, unverändert und vollständig durch ihr Kabelnetz an die vorhandenen Anschlüsse für TV/Hörfunk in den Zimmern der Heimbewohner weiter. Auf diese Weise werden sämtliche Bewohner-/Pflegezimmer des Senioren- und Pflegezentrums über die Verteileranlage mit Fernseh- bzw. Hörfunksignalen versorgt.Abs. 5
Die Klägerin nimmt hierzu den Rechtsstandpunkt ein, dass die Kabelweitersendung in der vorbeschriebenen Form eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von § 15 Abs. 3 UrhG und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG (Informationsgesellschaftsrichtlinie) darstelle, die lizenzierungspflichtig sei. Nachdem die Beklagte den Abschluss von entgeltlichen Lizenzverträgen verweigere, sei die in Rede stehende Handlungsweise der Beklagten rechtswidrig und ihr nach § 97 Abs. 1 UrhG zu verbieten.Abs. 6
Das Landgericht Frankenthal (Pfalz) hat mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen (gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, dem Unterlassungsbegehren der Klägerin stattgegeben.Abs. 7
Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter. Sie beanstandet unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Rechtsausführungen aus der ersten Instanz die rechtliche Beurteilung durch die Zivilkammer und hält an ihrem Rechtsstandpunkt fest, dass es sich bei den Bewohnern der Einrichtung um keine „Öffentlichkeit“ im Sinne des Art. 3 der Informationsgesellschaftsrichtlinie handele, diese Personen jedenfalls eine „private Gruppe“ im Sinne der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bildeten und - höchst vorsorglich - jedenfalls kein „neues Publikum“ seien.Abs. 8
Die Beklagte beantragt,Abs. 9
das angefochtene Urteil abzuändern undAbs. 10
die Klage abzuweisen.Abs. 11
Die Klägerin beantragt,Abs. 12
die Berufung zurückzuweisen.Abs. 13
Sie verteidigt das angefochtene Urteil gegen die Angriffe der Berufung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Hinzu komme, dass die Beklagte ihren Kundenkreis stetig erweitere. Nach deren aktuellem Werbeauftritt richte sich ihr Wohnangebot an Interessenten für Langzeitpflege, für Kurzzeitpflege und für Verhinderungspflege. Damit erweitere sich der angesprochene Adressatenkreis um ein Vielfaches gegenüber den 89 Personen, die bei voller Belegung der Einrichtung vollstationär versorgt werden.Abs. 14
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im einzelnen wird auf die in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze nebst den dazu eingereichten Anlagen verwiesen.Abs. 15
II.Abs. 16
Das verfahrensrechtlich bedenkenfreie und somit zulässige Rechtsmittel der Beklagten führt auch in der Sache zu dem erstrebten Erfolg. Die Unterlassungsklage ist abzuweisen, weil sie unbegründet ist.Abs. 17
Die Klägerin könnte von der Beklagten aus § 97 Abs. 1 UrhG die Unterlassung der unlizenzierten Einspeisung der per Satellit empfangenen Rundfunksignale in das Kabelnetz des Seniorenheims verlangen, wenn die Beklagte hierdurch ein urheberrechtlich geschütztes Recht der Klägerin verletzte. Als solches steht hier das Weitersendungsrecht nach § 20b UrhG als Sonderfall des Senderechts nach § 20 UrhG (BGH GRUR 2016, 71 Rn. 29 – Ramses; GRUR 2018, 608 Rn. 21 – Krankenhausradio; GRUR 2020, 1297 Rn. 11 – Rundfunkübertragung in Ferienwohnungen; BeckOK UrhR/Hillig/Oster, 36. Ed. 15.10.2022, UrhG § 20b Rn. 1) in Rede. Das Senderecht ist ein selbstständiger benannter Unterfall des Rechts der öffentlichen Wiedergabe nach § 15 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 3 UrhG. Es umfasst das Recht, das Werk durch Funk der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und unterliegt den allgemeinen Schrankenbestimmungen für die öffentliche Wiedergabe (BeckOK UrhR/Hillig/Oster, 36. Ed. 15.10.2022, UrhG § 20 Rn. 40).Abs. 18
Durch die Weiterleitung der über Satelliten-TV empfangenen Rundfunksignale (Fernsehen und Hörfunk) in dem Senioren- und Pflegezentrum der Beklagten in die Zimmer der Bewohner erfolgt eine Weiterübertragung (BGH GRUR 2018, 608 Rn. 23 – Krankenhausradio, beck-online).Abs. 19
Nach der rechtlichen Bewertung durch das erkennende Berufungsgericht handelt sich bei der hier zu beurteilenden Fallgestaltung indes nicht um eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne der für die Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals allein maßgeblichen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH).Abs. 20
Zu diesem Ergebnis gelangt der Senat aufgrund folgender Erwägungen:Abs. 21
Eine Kabelweitersendung (§ 20b Abs. 1 Satz 1 UrhG) setzt eine öffentliche Wiedergabe voraus. Die Wiedergabe ist nach § 15 Abs. 3 Satz 1 UrhG öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist. Zur Öffentlichkeit gehört nach § 15 Abs. 3 Satz 2 UrhG jeder, der nicht mit demjenigen, der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehungen verbunden ist (BGH GRUR 2018, 608 Rn. 21 - Krankenhausradio, beck-online). Der Begriff der öffentlichen Wiedergabe ist in Übereinstimmung mit der (voll harmonisierenden) für Urheber geltenden Bestimmung des Art. 3 Abs. 1 der RL 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft sowie mit den für Leistungsschutzberechtigte geltenden Bestimmungen des Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 der RL 2006/115/EG zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (kodifizierte Fassung) und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH auszulegen (vgl. BGHZ 206, 365 Rn. 30 ff. = GRUR 2016, 71 – Ramses; GRUR 2018, 608 Rn. 22 - Krankenhausradio, beck-online).Abs. 22
Nach der Rechtsprechung des EuGH zur Beurteilung des Vorliegens einer öffentlichen Wiedergabe (dazu BeckOK UrhR/Götting, 36. Ed. 15.10.2022, UrhG § 15 Rnrn. 25c ff) sind mehrere Kriterien zu berücksichtigen, die unselbstständig und miteinander verflochten sind. Da diese Kriterien im jeweiligen Einzelfall in sehr unterschiedlichem Maß vorliegen können, sind sie einzeln und in ihrem Zusammenwirken mit den anderen Kriterien anzuwenden (EuGH GRUR 2012, 597 – Phonographic Performance; GRUR 2016, 684 Rn. 35-37 – REHA Training/GEMA, beck-online). Bei der Auslegung muss zudem berücksichtigt werden, dass der Begriff „öffentliche Wiedergabe“ weit zu verstehen ist, was sich ausdrücklich aus dem 23. Erwägungsgrund der RL 2001/29/EG ergibt (vgl. EuGH GRUR 2013, 500 – ITV Broadcasting ua mit weiteren Nachweisen; GRUR 2016, 684 Rn. 35-37– REHA Training/GEMA, beck-online).Abs. 23
Nach dem Verständnis des EuGH vereint der Begriff „öffentliche Wiedergabe“ mehrere kumulative Tatbestandsmerkmale, nämlich (a.) eine „Handlung der Wiedergabe“ eines Werkes und (b.) seine „öffentliche“ Wiedergabe (EuGH GRUR 2016, 60 – SBS/SABAM mit weiteren Nachweisen; GRUR 2016, 684 Rn. 35-37– REHA Training/GEMA, beck-online). Als drittes, ungeschriebenes Kriterium muss sich (c.) die Wiedergabe an ein „neues Publikum“ richten (EuGH GRUR 2017, 510 Rn. 27 - AKM/Zürs.net, beck-online).Abs. 24
Im vorliegenden Fall ist zwar das erstgenannte Kriterium der „Handlung der Wiedergabe“ erfüllt, es fehlt aber im weiteren an der „Öffentlichkeit“ derselben.Abs. 25
a. Handlung der WiedergabeAbs. 26
Durch die Übertragung von per Satellit empfangenen Radio- oder Fernsehprogrammen über das in der Einrichtung der Beklagten vorhandene Kabelnetz in die Zimmer der Bewohner wird eine Wiedergabe iSv Art. 3 RL 2001/29/EG durch ein anderes technisches Mittel als bei der ursprünglichen Rundfunksendung vorgenommen (vgl. EuGH GRUR 2017, 510 Rn. 26 - AKM/Zürs.net, beck-online). Dafür reicht es aus, dass die Heimbewohner als Dritte einen Zugang zu dem geschützten Werk oder der geschützten Leistung haben, ohne dass es darauf ankommt, ob sie diesen tatsächlich auch nutzen (BGH NJW 2016, 807 - Ramses Rn. 44 mit weiteren Nachweisen, beck-online). Das ist vorliegend der Fall. Die Beklagte leitet die empfangenen Sendesignale über ihr internes Kabelnetz wissentlich und willentlich in die einzelnen Zimmer der Heimbewohner weiter und verschafft diesen Personen so einen Zugang zu den gesendeten Fernseh- und Hörfunkprogrammen mit urheberrechtlich geschützten Werken oder Leistungen, den sie ohne das Tun der Beklagten nicht gehabt hätten.Abs. 27
b. öffentliche WiedergabeAbs. 28
Ausgehend von den in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Voraussetzungen erfolgt diese Wiedergabe in dem hier interessierenden Senioren- und Pflegezentrum der Beklagten jedoch nicht „öffentlich“.Abs. 29
„Öffentlichkeit“ bedeutet begrifflich eine „unbestimmte Zahl potenzieller Adressaten“ und muss ferner aus einer „ziemlich großen Zahl von Personen“ bestehen (EuGH GRUR 2014, 360 -Svensson ua und GRUR 2017, 790 - The Pirate Bay, jeweils m.w.N.). Es muss sich um „Personen allgemein“ handeln und die Zugänglichmachung darf sich nicht auf besondere Personen beschränken, die einer privaten Gruppe angehören (BeckOK UrhR/Hillig/Oster, 36. Ed. 15.10.2022, UrhG § 20 Rn. 24). Mit anderen Worten: Eine Wiedergabe ist danach nicht öffentlich, wenn der Kreis der Personen abgrenzbar ist und diese persönlich mit- oder untereinander verbunden sind (BeckOK UrhR/Götting aaO UrhG § 15 Rn. 25d).Abs. 30
Der Begriff der „Öffentlichkeit“ ist sonach nur bei einer unbestimmten Zahl potenzieller Adressaten und recht vielen Personen erfüllt (BGH NJW 2016, 807 Rn. 45 - Ramses, beck-online).Abs. 31
Bei 88 Einzelzimmern und 3 Doppelzimmern in der Einrichtung der Beklagten ist das Kriterium der „recht vielen Personen“ zu bejahen.Abs. 32
Aus der Rechtsprechung des EuGH folgt aber nicht, dass der nicht-öffentliche oder private Personenkreis besonders eng zu ziehen ist. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der EuGH und auch der Bundesgerichtshof für eine Reihe von Fallgestaltungen die „Öffentlichkeit“ einer Wiedergabe bejaht haben, so für Hotelgäste (EuGH GRUR 2007, 225 – SGAE/Rafael), für Gaststättenbesucher (EuGH GRURInt. 2011, 1063 – FAPL/Murphy), bei Tonträgern in Hotelzimmern (EuGH GRUR 2012, 597), bei mittels Internetstreamings weitergeleiteten Übertragungen (EuGH GRUR 2013, 500 - ITV Broadcasting/TVC), für Patienten einer Kur-Einrichtung (EuGH GRUR 2014, 473 – OSA/Léčebné lázně), für Patienten einer Reha-Einrichtung (EuGH GRUR 2016, 684 – Reha Training), für das Angebot eines Krankenhausradios (BGH GRUR 2018, 608) und bei der Rundfunkübertragung in Ferienwohnungen (BGH GRUR 2020, 1297).Abs. 33
Den vorgenannten Fallgestaltungen ist jedoch jeweils eine von vornherein hohe Frequenz des Personenwechsels in dem Kreis der als Öffentlichkeit gewerteten Personen eigen. Auch hatten die von einer Weiterleitung angesprochenen Personen in den genannten Fällen schon im Tatsächlichen typischerweise zum einen keine besondere persönliche Verbindung zueinander und wechselten zum anderen zeitlich häufig.Abs. 34
Anders verhält es sich nach dem Dafürhalten des Senats bei der gebotenen wertenden Betrachtung in dem vorliegenden Fall: Die Wiedergabe beschränkt sich hier auf „besondere Personen“ und erfolgt nicht gegenüber „Personen allgemein“, da sie für einen begrenzten Personenkreis vorgenommen wird (vgl. EuGH, ECLI:EU:C:2005: 475 = GRUR 2006, 50 Rn. 31 – Lagardère/SPRE und GVL; BGH NJW 2016, 807 Rn. 63 - Ramses, beck-online).Abs. 35
Die Bewohner des im Streitfall interessierenden Senioren- und Pflegezentrums bilden - ganz ähnlich den Mitgliedern einer Gemeinschaft von Wohnungseigentümern (mit einer Gemeinschaftsantennenanlage) - einen strukturell sehr homogenen und auf dauernden Verbleib in der Einrichtung ausgerichteten stabilen Personenkreis mit eher niedriger Fluktuation. Auch wenn aufgrund des regelmäßig fortgeschrittenen Alters der Kunden der Beklagten, die dort in der Regel ihren letzten Lebensabschnitt verbringen, von einer gewissen Fluktuation in der Belegung der Einrichtung ausgegangen werden kann, ist dieser Umstand letztlich nicht anders zu bewerten als bei einer Wohnungseigentumsanlage mit gelegentlichen Veränderungen im Kreis der Eigentümer. Der Hinweis der Klägerin auf eine Erweiterung des Wohnangebots der Beklagten auf Kurzzeitpflege und Verhinderungspflege rechtfertigt ebenfalls keine andere Bewertung. Denn dies gibt der Einrichtung der Beklagten insgesamt kein entscheidend anderes Gepräge. Dagegen spricht schon der von der Klägerin vorgetragene Internetauftritt der Beklagten, aus dem sich lediglich eine Erweiterung der Einrichtung um 3 Zimmer ergibt. Hinzu kommen, was die erforderliche persönliche Verbindung der Bewohner anbelangt, in einem Senioren- und Pflegeheim - anders als regelmäßig bei einer Wohnungseigentumsanlage - die typischen Gemeinschaftsräume, in denen für die Heimbewohner Möglichkeiten zu gemeinsamen Mahlzeiten, zu persönlichem Austausch und zu sozialem Miteinander eröffnet werden. Dies mag zwar auf den ersten Blick ähnlich sein bei einem Hotelgast (EuGH GRUR 2007, 225 – SGAE/Rafael) oder bei dem Patienten einer Reha-Einrichtung (EuGH GRUR 2016, 684 – Reha Training). Der Unterschied zu den genannten Fallgestaltungen liegt aber in der engeren Verbundenheit der Heimbewohner zueinander über die regelmäßig auf unbefristete Dauer getroffene Wahl der Heimeinrichtung als Wohnung für den letzten Lebensabschnitt. Der Senat übersieht im Rahmen der von ihm angestellten Gesamtbewertung auch nicht den Unterschied zu Wohnungseigentümergemeinschaften mit einer gemeinschaftlichen Antennenanlage, in denen im Ergebnis die einzelnen Eigentümer die Sendungen nur an sich selbst weiterleiten (BGH NJW 2016, 807 Rn. 67 - Ramses, beck-online), wobei aber auch dort über die Möglichkeit der (sukzessiven) Vermietung von Eigentumswohnungen an Dritte sich der potenzielle Empfängerkreis der Wiedergabe deutlich erweitern kann.Abs. 36
Entgegen der Auffassung des Kammergerichts (Beschluss vom 10.6.2020 – 24 U 164/19, GRUR-RS 2020, 28870 Rn. 17) und des OLG Dresden (Endurteil v. 10.1.2023 – 14 U 1307/22, GRUR-RS 2023, 732 Rn. 24) besteht eine Verbindung der Heimbewohner untereinander auch nicht lediglich über die Mietverträge mit dem Heimbetreiber. Die Annahme, „das vorgerückte Alter, die beeinträchtigte Gesundheit und die annähernd gleiche soziale Lage fügen die Bewohner als bloß äußere Anlässe nicht zu einer privaten Gruppe zusammen“ weil „angesichts der besonderen persönlichen Lebenssituation des einzelnen und seiner Mitbewohner, die nur eine sehr begrenzte Kommunikation“ zulasse, sich allenfalls unter einem Teil geringe Gemeinsamkeiten herstellen ließen (so OLG Dresden a.a.O.), stellt die Möglichkeit einer sozialen Interaktion von Bewohnern einer Pflegeeinrichtung für Senioren in unzulässig pauschalierender Weise in Abrede.Abs. 37
Bedacht ist, dass es sich bei den Heimbewohnern nicht um eine bestimmte Gesamtheit potentieller Leistungsempfänger wie bei den Patienten einer Zahnarztpraxis handelt (vgl. EuGH, GRUR 2012, 593 Rn. 95 f. - SCF/Del Corso). Es ist nicht ersichtlich, dass diese außergewöhnlichen, durch das besondere (Vertrauens-)Verhältnis eines Arztes zu seinen Patienten geprägten Umstände in vergleichbarer Weise bei Bewohnern von im Internet beworbenen Zimmern einer Senioreneinrichtung vorliegen (vgl. BGH GRUR 2020, 1297 - Rundfunkübertragung in Ferienwohnungen; so auch ausdrücklich für die hier vorliegende Fallgestaltung: OLG Dresden aaO Rn. 18, beck-online). Die Besonderheit bei dem Besuch einer Zahnarztpraxis besteht darin, dass dort besondere Umstände vorliegen, die durch das besondere Verhältnis eines Arztes zu seinen Patienten geprägt sind (BGH GRUR 2020, 1297 Rn. 27 - Rundfunkübertragung in Ferienwohnungen, beck-online). Nach den Ausführungen des EuGH (aaO) ist davon auszugehen, dass die Patienten eines Zahnarztes auch „bei erfahrungsgemäß vollen Wartezimmern“ üblicherweise eine Gesamtheit von Personen bilden, deren Zusammensetzung weitgehend stabil ist, der Kreis der gleichzeitig in der Praxis eines Zahnarztes anwesenden Personen im Allgemeinen sehr begrenzt ist und die aufeinanderfolgenden Patienten sich in der Anwesenheit abwechseln (BGH GRUR 2016, 278 Rn. 46 - Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen, beck-online). Im Streitfall ist zwar der Personenkreis nicht weniger stabil als der Patientenstamm einer Zahnarztpraxis. Jedoch unterscheidet sich die beschriebene Fallgestaltung vom Streitfall dadurch, dass die Anzahl der Heimbewohner zahlenmäßig bereits weniger stark begrenzt ist, die zudem nicht „unabhängig von ihrem Willen in (den) Genuss“ der Weiterleitung gelangen (EuGH GRUR 2012, 593 Rn. 96, 100 - SCF/Del Corso).Abs. 38
In den Blick genommen hat der Senat, dass die Beklagte die Kabelweitersendung (auch) zu Erwerbszwecken durchführt und damit gegenüber Wohninteressenten wirbt. Zwar ist bei der Beantwortung der streitentscheidenden Frage nach dem Vorliegen einer „öffentlichen Wiedergabe“ dieser Umstand nicht von ausschlaggebender Bedeutung; es hat jedoch gleichwohl beachtet zu werden, ob die Weiterleitung zu Erwerbszecken erfolgt (EuGH, GRUR 2016, 684 Rn. 49 – Reha Training/GEMA; BGH GRUR 2018, 608 Rn. 39 - Krankenhausradio). Hier wirbt die Beklagte ausdrücklich mit der Ausstattung ihrer Zimmer („alle Pflegezimmer möbliert und mit seniorengerechtem Bad, Telefonanschluss, Satelliten-TV-Anschluss und 24-Stunden-Notrufanlage“, vgl. Blatt 12 der eAkte erster Instanz). Damit ist dieses Kriterium erfüllt (anders als im Fall der Wohnanlage: BGH NJW 2016, 807 Rn. 57, beck-online). Es rechtfertigt im Ergebnis gleichwohl keine andere Beurteilung.Abs. 39
c.Abs. 40
Weil es nach dem Vorstehenden nicht mehr darauf ankommt, kann die weitere Frage, ob im Streitfall mit der Weiterleitung auch das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Wiedergabe für ein „neues Publikum“ (vgl. EuGH GRUR 2017, 510 - AKM/Zürs.net) erfüllt wäre, dahingestellt bleiben. Letzteres bedeutet ein Publikum, das von den Urhebern der geschützten Werke nicht berücksichtigt worden ist, als sie deren Nutzung für die Wiedergabe für das ursprüngliche Publikum zugestimmt haben (EuGH GRUR 2012, 166 Rn. 195 - SGAE/Rafael).Abs. 41
III.Abs. 42
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr.10, 711 Sätze 1 und 2 ZPO.Abs. 43
IV.Abs. 44
1. Es besteht kein Anlass, den EuGH gem. Art 267 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV zu einer Vorabentscheidung anzurufen, da es für die Entscheidung nicht auf eine noch zu klärende Auslegung der maßgeblichen unionsrechtlichen Rechtsakte ankommt, sondern um die Subsumtion des zu entscheidenden Einzelfalls unter die durch den EuGH bereits näher konturierten europarechtlichen Vorgaben. Im Streitfall stellt sich keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung von Art. 3 I RL 2001/29/EG oder Art. 8 RL 2006/115/EG, die nicht bereits durch die dazu ergangene Rechtsprechung des EuGH geklärt ist (acte éclairé). Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte, anhand der von ihm aufgestellten Kriterien auf Grund einer umfassenden Beurteilung der gegebenen Situation zu beurteilen, ob in einem konkreten Fall eine öffentliche Wiedergabe vorliegt (vgl. EuGH, ECLI:EU:C: 2012: 140 = GRUR 2012, 593 Rn. 93 – SCF/Del Corso; BGH NJW 2016, 807 Rn. 68 - Ramses, beck-online).Abs. 45
2. Wegen der zu der rechtlichen Beurteilung durch den Senat in Widerspruch stehenden Entscheidungen des OLG Dresden (14. Zivilsenat, Endurteil vom 10.01.2023 – 14 U 1307/22, GRUR-RS 2023, 732, beck-online) und des Kammergerichts (24. Zivilsenat, Beschluss vom 10.06.2020 – 24 U 164/19, GRUR-RS 2020, 28870, beck-online) war zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Revision zuzulassen, § 543 Abs. 2 Nr.2 ZPO.Abs. 46
V.Abs. 47
Den Streitwert hat der Senat für beide Rechtszüge entsprechend der Wertangabe in der Klageschrift (dort S.1 und S.9, jeweils ausdrücklich „6.000,00 €“), festgesetzt. Abweichende Vorstellungen zu einem höheren Streitwert haben beide Parteien nicht geäußert. Ein Anlass für die nicht näher begründete Heraufsetzung durch das Erstgericht (Beschluss vom 13.07.2022, Blatt 252 der eAkte erster Instanz; wobei zunächst der Streitwert gemäß den Angaben der Klägerin festgesetzt worden war, Beschluss vom 07.10.2021, Blatt 37 der eAkte erster Instanz) ist nicht ersichtlich, zumal seitens der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 28.06.2022 auf eine erfolgte Erörterung zum Streitwerts erklärt wurde, „dass sich der einjährige Lizenzbetrag in etwa in der Größenordnung des angegebenen Streitwerts bewegen dürfte“ (Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 28.06.2022, dort S.2, Blatt 189 der eAkte erster Instanz).Abs. 48

(online seit: 28.03.2023)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Zweibrücken, OLG, Weitersendung eines per Satellit empfangenen Fernseh- oder Hörfunksignals - JurPC-Web-Dok. 0044/2023