JurPC Web-Dok. 34/2023 - DOI 10.7328/jurpcb202338334

LG Frankfurt a.M.

Urteil vom 23.02.2023

2-24 S 97/22

Keine anwaltliche Tätigkeit bei Einschaltung eines “Entschädigungsmangers” II

JurPC Web-Dok. 33/2023, Abs. 1 - 25


Leitsatz (der Redaktion):

Die Einschaltung eines „Entschädigungsmanagers“ im Rahmen von Ansprüchen nach der Fluggastrechteverordnung zum Zweck der Generierung einer E-Mail an den Verpflichteten führt nicht zu einer Beauftragung mit einer anwaltlichen Tätigkeit vor Eintritt des Verzuges. Durch die Zurverfügungstellung eines „Entschädigungsmanagers“ als digitale Plattform, mittels derer Fluggäste durch Eingabe von Daten eine E-Mail generieren können, die eine Zahlungsaufforderung beinhaltet, wird keine anwaltliche Tätigkeit erbracht. Denn der Entschädigungsmanager erstellt die E-Mail als automatisiertes Verfahren unter Einsatz eines Algorithmus. Eine anwaltliche Tätigkeit wird hierdurch nicht ausgeführt, weil kein Rechtsanwalt die Berechtigung der Forderung prüft und die E-Mail auch nicht von einem Rechtsanwalt entworfen wird.

Gründe:

I.Abs. 1
Von der Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts und der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen wird abgesehen (§§ 540 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO).Abs. 2
II.Abs. 3
Die zulässige, insbesondere fristgemäß eingelegte und fristgemäß begründete Berufung der Klägerin ist in der Sache auch begründet.Abs. 4
Die Klägerin kann aus abgetretenem Recht ihrer Mandanten und der Fluggäste der Beklagten die Zahlung von 147,56 € verlangen.Abs. 5
Die Beklagte ist verpflichtet, die den Zedenten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu ersetzen.Abs. 6
Der Anspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1, 398 BGB.Abs. 7
Die Zedenten haben ihren Anspruch gegen die Beklagte wirksam durch Abtretungsvereinbarung vom 10.3.2021 an die Klägerin abgetreten.Abs. 8
Die Zedenten haben die Klägerin mit der vorgerichtlichen Geltendmachung ihres Anspruches auf Zahlung einer Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechte-VO wegen der Verspätung des Fluges der Beklagten am 16.7.2018 von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main (…) beauftragt.Abs. 9
Dass die Beklagte zur Zahlung einer Ausgleichsleistung verpflichtet war, steht zwischen den Parteien außer Streit. Denn die Beklagte hat auf die Zahlungsaufforderung der Klägerin die geforderte Ausgleichsleistung unter Abzug der vom Reiseveranstalter geleisteten Minderung an die Zedenten bezahlt.Abs. 10
Die Beklagte befand sich im Zeitpunkt der Beauftragung der Klägerin durch die Zedenten mit der Zahlung der Ausgleichsleistung in Verzug. Denn die Beklagte wurde vor der Beauftragung der Klägerin zur Zahlung der Ausgleichsleistung aufgefordert. Die Beauftragung der Klägerin mit der anwaltlichen Tätigkeit erfolgte erst danach.Abs. 11
Die Zahlungsaufforderung mit Fristsetzung bis zum 6.9.2018 ist in der E-Mail vom 23.8.2018 zu sehen. Die Beauftragung der Klägerin mit der anwaltlichen Tätigkeit erfolgte durch Unterzeichnung einer Vollmacht am 10.9.2018.Abs. 12
Die Zedenten durften sich zur Durchsetzung ihrer Rechte anwaltlicher Hilfe bedienen, nachdem die Beklagte nicht innerhalb der ihr gesetzten Frist Zahlungen geleistet hat. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts war zur Durchsetzung der Ansprüche erforderlich und zweckmäßig.Abs. 13
Dass sich die Zedenten eines von der Klägerin betriebenen Entschädigungsmanagers bedienten, um die Zahlungsaufforderung per E-Mail vom 23.8.2018 zu generieren, führt nicht zu einer Beauftragung der Klägerin mit einer anwaltlichen Tätigkeit vor Eintritt des Verzuges. Indem die Klägerin unter dem Namen „Entschädigungsmanager“ eine digitale Plattform zur Verfügung stellt, mittels deren Fluggäste durch Eingabe von Daten eine E-Mail generieren können, die eine Zahlungsaufforderung beinhaltet, erbringt sie keine anwaltliche Tätigkeit. Denn der Entschädigungsmanager erstellt die E-Mail als automatisiertes Verfahren unter Einsatz eines Algorithmus. Eine anwaltliche Tätigkeit wird hierdurch nicht ausgeführt, weil kein Rechtsanwalt die Berechtigung der Forderung prüft und ein solcher die E-Mail nicht entwirft.Abs. 14
Diese Einschätzung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH zur Einordnung der Bereitstellung eines Computerprogramms als Rechtsdienstleistung.Abs. 15
Zwar hat der BGH angenommen, dass eine Rechtsdienstleistung i.S.d. § 2 Abs. 1 RDG auch darin gesehen werden kann, dass sich ein Rechtsanwalt eines Computerprogramms bedient, das ein Rechtsdokument allein aus der Programmierung einer Software generiert, ohne dass eine individuelle Leistung eines Rechtsanwalts hinzutreten muss (BGH, Urteil vom 9. September 2021 – I ZR 113/20 –, Rn. 26, juris). Allerdings muss für die Qualifizierung als Rechtsdienstleistung hinzutreten, dass die als Rechtsdienstleistung einzuordnende Tätigkeit auf einen konkreten Sachverhalt gerichtet sein muss (BGH, Urteil vom 9. September 2021 – I ZR 113/20 –, Rn. 32, juris). Allein die Bereitstellung einer digitalen Plattform, mittels derer ein Nutzer durch eigenständiges Ausfüllen von Eingabefelder ein Dokument (hier eine E-Mail) erstellen kann, beinhaltet keine Rechtsdienstleistung i.S.d. § 2 RDGAbs. 16
Dieser rechtlichen Einordnung eines Computerprogramms ist zu entnehmen, dass allein in der Bereitstellung einer digitalen Plattform zur Herstellung einer E-Mail mittels eines Algorithmus, die eine Zahlungsaufforderung beinhaltet, keine individuelle Tätigkeit für einen Nutzer erbracht wird. Die individuelle anwaltliche Tätigkeit, die einen Vergütungsanspruch auslöst, wird erst dann geleistet, wenn sich der Nutzer nachträglich an die Klägerin wendet und weitere Tätigkeiten in Anspruch nimmt.Abs. 17
Auf dieser Grundlage ist die Bereitstellung des Entschädigungsmanagers eine Maßnahme der Akquise, mittels dessen die Klägerin eine anwaltliche Tätigkeit anbieten möchte. Der konkrete Anwaltsvertrag wird erst dann geschlossen, wenn der Nutzer auf das Angebot einer Tätigkeit nach Ablauf der Zahlungsfrist eingeht. Erst dann muss der Nutzer des Entschädigungsmanagers davon ausgehen, dass nunmehr eine vergütungspflichtige anwaltliche Tätigkeit erbracht werden soll. Bis zu diesem Zeitpunkt darf ein Nutzer davon ausgehen, dass die Klägerin ein freiwilliges und unverbindliches Hilfsmittel zur Verfügung stellt, damit dieser in Verbindung mit dem Luftfahrtunternehmen treten kann, um Ansprüche zu artikulieren. Demgemäß werden in der E-Mail nur die Daten des Nutzers erfasst und wird diese in seinem Namen versendet. Zudem besteht keine Verpflichtung des Nutzers, sich im Falle einer Nichtleistung durch die Beklagte der anwaltlichen Hilfe der Klägerin zu bedienen. Die E-Mail, die die Klägerin nach Ablauf der Zahlungsfrist an den Nutzer versendet, gibt diesem die freie Möglichkeit, die angebotene anwaltliche Tätigkeit zu nutzen oder sie nicht zu nutzen. Denn um den Anwaltsvertrag zu schließen, muss der Nutzer den Link anklicken und das ihm daraufhin übersandte Vollmachtsformular an die Klägerin zurücksenden.Abs. 18
Da der Anwaltsvertrag, der eine Vergütungspflicht auslöst, erst mit der Rücksendung der Vollmachtsurkunde geschlossen wird, entsteht der Anspruch auf Zahlung eines Anwaltshonorars erst in diesem Zeitpunkt. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Beklagte bereits in Verzug, denn sie wurde durch die durch den Entschädigungsmanager zur Zahlung der Ausgleichsleistung aufgefordert und hat die ihr gesetzte Zahlungsfrist ungenutzt verstreichen lassen.Abs. 19
Der Zinsanspruch der Klägerin beruht auf §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 S. 2, 288 Abs. 1 ZPO. Die Klageschrift wurde der Beklagten am 23.12.2021 zugestellt.Abs. 20
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte als unterlegene Partei zu tragen (§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO).Abs. 21
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.Abs. 22
Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung besteht nicht, nachdem die Beschwer für eine Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO in der Fassung vom 12.12.2019 nicht erreicht wird.Abs. 23
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).Abs. 24
Die überwiegende erstinstanzliche Rechtsprechung stimmt mit der Entscheidung der Kammer überein. Abweichende Rechtsprechung von Berufungsgerichten ist nicht bekannt.Abs. 25

(online seit: 14.03.2023)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Frankfurt a.M., LG, Keine anwaltliche Tätigkeit bei Einschaltung eines “Entschädigungsmangers” II - JurPC-Web-Dok. 0034/2023