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GG Art. 5 Abs. 1 S. 1, GG Art. 5 Abs. 1 S. 2, GG Art. 5 Abs. 2, ZPO § 890 Abs. 1 S. 1 |
Leitsätze der Redaktion |
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Gründe |
I. |
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verhängung eines Ordnungsgeldes wegen Verstoßes gegen ein gerichtliches Verbot der Verbreitung bestimmter Äußerungen. | JurPC Web-Dok. 43/1998, Abs. 1 |
1. Der Beschwerdeführer gibt eine periodische Druckschrift heraus. In der Ausgabe Mai 1996 erschien ein von ihm verfaßter Artikel, in dem er sich mit der Entführung von Jan Philipp Reemtsma beschäftigte. Dieser sei "einer der größten Schweine"; seinen Entführern wünsche er "Viel Glück - wer immer ihr auch seid!". Das Landgericht erließ auf Antrag des Betroffenen eine einstweilige Verfügung, in der es dem Beschwerdeführer unter Androhung eines Ordnungsgeldes verbot, die genannten Äußerungen zu verbreiten oder verbreiten zu lassen. | Abs. 2 |
Der Beschwerdeführer wandte sich nach Zustellung der einstweiligen Verfügung über das Internet an seine Leserschaft mit einem Schreiben, in dem er unter anderem über das Verfügungsverfahren berichtete. Darin heißt es: | Abs. 3 |
| Abs. 4 |
2. Das Landgericht hat auf den Antrag des Äußerungsbetroffenen gegen den Beschwerdeführer wegen schuldhafter Zuwiderhandlung gegen das in der einstweiligen Verfügung ausgesprochene Verbot ein Ordnungsgeld von 5.000 DM verhängt. Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers ist vor dem Oberlandesgericht erfolglos geblieben. | Abs. 5 |
3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. Die angegriffenen Entscheidungen würden der Bedeutung einer freien Berichterstattung nicht gerecht. Als Journalist könne er in gleicher Weise über Gerichtsverfahren in eigener Sache berichten wie über fremde Prozesse. Ebensowenig könne es beanstandet werden, wenn im Rahmen der Pressefreiheit über ein Verfahren berichtet werde, an dem mit Jan Philipp Reemtsma eine Person der Zeitgeschichte beteiligt sei. Zu einer vollständigen Berichterstattung gehöre auch der konkrete Stein des Anstoßes, dessen wörtliche Benennung eine solche Person sich bieten lassen müsse. | Abs. 6 |
II. |
Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Insbesondere sind die Maßstäbe für die Lösung eines Konflikts zwischen der Meinungs- und Pressefreiheit einerseits und der persönlichen Ehre und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von einer Äußerung nachteilig Betroffenen andererseits in der Verfassungsrechtsprechung so weit geklärt, daß sich aus ihnen die Beantwortung der Fragen ergibt, die der vorliegende Fall aufwirft. Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt, weil die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Zivilgerichte haben Bedeutung und Tragweite dieser Grundrechte nicht grundlegend verkannt. | Abs. 7 |
1. Die Entscheidungen beeinträchtigen den Beschwerdeführer zwar nicht in seinem Grundrecht auf Pressefreiheit, wohl aber in seinem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Sie knüpfen eine Sanktion an bestimmte Äußerungen. Solche fallen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, selbst wenn sie sich in einem Presseerzeugnis finden (vgl. BVerfGE 85, 1 (12); Beschluß vom 8. Oktober 1996 - 1 BvR 1183/90 - Werkszeitung). Ob das über das Internet verbreitete Rundschreiben des Beschwerdeführers überhaupt ein Presseerzeugnis ist, kann deshalb offen bleiben. | Abs. 8 |
2. Der Eingriff ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die Meinungsfreiheit findet ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre. Dazu zählt auch die Regelung des § 890 ZPO über die Erzwingung titulierter Unterlassungspflichten, auf die die Gerichte ihre Beschlüsse gestützt haben. Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift ist Sache der Zivilgerichte. Sie kann vom Bundesverfassungsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob die Ausstrahlungswirkung des von der Entscheidung berührten Grundrechts hinreichend beachtet worden ist. Das ist hier der Fall. | Abs. 9 |
a) Das Landgericht und das Oberlandesgericht verstehen als Zuwiderhandlungen im Sinne des § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO solche Äußerungen, die der Verkehr als den untersagten Äußerungen gleichwertig ansieht und bei denen etwaige Abweichungen den Äußerungskern unberührt lassen. Dieses Verständnis schränkt die Meinungsfreiheit nicht übermäßig ein. Würden nur völlig identische Äußerungen die Rechtsfolge des § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO auslösen, könnte die Unterlassungsverpflichtung leicht umgangen werden; ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen dem Persönlichkeitsrecht und der Meinungsfreiheit wäre nicht gewährleistet. | Abs. 10 |
b) Auch bei der Prüfung, ob die Äußerungen im Schreiben des Beschwerdeführers eine Zuwiderhandlung im so verstandenen Sinne darstellen, haben die Gerichte seine Meinungsfreiheit nicht verletzt. Sie verweisen zutreffend darauf, daß er in dem Schreiben die im Unterlassungstitel aufgeführten Äußerungen mit einer geringfügigen Auslassung wörtlich wiedergegeben hat. Dabei mißachten sie nicht den Kontext des Schreibens, sondern berücksichtigen ausdrücklich, daß die inkriminierten Äußerungen referierend wiedergegeben werden. Ihre Auffassung, auch die wörtliche Wiedergabe im Zuge einer Eigenberichterstattung über das Verfügungsverfahren verstoße gegen das titulierte Verbot, die Äußerungen "zu verbreiten", dehnt den Schutz der persönlichen Ehre und des Persönlichkeitsrechts nicht unangemessen auf Kosten der Meinungsfreiheit aus. Dem Beschwerdeführer wird dadurch nicht die grundrechtlich gewährleistete Möglichkeit genommen, über das Verfahren zu berichten und die darin getroffene Entscheidung zu bewerten. Die vorangegangene, gerichtlich verbindlich festgestellte Verletzungshandlung rechtfertigt es aber, dem Titelschuldner bei seiner Berichterstattung Zurückhaltung abzuverlangen. Wie die Grenze zwischen dem Schutz des von einer ehrverletzenden Äußerung Betroffenen und der Meinungsfreiheit des sich Äußernden in dieser Hinsicht zu ziehen ist, obliegt der Beurteilung durch die Zivilgerichte. Jedenfalls im Regelfall gebietet Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht, daß eine Eigenberichterstattung, die durch wörtliche Wiedergabe der untersagten Äußerungen den eingetretenen Verletzungserfolg wieder auffrischt, hingenommen wird. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, daß eine solche Berichterstattung in eigener Sache, zumal wenn sie wie hier ohne inhaltliche Distanzierung von diesen Äußerungen stattfindet, beim Publikum den Eindruck hervorrufen kann, die Äußerungen würden der Sache nach wiederholt. | Abs. 11 |
Daß das Oberlandesgericht seine Beurteilung - wie schon der Beschwerdeführer - auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und nicht auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gestützt hat, ist unerheblich, denn daraus ergeben sich keine veränderten Anforderungen an die Einschränkbarkeit des betroffenen Grundrechts. | Abs. 12 |
3. Die angegriffenen Beschlüsse verstoßen auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die den Beschwerdeführer treffenden besonderen Beschränkungen bei der Berichterstattung knüpfen an seine vorangegangene Verletzungshandlung an und beruhen deshalb auf einem sachlichen Grund. | Abs. 13 |
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
| JurPC Web-Dok. 43/1998, Abs. 14 |
[09.04.98] |
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok., Abs. |
Zitiervorschlag: Bundesverfassungsgericht, Wiedergabe untersagter Äußerungen über das Internet - JurPC-Web-Dok. 0043/1998 |