JurPC Web-Dok. 13/2020 - DOI 10.7328/jurpcb202035113

Wolfgang Kuntz [*]

Kuntz, Wolfgang

Die BGH-Entscheidung “Der Novembermann”
- Auswirkungen auf Abmahnungen
wegen Filesharings? -

JurPC Web-Dok. 13/2020, Abs. 1 - 17


I. Einleitung

Der BGH hat mit Urteil vom 06.06.2019, Az.: I ZR 150/18[1], entschieden: Für den Fall, dass der Rechteinhaber gegenüber unterschiedlichen, rechtlich oder wirtschaftlich nicht verbundenen Unternehmen oder Personen in engem zeitlichem Zusammenhang getrennte, im Wesentlichen gleichlautende Abmahnungen wegen des rechtswidrigen Vertriebs von aus derselben Quelle stammenden Vervielfältigungsstücken derselben Werke ausspricht, können diese Abmahnungen eine Angelegenheit im Sinne des § 15 Absatz 2 RVG darstellen. Die Entscheidung betraf einen Fall, in dem Abmahnungen ausgesprochen worden waren, nachdem die Lizenzen für die Verbreitung von Filmwerken (u.a. „Der Novembermann“) fristlos gekündigt worden waren und die Filmwerke durch den Beklagten dennoch nach Ablauf der Lizenzdauer weiter vertrieben wurden.Abs. 1
Im Folgenden soll untersucht werden, ob diese Entscheidung des BGH auch auf Abmahnungen wegen Filesharings übertragen werden kann.Abs. 2

II. Begründung der BGH-Entscheidung

Der BGH hat in seinem Urteil die Entscheidung des Berufungsgerichts bestätigt, wonach die ausgesprochenen Abmahnungen nur eine Angelegenheit rechtsanwaltlicher Tätigkeit im Sinne des § 15 Absatz 2 RVG darstellten. Nach dieser Vorschrift kann der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern.Abs. 3
Nach der Rechtsprechung des BGH betreffen weisungsgemäß erbrachte anwaltliche Leistungen in der Regel dieselbe Angelegenheit, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit gesprochen werden kann (BGH, Urteil vom 26. Mai 2009 - VI ZR 174/08, AfP 2009, 394 Rn. 23; Urteil vom 12. Juli 2011 - VI ZR 214/10, NJW 2011, 3657 Rn. 22). Ein einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit kann grundsätzlich auch dann noch vorliegen, wenn der Anwalt zur Wahrnehmung der Rechte des Geschädigten verschiedene, in ihren Voraussetzungen voneinander abweichende Anspruchsgrundlagen zu prüfen oder mehrere getrennte Prüfungsaufgaben zu erfüllen hat. Denn unter einer Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne ist das gesamte Geschäft zu verstehen, das der Rechtsanwalt für den Auftraggeber besorgen soll. Sein Inhalt bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen der Rechtsanwalt tätig wird.Abs. 4
Die Angelegenheit ist von dem Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit abzugrenzen, der das konkrete Recht oder Rechtsverhältnis bezeichnet, auf das sich die anwaltliche Tätigkeit bezieht. Eine Angelegenheit kann durchaus mehrere Gegenstände umfassen. Ein innerer Zusammenhang zwischen den anwaltlichen Leistungen ist zu bejahen, wenn die verschiedenen Gegenstände bei objektiver Betrachtung und unter Berücksichtigung des mit der anwaltlichen Tätigkeit nach dem Inhalt des Auftrags erstrebten Erfolgs zusammengehören (BGH, Urteil vom 27. Juli 2010 - VI ZR 261/09, AfP 2010, 469 Rn. 16; Urteil vom 1. März 2011 - VI ZR 127/10, NJW 2011, 2591 Rn. 9; Urteil vom 22. Januar 2019 - VI ZR 402/17, NJW 2019, 1522 Rn. 17, jeweils mwN).Abs. 5
Gegen die Annahme derselben Angelegenheit spreche nicht, dass die Abmahnungen gegenüber verschiedenen Unternehmen und Personen ausgesprochen worden seien und es sich um gesonderte Abmahnschreiben gehandelt habe. Die von der Klägerin ausgesprochenen Abmahnungen hatten das gemeinsame Ziel, der rechtswidrigen Verbreitung von Vervielfältigungsstücken der drei Werke entgegenzuwirken, an denen sie ausschließliche Nutzungsrechte innehat. Die Abmahnungen knüpften im entschiedenen Fall sämtlich an den Umstand an, dass der Lizenzvertrag bezüglich der Filmwerke fristlos beendet worden war, beziehen sich in allen Fällen auf den Vertrieb von DVDs mit den genannten Filmwerken und sind innerhalb eines Zeitraums von wenigen Wochen erfolgt.Abs. 6
Der verfahrensrechtliche Zusammenhang werde nicht dadurch gesprengt, dass bei einem außergerichtlichen Vorgehen gegen verschiedene Rechtsverletzer an jeden Adressaten ein eigenes Abmahnschreiben zu richten sei. Dies gelte insbesondere bei der Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen gegenüber Rechtsverletzern, denen eine gleichgerichtete Verletzungshandlung vorzuwerfen ist, so dass die erforderlichen Abmahnungen einen identischen oder zumindest weitgehend identischen Inhalt haben (vgl. BGH, AfP 2010, 469 Rn. 17; NJW 2019, 1522 Rn. 18, jeweils mwN; OLG Düsseldorf, JurBüro 1982, 1508 f.). Eine wirtschaftliche oder rechtliche Verbundenheit der abgemahnten Unternehmen ist in einer solchen Fallgestaltung nicht erforderlich. Im Streitfall handelte es sich, wie das Landgericht zutreffend entschieden hat, um gleichartige Rechtsverstöße, weil jeweils die Verbreitung von Vervielfältigungsstücken derselben Werke durch Vertriebsunternehmen mit im Wesentlichen gleichlautenden Abmahnungen beanstandet wurden.Abs. 7

III. Übertragbarkeit auf Filesharing-Fälle

Entscheidend für die Übertragbarkeit der Grundsätze der Entscheidung ist die Frage, ob ein innerer Zusammenhang zwischen den erbrachten anwaltlichen Leistungen besteht. Die anwaltlichen Tätigkeiten müssen sowohl inhaltlich als auch der Zielsetzung nach so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit gesprochen werden kann.Abs. 8
Zunächst spricht bereits das Vorgehen zur Ermittlung der Rechtsverletzungen in Filesharing-Fällen dafür. Auf der Grundlage von Untersuchungen durch beauftragte private Ermittlungsunternehmen werden Auskunftsersuchen wegen einzelner urheberrechtlich geschützter Werke gemäß § 101 Absatz 9 UrhG bezüglich der Zuordnung bestimmter IP-Adressen an die zuständigen Landgerichte gerichtet. Auf der Grundlage der Auskünfte mit den zu den IP-Adressen gehörigen Namen der Rechtsverletzer werden sodann die Rechtsverletzer abgemahnt.Abs. 9
Die Vorwürfe gegenüber den Rechtsverletzern sind gleichartig und unterscheiden sich lediglich hinsichtlich der Zeitpunkte und ggf. der Dauer der vorgeworfenen Rechtsverletzungen. Dies bedingt wiederum, dass die Texte der Abmahnungen bis auf die jeweils ausgetauschten persönlichen Daten der Verletzer und der Zeitpunkte gleichlautend sind.Abs. 10
Gemeinsam ist den Abmahnungen auch das Ziel, dem öffentlichen Zugänglichmachen des betreffenden Werkes über Filesharing-Netze entgegenzuwirken. Es steht einer einheitlichen Angelegenheit nicht entgegen, dass sich die Abmahnungen gegen verschiedene Personen richten. Der verfahrensrechtliche Zusammenhang wird nicht dadurch aufgehoben, dass die Abmahnungen gesonderte Schreiben an verschiedene Personen erfordern.Abs. 11
Der erforderliche zeitliche Zusammenhang der Abmahnungen ist dadurch gegeben, dass nur die in engem zeitlichem Rahmen begangenen Rechtsverletzungen der gleichen Werke hierunter gefasst werden.Abs. 12
Es könnte dem entgegengehalten werden, dass damit zwar ein bloßer zeitlicher Zusammenhang besteht, die Auswahl der betreffenden Vorfälle aber aufgrund der vorgeschalteten Ermittlungen der IP-Adressen durch die private Ermittlungsfirma nur einen eher zufälligen und keinen „inneren“ Zusammenhang mit den nachfolgenden anwaltlichen Tätigkeiten begründen. Dagegen spricht aber entscheidend, dass die privaten Ermittlungsfirmen von den Rechteinhabern gerade zu dem Zweck eingesetzt werden, Verstöße aufgrund unerlaubten Filesharings betreffend einzelner geschützter Werke zu ermitteln und die dabei ermittelten IP-Adressen zu anwaltlichen Abmahnungen der Anschlussinhaber führen. Dieser gemeinsame Zweck begründet damit den inneren Zusammenhang mit der anwaltlichen Tätigkeit, stellt sozusagen eine Klammer dar, die die verschiedenen Einzelfälle zusammenhält.Abs. 13
Die Rechteinhaber werden ferner einwenden, dass sie ihren Prozessbevollmächtigten zu keiner Zeit einen einheitlichen universellen Auftrag erteilt haben, so dass die Annahme einer gebührenrechtlichen Angelegenheit nicht in Betracht komme. Die Annahme jedoch, dass der Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten für jede einzelne Abmahnung eine individuelle und einzelfallbezogene Beauftragung zugrunde gelegen habe, ist angesichts der massenhaften Tätigkeit der Abmahnkanzleien im Bereich des Filesharings lebensfremd.Abs. 14
Hinzu kommt: Selbst wenn die abmahnenden Kanzleien zunächst mit der Suche nach Tätern und Tathandlungen beauftragt worden sind und jeweils nach Darlegung der (neuen) Untersuchungsergebnisse über die Vornahme einer (weiteren) Abmahnung entschieden haben, liegt darin noch keine Mehrzahl eigenständiger gebührenrechtlicher Angelegenheiten. Vielmehr sind die im Einzelfall von dem Rechteinhaber getroffenen Entscheidungen über die Vornahme weiterer Abmahnungen mit Blick auf den zuvor ihren Prozessbevollmächtigten erteilten Auftrag, eine Mehrzahl von Tätern und Rechtsverletzungen zu ermitteln, als sukzessiv erweiterter Auftrag im Rahmen eines einheitlichen Gesamtgeschehens zu bewerten.Abs. 15
Daher ist die Rechtsprechung des BGH auf Filesharing-Fälle übertragbar.Abs. 16

IV. Konsequenzen

Die jeweiligen Einzelabmahnungen bilden folglich mit weiteren ausgesprochenen Abmahnungen dieselbe gebührenrechtliche Angelegenheit, so dass die Abmahnkanzleien die Gebühr in dieser Angelegenheit nur einmal fordern dürfen. Es wäre demnach zunächst ein Gesamtgegenstandswert hinsichtlich der gegenständlichen Rechtsverletzung zu berechnen. Für die einzelne Abmahnung würde sich danach der Gegenstandswert nach einer 1,3 Geschäftsgebühr nebst Auslagen und Mehrwertsteuer berechnen, und zwar aus einem Bruchteil von X = abgemahnte Zahl der Verletzungen geteilt durch N = Zahl der insgesamt zu dem Werk in engem zeitlichem Zusammenhang verfolgten Abmahnungen.Abs. 17

Fußnoten:

[*] Wolfgang Kuntz ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht in Saarbrücken und zugleich verantwortlicher Redakteur von JurPC.
[1] JurPC Web-Dok. 125/2019 = https://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20190125

[online seit: 28.01.2020]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Kuntz, Wolfgang, Die BGH-Enscheidung "Der Novembermann" - Auswirkungen auf Abmahnungen wegen Filesharings? - JurPC-Web-Dok. 0013/2020