JurPC Web-Dok. 117/2014 - DOI 10.7328/jurpcb2014297115

Uwe Berlit *

eJustice - was soll denn das? [1]

JurPC Web-Dok. 117/2014, Abs. 1 - 73

 

 
I. EinleitungAbs. 1
Mein Vortragstitel lässt bewusst Raum für unterschiedliche Betonungen.Abs. 2
· Es mag ein „schon wieder" mitgedacht und das „e" in Justice als Laut des Ekels und der Abscheu gesprochen werden. Dies mag tendenziell die Haltung einer Vielzahl von Kolleginnen und Kollegen treffen, die von solider juristischer Arbeit viel und von Technikeinsatz wenig halten, die zur Sicherheit ihre Rechtsprechungsdatei auf DIN A 5-Karteikarten weiterführen, auch sonst ihre Arbeitsabläufe nach dem gewerberechtlichen Vergabegrundsatz „bekannt und bewährt" strukturiert und optimiert haben und sich ansonsten daran erinnern, dass Justiz in den letzten Jahrzehnten mít ZPO-Reformen, neuen Steuerungsmodellen, FGG-Reformen etc. schon viel erlebt und „erlitten", aber all dies auch weitgehend unbeschadet adaptiert hat.Abs. 3
· Der Vortragstitel kann aber auch Neugierde und Aufbruchsstimmung signalisieren. „eJustice" ist offenbar mehr als vereinzelter Einsatz von Technik in der Justiz; das Fragezeichen richtet den Blick auf den möglichen oder gewollten Sinn der mit eJustice verbundenen Umwälzungen von Prozessen und Abläufen in der Justiz. Neben der nach dem Inhalt („was") stellt sich auch die Frage nach dem „warum": Welchen Grund gibt es für Justizangehörige, insbesondere Richterinnen und Richter, sich mit eJustice zu befassen?Abs. 4
Ich bin Anhänger der zweiten Lesart. Nach einem kurzen Blick darauf, was eJustice heute meint (II.), werde ich ihnen einige Gründe vorschlagen, warum Sie, ich, die Justiz insgesamt und insbesondere auch die RichterInnenschaft sich aktiv und konstruktiv mit eJustice befassen sollten (III). Sodann werde ich mit dem Prozessrecht, der richterlichen Unabhängigkeit, der Ergonomie, der Konzeption einer elektronischen Akte und dem Veränderungsmanagement einige der Gestaltungsbereiche und Herausforderungen bezeichnen, die sich auf dem Weg zur Einführung von eJustice ergeben (können) (IV). eJustice ist nämlich kein fertiges Konzept sondern ein Umgestaltungsprogramm, bei dem die Erfindermetaphern in der Rede des Herrn Justizministers durchaus angebracht sind.Abs. 5
Mag auch das „Ob" vorgegeben sein, ist das „Wie" doch aufgegeben. Mein Vortrag will dazu beitragen, Ablehnung zumindest in Skepsis, Skepsis in verhaltene Neugierde, Neugierde in Mitwirkungsbereitschaft und überschäumenden Optimismus in einen gesunden Realismus zu verwandeln.Abs. 6
II. Was meint „eJustice"Abs. 7
Zunächst kurz zum „Was" von eJusticeAbs. 8
eJustice ist ein Sammelbegriff für die Erledigung von Justizaufgaben unter Einsatz von Datenverarbeitungs- und Informationstechnologie. Punktuell ist sie längst Realität in der Justiz. Überlegen Sie kurz, was ein achtstündiger Stromausfall während der üblichen Arbeitszeiten heute schon in ihrem Heimatgericht bewirkte. eJustice meint heute aber – weitergehend – die durch IuK-Technik gestützte Abwicklung aller Kommunikations- und Arbeitsprozesse in der Justiz einschließlich der führenden, also rechtlich verbindlichen elektronischen Gerichtsakte auch in Verfahren der streitigen Gerichtsbarkeit. Frau Freiheit wird näher dies näher beleuchten, die damit verbundenen Probleme sind Gegenstand weiterer Vorträgen dieser Tagung.Abs. 9
Konzeptionell sieht eJustice justizielle Aufgabenerledigung vorrangig unter dem Blickwinkel gestaltungsbedürftiger Organisationsprozesse. Dies leugnet nicht die besondere verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutung von Justiz. eJustice denkt Justiz dabei als Teil eines Gesamtprozesses zur Durchsetzung des Rechts, zur Herstellung und Wahrung des Rechtsfriedens und – wenn alles gut läuft – auch zur „Schaffung von Gerechtigkeit", an dem neben der Justiz und ihrem heterogenen Personal auch die Parteien, die Anwaltschaft, Behörden, Sachverständige und viele anderen beteiligt sind. Sie alle müssen in dem prozessrechtlich gezogenen Rahmen möglichst effektiv miteinander kommunizieren können, um in dem bürokratischen Ablauf, der jedes Gerichtsverfahren auch ist, mit sachangemessenem Aufwand zu einem „gerechten", zumindest Rechtsfrieden stiftenden Ergebnis zu gelangen.Abs. 10
Diese Perspektivenerweiterung durch eJustice legt den Akzent auf die Organisationsgebundenheit und -abhängigkeit spruchrichterlicher Tätigkeit. Dies blendet die individuelle richterliche Unabhängigkeit und Verantwortlichkeit indes nicht aus. Aus der Debatte um die Einführung neuer Steuerungsmodelle (auch) in der Justiz mag als Erkenntnis geblieben sein, dass eine auf Prozesse und Abläufe bezogene Betrachtung quer zu der auf Wahrung verfassungs- und prozessrechtlicher Vorgaben gerichteten Perspektive liegt und nicht schon deswegen sinnlos ist, weil Prozessqualität, Kommunikationspartner und Justizprodukte keine Rechtsbegriffe sind. eJustice beansprucht nicht, justizielle Aufgabenerfüllung vollständig oder in seinem Kern umfassend zu beschreiben. eJustice zielt auf den Modus der Aufgabenerfüllung und die dabei genutzten Informationsmedien und berührt damit Notwendig alle Bereiche der Justiz einschließlich der individuellen richterlichen Arbeitsweise.Abs. 11
III. Fünf Gründe für eine Befassung mit eJusticeAbs. 12
Warum aber sollten sich Justizjuristen – und ich fokussiere meine Antwort wegen des dort vermuteten größeren Skepsispotentials auf diese Teilgruppe – mit eJustice befassen? Als Entscheidungshilfe biete ich Ihnen eine normative, eine justizpolitische, eine richterethische, eine utilitaristische und eine fatalistische Antwort zur Auswahl an.Abs. 13
1. normative AntwortAbs. 14
Für JuristInnen naheliegend und doch höchst voraussetzungsvoll ist die normative Antwort: Das Gesetz will es so. Die RichterInnenschaft ist an Gesetz und Recht gebunden. Diese Bindung ist Grundlage ihrer Legitimation, richterliche Unabhängigkeit setzt Gesetzesbindung voraus. Das geltende Prozessrecht und die stufenweise in Kraft tretenden Änderungen durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs, das Ihnen Ministerialdirigent Ehmann näher vorstellen wird, enthalten eine klare, zeitlich strukturierte Grundentscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers für den elektronischen Rechtsverkehr.Abs. 15
Bei genauer Betrachtung sind diese gesetzlichen Bestimmungen im Detail aber weniger eindeutig. Das Gesetz verlangt von der Richterschaft z.B. keine Befassung mit elektronischem Rechtsverkehr und elektronischer Akte. Es macht stufenweise die externe elektronische Kommunikation mit den „professionellen Justizkunden" verbindlich und ist ohne eine führende elektronische Akte schwerlich denkbar. Verbindliche Vorgaben für die Einführung der elektronischen Akte oder gar ihre Nutzung enthält das Gesetz indes nicht. Der bis zum Bundesgerichtshof getragene Streit um den Ausdruck elektronisch geführter Grundbuchakten bietet hier nur einen Vorgeschmack.Abs. 16
Die normative Antwort greift aus einem weiteren Grund zu kurz. Der Prozessrechtsgesetzgeber musste immer wieder erfahren, dass Justiz ein partiell selbstreferentielles System und in der Lage ist, Veränderungsimpulse des Gesetzgebers selbst normativ zum Thema zu machen und auf teils sehr kreative Weise umgestaltend zu verarbeiten – zumal Justiz selbst darüber befindet, wie diese Steuerungsimpulse anzuwenden und auszulegen sind. Die Veränderungs- und Umstellungsnotwendigkeit, die sich für Arbeitsweise und Abläufe durch eJustice ergeben werden, gehen deutlich über die ZPO- und FGG/FamFG-Novellierungen der vergangenen Jahrzehnte hinaus. Mit dem ERV-Fördergesetz beschreitet eJustice normativ oftmals Neuland. Es sind vielfältige Zweifels- und Auslegungsfragen zu erwarten, die im Interesse effektiver Rechtsschutzgewähr konstruktiv gelöst oder zum Beleg genommen werden können, dass eJustice jedenfalls so, wie der Gesetzgeber sie derzeit angelegt hat, nicht funktionieren kann.Abs. 17
Dieser Befund ist ambivalent.Abs. 18
· Aus der Perspektive der primär zur Vorbereitung der Umsetzung und Einführung berufenen Justizverwaltung(en) bedeutet die notwendige normative Unschärfe, dass bei der durchaus rechtskundigen und beschwerdemächtigen RichterInnenschaft der Verweis auf „das Gesetz" nur begrenzt fruchten wird – und das Gesetz selbst ein gewisses Widerstands-, gar Obstruktionspotential auch weit im Vorfeld maschinenstürmerischen Fundamentalismus birgt.Abs. 19
· Aus der Perspektive einer um ihre Unabhängigkeit besorgten RichterInnenschaft ist die beruhigende Botschaft: eJustice ist und bleibt zunächst einmal „Justiz". Sie bedeutet per se keine Gefährdung richterlicher Unabhängigkeit; die Einwirkungs- und Adaptionsmöglichkeiten sind erheblich.Abs. 20
Für beide Seiten gilt: Das ERV-Fördergesetz ist vom Rechtsstaatsprinzip geforderte notwendige, aber längst nicht hinreichende Voraussetzung für die erfolgreiche Einführung von eJustice.Abs. 21
2. Justizpolitische AntwortAbs. 22
Das nächste Antwortangebot betont die justizpolitische Dimension: eJustice ist erforderlich, um Funktion und Bedeutung von Justiz unter gewandelten Rahmenbedingungen zu erhalten.Abs. 23
Diese Antwort zielt nicht auf eine abstrakte Debatte um Modernisierung und Zukunftsfähigkeit von Justiz oder auf Imagepflege. Es geht um die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit von Justiz in Zeiten von schuldenbremsenbedingter Budgetrestriktionen und demographiebedingter Personalgewinnungsprobleme, von zunehmender Konkurrenz auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt durch Mediation, Schlichtungsverfahren und andere Formen außergerichtlicher Streitbeilegung , die rechtspolitisch teils gefördert werden, aber den „Verfahrens"- und damit den Refinanzierungsmix von Justiz erheblich beeinträchtigen können, von teils spürbar komplexeren Rechtsanwendungsproblemen und zugleich der Bewältigung der Folgeprobleme suboptimaler Gesetzgebung. Der 70. Deutsche Juristentag wird sich in seiner prozessrechtlichen Abteilung mit Teilaspekten dieser Entwicklung befassen. In einem gesellschaftlichen Umfeld, in dem Geschäftsprozesse aller Art mehr und mehr elektronisch abgewickelt werden und wichtige Teile der Anwaltschaft die Vorteile elektronischen Arbeitens längst entdeckt haben, wird zudem Technikzurückhaltung der Justiz zunehmend rechtfertigungsbedürftig. Sie ist auf Dauer rechtspolitisch nicht durchzuhalten und erreicht irgendwann einmal die Grenze der verfassungsrechtlich bedenklichen Erschwerung des elektronischen Zugangs zu Gericht. eJustice ist jedenfalls kein Selbstverwirklichungsprojekt technikverliebter Justizverwaltungen.Abs. 24
eJustice geht es auch um die Wahrung der Eigenlogik justizieller Aufgabenerledigung im Verhältnis zur „Elektronifizierung" der Erledigung von Verwaltungsaufgaben durch eGovernment. Justiz ist – wie etwa bei den neuen Steuerungsmodellen - gut beraten, sich Entwicklungen bei der Erledigung von Exekutivaufgaben nicht zu verschließen, sie aber genau auf die Übertragbarkeit auf die Justiz zu prüfen und entsprechend anzupassen. Dabei gilt es, das zentrale Ziel von Justiz, qualitativ hochwertigen, effektiven Rechtsschutz zu garantieren, auch in der Informationsgesellschaft von morgen und damit unter drastisch gewandelten Rahmenbedingungen zu verwirklichen. Dies wird nicht gelingen, wenn nicht auch die „Mehrwerte" moderner Technik ausgeschöpft werden, und erfordert eine justizspezifische Gestaltung des Technikeinsatzes und der Organisationsabläufe.Abs. 25
Ein Grund, auf die Rationalisierungspotentiale von „Technik" zu setzen, liegt dabei mittelfristig auch in der stärkeren Konkurrenz um qualifiziertes Personal, bei dem Justiz angesichts der derzeitigen Besoldungsstrukturen auf wachsende Probleme stoßen wird. Technikgestützte Rationalisierung und Standardisierung bei äußeren Routineabläufen öffnet die Chance, dass diese Aufgaben auch weiterhin funktionsgerecht erledigt werden und einen weitgehend störungsfreien Rahmen für die richterliche intellektuelle Durchdringung des Sach- und Streitstoffes sichern. eJustice ist auch langfristig nicht notwendig billiger und erfordert zunächst einmal erhebliche Investitionen. Der Mix von lebendiger Arbeit und in Hard- und Software geronnenem Wissen wird sich aber in den sog. Unterstützungsbereichen deutlich verändern und auch die richterliche Tätigkeit nicht unberührt lassen.Abs. 26
Gerade weil es eJustice nicht um eine Automatisierung der spruchrichterlichen Tätigkeit oder des Rechtsanwendungsprozesses nach Maßgabe der „Blütenträume" der frühen Rechtsinformatik geht, sondern um die Wahrung der rechtsstaatlichen Spezifika justizieller Aufgabenerledigung geht, mag das professionelle Eigeninteresse der JustizjuristInnen an Erhalt und Stärkung „ihrer" Gewalt zur Befassung motivieren.Abs. 27
3. Richterethische AntwortAbs. 28
De zentrale Einwand beim justizpolitischen Argument ist natürlich: Was kümmert es mich als einzelne/n Richter/in? Das mögen doch „die" Justizverwaltungen oder die Richterorganisationen erledigen.Abs. 29
Dahinter verbirgt sich ein Problem der Richterethik. Wie weit reicht meine richterliche Verantwortung? Endet sie am Aktenbock des eigenen Dezernats? Ist Grenze das Funktionieren des eigenen Spruchkörpers und/oder der zugeordneten Geschäftsstelle/Serviceeinheit? Umfasst meine Verantwortung auch die Aufgabenerfüllung des eigenen Gerichts als Organisation oder gar von Justiz insgesamt?Abs. 30
Das Spektrum möglicher Antworten ist ebenso vielfältig wie es empirisch die Richterpersönlichkeiten sind. Das Gesetz gibt hierauf keine klare Antwort. Gerade deswegen ist es ja (auch) eine Frage der richterlichen Ethik, hier verstanden in einem weiteren Sinne als die aus einem professionellen Selbstverständnis folgenden verallgemeinerbaren ethischen Pflichten. Im Ansatz unbestritten ist, dass solche im Idealfall konsensfähigen nichtrechtlichen Sollenssätze in Bezug auf den Umgang mit richterlichen KollegInnen, dem übrigen Gerichtspersonal und den Verfahrensbeteiligten bestehen.Abs. 31
Ethische Bindungen greifen meines Erachten auch für die Reichweite der individuellen richterlichen Verantwortung. Das Richteramt verpflichtet nicht zum Autismus. Zu reflektieren ist der Umstand, dass von Richtern ausgeübte rechtsprechende Gewalt eine anvertraute staatliche Funktion ist, die innerhalb einer besonderen Organisation wahrzunehmen ist, die also in erheblichen Umfang zumindest dem äußeren Ablauf nach organisationsgeprägt, organisationsgebunden und organisationsabhängig ist. Dieser Rahmen individueller richterlicher Tätigkeit gebietet auch jenseits direkter Einwirkungsrechte mit je spezifischer Funktion über Präsidium, Präsidialrat und Richterrat, sich für die optimale Gestaltung der internen Gerichtsabläufe mit verantwortlich zu sehen und konstruktiv daran mitzuwirken, dass die Gesamtleistung der Justiz als System erhalten oder gesteigert wird.Abs. 32
Die richterliche Unabhängigkeit spricht nicht dagegen. Sie ist allerdings jeder einzelnen RichterIn als funktionales Privileg garantiert. Soweit sie reicht, ist sie im Interesse der Rechtspflege auch gegenüber der Justizverwaltung sorgsam zu verteidigen. Sachliche und persönliche Unabhängigkeit greift im Bereich der äußeren, bürotechnischen Rahmenbedingungen indes allenfalls begrenzt. Zu kurz greift auch der Hinweis auf die Verantwortung der Justizverwaltung. Diese hat in der Tat die Entscheidungs-, Gestaltungs- und Umsetzungsverantwortung. Ohne oder gar gegen die Justizbediensteten und insbesondere die RichterInnenschaft kann sie eJustice nicht aufgaben- und bedarfsgerecht ausgestalten und ist – auch im Vorfeld der förmlichen Betrauung mit Aufgaben der Gerichtsverwaltung (§ 42 DRiG; § 39 VwGO) – auf die Mitwirkung (auch) der RichterInnenschaft angewiesen. Der dienstrechtlichen Pflicht zur konstruktiven Mitwirkung an Konzeption und Umsetzung von eJustice korrespondiert die entsprechende Obliegenheit aus der richterlichen Mit-Verantwortung für das optimale Funktionieren von Justiz.Abs. 33
4. Utilitaristische AntwortAbs. 34
Die beste Antwort aber ist: eJustice ist nützlich. eJustice erleichtert die Arbeit, schafft durch zusätzliche Möglichkeiten einen echten Mehrwert für alle Beteiligten in und außerhalb der Justiz und macht zudem noch Spaß. Dies ist ein realistisches Ziel. Seine Erreichung ist aber nicht garantiert und die eigentliche Gestaltungsherausforderung. eJustice birgt offenkundig Risiken, ohne sicheren Nutzen bieten zu können. Um den erreichbaren Nutzen zu erzielen, muss jedenfalls das Tal der Tränen einer grundlegenden Umstellung (auch) der richterlichen Arbeitsweise von Papier auf Elektronik durchschritten werden.Abs. 35
Papier ist geduldig – Elektronik nicht. Bearbeitung papiergebundener Akten ist eine in Jahrhunderten entwickelte Kulturtechnik. Sie wird von der aktuellen Juristengeneration intuitiv beherrscht. Diesen Grad an selbstverständlicher, flexibler Nutzbarkeit erreicht kein marktgängiges Programm. Arbeit mit Elektronik bringt neue Belastungen mit sich. Die individuellen richterlichen Bearbeitungsroutinen sind zudem so vielfältig, dass sie alle individuellen Bearbeitungsstrategien einschließlich der kleinen „richterlichen Macken", an die sich unsere Serviceeinheit längst gewöhnt hat, unterstützt.Abs. 36
Die Vorteile elektronischer Akten, z.B. ihr jederzeitige Verfügbarkeit – auch aus der Ferne, z.B. für Heim- und Telearbeit – oder die Technikunterstützung bei ihrer Durchdringung und Bearbeitung, haben mithin nicht für alle RichterInnen dieselbe Bedeutung. Sie müssen vor allem durch eine Umstellung der Bearbeitungsweise, aber auch durch gewisse technikbedingte Restriktionen bei der Bearbeitung „erkauft" werden.Abs. 37
Kurzfristig werden so nicht alle RichterInnen den Mehrwert elektronischer Akten nutzen und Entlastungseffekte erreichen, die sie für eine Verbesserung der Qualität ihrer Arbeit nutzen können. Umso wichtiger ist es, die eingesetzte Hard- und Software so funktionsgerecht wie möglich zu gestalten, die Hard- und Softwareergonomie in den Vordergrund zu stellen und die erwartbaren Umstellungsfriktionen durch Schulungs- und Unterstützungsmaßnahmen zu lindern. Auch den weniger technikaffinen KollegInnen ist eine sachgerechte Aktenbearbeitung zu ermöglichen, bei der sie nicht tagtäglich mit der Technik hadern müssen. eJustice und elektronische Akte bedeuten ja auch nicht, dass Papier vollständig aus den Gerichten verschwinden wird. Im Service- und Unterstützungsbereich wird der Umstellungsaufwand zunächst deutlich größer, der Entlastungseffekt dann aber umso schneller und spürbarer eintreten und nachhaltiger sein.Abs. 38
Einzelne Teilschritte werden zudem mit Technik aufwändiger als auf Papier sein. Der „Nutzen" wird nur bei einer den gesamten Arbeitsprozess bilanzierenden Betrachtungsweise erkennbar werden. Berechtigte Kritik am „Unsinn im Detail" ist bei einer Umstellung dieser Größenordnung Gewissheit. Überzeugungskräftiger wird solche Kritik, wenn sie die Nutzeffekte der Vorteile der elektronischen Akte nicht als selbstverständlich hin- und nur den Zusatzaufwand wahrnimmt.Abs. 39
5. fatalistische AntwortAbs. 40
„eJustice soll kommen, wird kommen, und wenn es da ist, mach ich halt irgendwie mit." Diese realistisch-fatalistischen Haltung schiebt die Befassung mit eJustice auf den Einführungszeitpunkt hinaus. Das hier anklingende hegelianische „Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit" birgt indes auch einen pessimistisch, devot-gehorsamen Unterton, der nicht meinem Richterbild entspricht, mag er auch empiriegegründet sein. Sachlich sinnvoll ist die Haltung jedenfalls nicht. eJustice ist neben den vielfältigen technischen Dimensionen vor allem auch ein Organisationsprojekt, bei dem alle innergerichtlichen Arbeitsabläufe darauf geprüft werden, wie die prozessrechtlichen Schutz- und Ordnungsziele in der elektronischen Welt optimal umzusetzen sind. Es geht nicht um eine direkte Abbildung von Arbeitsprozessen der Papierwelt in elektronischer Form. Wegen der zeitliche Vorläufe und des Umsetzungsaufwandes ist auch richterliche Mitwirkung bereits in den Planungs- und Vorbereitungsphasen erforderlich; wenn die Programme ausgerollt werden, ist es zu spät.Abs. 41
Konsequenz für die Justizverwaltung ist, beim „Veränderungsmanagement" entsprechend Andockstellen ernstgenommener Mitwirkung zu schaffen. Dies betrifft die Ebene der kollektivrechtlich vorgeschriebenen Mitbestimmung durch Personal- und Richterrat, die um Elemente einer prozessbegleitende Beteiligung zu ergänzen sind, ebenso wie die sachgerechte, offene, kontinuierliche zumindest informatorische Beteiligung aller Beschäftigten, die die verbliebenen Gestaltungsspielräume ehrlich benennt, als Leitungsaufgabe.Abs. 42
IV. „e-Justice – Mission(im-)possible": Gestaltungsbereiche und HerausforderungenAbs. 43
„e-Justice – Mission(im-)possible" – das Motto des diesjährigen EDV-Gerichtstages unterstreicht, dass eJustice derzeit mehr ein Arbeitsprogramm mit vielen bewältigungsbedürftigen Herausforderungen und lösungsbedürftigen Probleme ist. Der Blick in die Wirtschaft, in die Justiz im europäischen Ausland und die vielfältigen Pilotprojekte in der deutschen Justiz zeigen aber, dass das, was gelingen muss, auch gelingen kann. Einige Problembereich seien herausgegriffen.Abs. 44
1. ProzessrechtAbs. 45
Der Revisionsrichter sieht nur das Recht, nicht die Wirklichkeit der Tatsachen. Ich beginne also mit dem Prozessrecht. De lege lata setzt Prozessrecht einen Rahmen für die (verbindliche) elektronische Kommunikation und die Führungen elektronischer Akten. Die Umstellung auf eJustice wird weiteren rechtlichen Regelungs- und Klarstellungsbedarf deutlich machen. Wegen ihrer konstitutionellen Uneinheitlichkeit und ihres Zeitbedarfs kann er sinnvoll nicht allein durch die ober- oder höchstrichterliche Rechtsprechung befriedigt werden.Abs. 46
Die Einführung von eJustice erfordert vor allem, über die Schutz- und Ordnungsziele prozessrechtlicher Normen nachzudenken, die für die Papierakte entwickelt worden sind, und sie sachgerecht der medienbruchfreie elektronische Bearbeitung anzupassen. Das Referat von Dr. Viefhuis wird sicherlich auch dieses Spannungsfeld beleuchten. Schriftformerfordernisse, Beglaubigungs- und Abfertigungsvermerke, Regelungen zu den Fehlerfolgen bei Eintritt spezifischer Risiken von elektronischer Kommunikation, die Harmonisierung prozessrechtlicher und materiellrechtlicher Formerfordernisse bei Erklärungen im Prozess oder der obligatorische Einsatz von Formularen in standardisierten, strukturierbaren Teilkommunikationsprozessen sind nur einige der Bereiche, in denen prozessrechtlicher Nachsteuerungsbedarf bereits heute erkennbar ist.Abs. 47
2. richterliche UnabhängigkeitAbs. 48
eJustice beeinträchtigt als solche nicht die richterliche Unabhängigkeit. Richterliche Unabhängigkeit ist kein verfassungsgesetzlicher Freibrief zur Veränderungsabwehr und garantiert den RichterInnen keine umfassende Definitionshoheit über ihr Arbeitsumfeld und den Modus der Aufgabenerledigung.Abs. 49
eJustice birgt aber ein erhebliches, technikinduziertes „Kontrollpotential", das bei einer Orientierung richterlichen Dienstpflichten an Durchschnittserledigungen an Brisanz gewinnt. Das über die gegebenen Justizstatistiken hinausreichende Kontrollpotential ist durch entsprechende Protokollierungs-, Zugriffsrechte- und Löschungskonzept und klare, transparente Regeln beherrschbar, unter welchen Voraussetzungen und Schutzvorkehrungen zu welchen Zwecken Inhalts- oder Protokolldaten genutzt werden dürfen.Abs. 50
Denkbar ist eine Beeinträchtigung richterlicher Unabhängigkeit auch, wenn die Technik die richterliche Arbeitsweise bei der Verfahrensgestaltung einengt und durch technische bzw. formale Vorgaben die prozessrechtskonforme Aufbereitung des Sach- und Streitstoffes – im Einzelfall oder typischerweise - mehr als marginal beeinträchtigt wird. Nach den derzeitigen Ansätzen und Programmen spricht hierfür nichts und mehr dafür, dass die Funktionsvielfalt nur von dezidiert technikaffinen KollegInnen wird ausgenutzt werden können.Abs. 51
Eine mittelbare Beeinträchtigung richterlicher Unabhängigkeit könnte sich allerdings ergeben, wenn der Aufwand, der mit der elektronischen Bearbeitung verbunden ist, auch bei Saldierung mit technikinduzierter Aufwandsminderung dauerhaft notwendig signifikant höher ist als bei der Bearbeitung einer papiergebundenen Akte, weil nicht die für die Arbeit in und mit einer elektronischen Akte erforderlichen Unterstützungswerkzeuge bereitgestellt werden, oder der entstehende Mehraufwand nicht im Bereich der Personalbemessung berücksichtigt wird. Ausschließen kann dies – zumal in der Übergangsphase – niemand, bei kluger Programmauswahl und sachgerechtem Veränderungsmanagement sind unabhängigkeitsbeeinträchtigende Effektivitätseinbußen unwahrscheinlich. Maßstab hierfür ist überdies eine RichterInnenschaft, die ihrer Dienstpflicht nachgekommen ist, sich die für die Bearbeitung erforderlichen Fähigkeiten auch anzueignen, nicht der technikaverse bis -resistente Ausnahmerichter.Abs. 52
3. Ergonomie von eJusticeAbs. 53
eJustice muss ergonomisch sein. Aus gutem Grund widmet die heutige Veranstaltung diesem Bereich zwei bzw. drei Foren. Elektronischen Bearbeitungsmöglichkeiten müssen nicht nur objektiv akzeptabel sein und die tägliche Dezernatsarbeit ebenso unterstützen wie die intellektuelle Erfassung und Durchdringung der Akte. Sie müssen vor allem bei der überwiegend noch auf papiergebundene Bearbeitung orientierten Richterschaft eine Chance auf hinreichende Akzeptanz haben – und das unter schwierigen Budgetbedingungen und sich rasant entwickelnder Technik.Abs. 54
Der technische Fortschritt lässt indes auch die Begehrlichkeiten wachsen. Bislang kaum thematisiert worden ist, inwieweit richterliche Unabhängigkeit auch einen Anspruch auf Möglichkeiten zeit- und ortsunabhängiger elektronischer Bearbeitung unter Ausstattung mit entsprechender Hard- und Software vermittelt. Dies dem Grunde nach unterstellt, wird die Justizverwaltung schon wegen der Massentauglichkeit der Ausstattungsstandards, der erforderlichen Sicherheitsfunktionalitäten und der haushaltsrechtlichen Innovationszyklen nie das ergonomische Maximum bereitstellen und die technikaffine RichterInnenschaft zufriedenstellen können. Das 750 Gramm schwere 23-Zoll Funk-und WLAN-Touchtablet mit 12 Stunden-Akkulaufzeit, Sprach- und Gestensteuerung und voller Programmausstattung wäre heute wohl nicht das Standardgerät. Schon für das Optimum werden erhebliche Investitionen erforderlich.Abs. 55
Zur Gestaltung von Arbeitsbedingungen, -abläufen und -mitteln, welche qualitativ und/oder quantitativ die Arbeitsergebnisse unter möglichst geringer gesundheitlicher Beanspruchung der betroffenen Menschen optimiert, gehören auch das Zeitverhalten der Programme und Anwendungen sowie ihre Verfügbarkeit. Die Datenmengen werden exponentiell stiegen, mit gravierenden Herausforderungen für die Netze, Anlagen und Sicherungsvorkehrungen. Hier steht Justizverwaltung vor enormen Herausforderungen. Für die RichterInnenschaft interessant ist indes nicht wie, sondern dass ein schnelles, sicheres und verlässlich funktionierendes Netz bereitgestellt wird, das technikbedingte Unterbrechungen des Arbeitsablaufes weitestgehend ausschließt. Die für die Hintergrunddienste erforderlichen Mittel dürfen dabei nicht zu Lasten der menschgerechten Gestaltung der für die tagtägliche Arbeit bereitgestellten Hard- und Software gehen – einschließlich der Bereitstellung von Telearbeitsplätzen für RichterInnenschaft und Servicebereich, die durch eine eAkte erst für alle Justizbediensteten ermöglicht wird.Abs. 56
4. Konzeption der elektronischen AkteAbs. 57
eJustice bedeutet heute: rechtlich verbindliche, „führende" elektronischer Akte und langfristig paperärmeres, nicht aber papierloses Arbeiten. Dies nötigt zum Nachdenken über die Gerichtsakte. Was sind ihre Funktionen, Nutzungsmöglichkeiten und Einsatzbereiche? Welchen Grad an Authentizität, Integrität, Vertraulichkeit, Vollständigkeit, Verfügbarkeit, Zugriffsdokumentation etc. muss eine elektronische Akte aufweisen, um zuverlässig die verschiedenen, rechtsstaatlichen Funktionen einer prozessrechtskonformen Gerichtsakte erfüllen zu können? Wie lange müssen sie auf welchem Sicherheitsniveau aufbewahrt werden? Wie sichern wir die Austauschbarkeit elektronischer Akten?Abs. 58
Die Antwort auf diese Fragen erschwert, dass die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Aktenführung in Papierform in Jahrhunderten gewachsen sind und tradiert übermittelt werden, so dass die Grundfunktionen der Gerichtsakte als quasi-selbstverständlich schwer exakt zu benennen sind. Das aktuelle Prozessrecht taugt so nicht als Pflichtenheft für die eAkte. Erst seit der optionalen eAkte kann dem Prozessrecht entnommen werden, dass Akten grundsätzlich papiergebunden zu führen sind. Die Papierakte ist auch nicht hinreichend als Summe aller Papierdokumente zwischen zwei Aktendeckeln zu beschrieben, die Flüchtigkeit des elektronischen Dokuments schließt selbst den hilfsweisen Rückgriff auf diese pragmatische Definition aus.Abs. 59
Die für Führung und Bearbeitung elektronischer Akten eingesetzten Programme müssen mithin die im Detail erst noch zu klärenden prozessrechtlichen Anforderungen an die elektronische Akte einschließlich der Dokumentation von Zugriffen und Bearbeitungsschritten abbilden können. Dazu müss(t)en die Prozessrechtler den Programmierern z.B. eindeutig benennen (können),Abs. 60
· welche Anforderungen sich aus Aktenverständlichkeit, Aktenwahrheit, Aktenvollständigkeit und Aktenbeständigkeit zur Sicherung rechtsstaatlicher Kontrolle auch bei einer elektronischen Aktenführung sicherzustellen sind,Abs. 61
· welche Bearbeitungs- und Zusatzinformation zu generieren, (veränderungsfest) zu speichern sowie für die Bearbeitung und für die Verfahrensbeteiligten sichtbar aufzubereiten sind,Abs. 62
· welche Authentisierungs- und Identifizierungsanforderungen an einzelne Bearbeitungsschritte zu stellen sind, oderAbs. 63
· welche elektronischen Mechanismen etwa der richterlichen Paraphe entsprechen.Abs. 64
*Der Vortrag „Justiz im Spannungsfeld zwischen absoluter Sicherheit und optimaler Arbeitsfähigkeit" wird einen Teil dieser Fragen beantworten.*Abs. 65
Zu bewältigen sind die spezifischen Verfügbarkeits-, Bearbeitungs- sowie und Datenschutz- und -sicherheitsprobleme der eAkte. Diese Probleme stellen sich auch bei der Papierakte, aber anders. Dort auftauchende Risiken nehmen wir oft nicht mehr wahr, weil wir uns daran gewöhnt haben. Bei der eAkte stellen sich diese Fragen neu. Gewichtige Vorteile der eAkte in etlichen Bereichen stehen bewältigungsbedürftige Probleme in anderen entgegen. Ein Beispiel ist der Einsatz im der eAkte im Herzstück des streitigen gerichtlichen Verfahrens, der mündlichen Verhandlung; ihr Einsatz ist so zu gestalten, dass die spezifische Kommunikationssituation der mündlichen Verhandlung nicht beeinträchtigt wird. Aus größeren Strafprozessen und aus dem internationalen Vergleich wissen wir, dass dies möglich ist, *Der Vortrag „Die eAkte in der mündlichen Verhandlung" wird diese Frage weiter vertiefen*.Abs. 66
Regelungsbedarf besteht auch zur Frage, wer technisch die eAkte wo speichert – bis hin zu den möglichen Grenzen der Einschaltung externer Dienstleister. Die Eigenständigkeit der Justiz erfordert aus meiner Sicht dabei die jederzeit wirksame Kontrolle der Justiz über die Datenhaltung, nicht die Eigendurchführung der Datenhaltung selbst.Abs. 67
5. VeränderungsmanagementAbs. 68
eJustice ist eine bewusst wahrzunehmende Gestaltungsaufgabe. Der Weg zu ihr ist noch weit und voraussetzungsvoll, aber nicht notwendig entbehrungsreich. Die Justizminister haben erkannt, dass eJustice nicht zum Nulltarif zu haben ist. Die zur Verhandlung mit den Finanzministerien erstellte Kostenschätzung nennt einen Wert von bundesweit 350 Mio €, mögen dort auch nicht alle haushaltswirksamen Kosten oder die sog. „Eh da"-Kosten für die Umstellungsaufwendungen erfasst sein. Eine auf den ersten Blick für Justiz gigantische Summe, aber nur ca. 15 v.H. der Mehrkosten für den Flughafen Berlin-Brandenburg oder 20 v.H. des geschätzten Kostenanstiegs bei Stuttgart 21 von 2010 bis Mitte 2013 – und mit Sicherheit eine gute Investition in die Zukunft des Rechtsstaates.Abs. 69
eJustice braucht neben Geld auch ein Veränderungs"management", das den erforderlichen „guten Willen" der Justizangehörigen weckt, stärkt oder erhält. Justiz und ihre Angehörigen wollen natürlich nicht „gemanaget" werden. Genau dies aber ist die systematische Vorbereitung, Durchführung und Nachbegleitung der Maßnahmen und Aktivitäten zur Umsetzung neuer Strategien, Strukturen, Systeme, Prozesse oder Verhaltensweisen, die neben der fachlich-instrumentellen auch die psychologischen Dimensionen in den Blick nimmt.Abs. 70
Die begriffliche Anleihe bei der Organisationswissenschaft lenkt bewusst den Blick darauf, dass eJustice eine – schwierige – Führungsaufgabe für die Gerichtsleitungen bedeutet. Sie müssen mit großen Unterschieden bei der Modernisierungs-, Lern- und Mitwirkungsbereitschaft rechnen, die sich nicht notwendig entlang der Funktions- oder Altersgruppen organisieren. Die RichterInnenschaft als selbstbewusste, beschwerdemächtige, aber ungeachtet aller Kritik an der Richterbesoldung innerhalb der Justiz am besten bezahlte Gruppe trägt dabei die geringsten Veränderungslasten und -risiken. Bei etwaiger Kritik mag sie sich ein Beispiel an den Veränderungszumutungen und der Lernbereitschaft im Servicebereich nehmen. Die erfolgreiche Bewältigung technologischer Veränderungen der Vergangenheit gerade in den Unterstützungsbereichen ist ein guter Grund für die Prognose, dass die vielfältigen neuen Aufgaben durch eJustice mit derselben Souveränität bewältigt werden. Hier bedeutet eJustic vor allem eine interessantere, auch anspruchsvollere Arbeit in einer Arbeitsumgebung auf dem „Stand der Technik" – und vielfältige Chancen auf eine flexiblere, auch familiengerechte Arbeitsorganisation bei sicherem Arbeitsplatz. Zum Veränderungsmanagement gehört, auch diese Chancen zu wahren.Abs. 71
V. SchlussbemerkungAbs. 72
Der Erfolg von eJustice ist nicht garantiert. Es ist eine Herausforderung für alle in der und für die Justiz Tätigen. Die Justiz ist im institutionellen Eigeninteresse dazu „verurteilt", die in dem Prozess der Realisierung des Gesetzes angelegten Transformationschancen auch zu nutzen, um das Ziel der Justiz, qualitativ hochwertigen, effektiven Rechtsschutz zu garantieren, auch unter den veränderten Rahmenbedingungen der Informationsgesellschaft optimal zu verwirklichen.Abs. 73
 

Fußnoten:

* Prof. Dr. Uwe Berlit ist Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Leipzig.
[1] Vortrag auf dem eJustice-Tag 2014 des Justizministeriums Baden-Württemberg am 21. Juli 2014 in Stuttgart (Haus der Wirtschaft). Der Text ist den in der Justiz Baden-Württemberg Tätigen auch über das Intranet der Justiz zur Verfügung gestellt worden. Der Text greift teils auf Überlegungen zurück, die der Verfasser in den letzten Jahren in JurPC vorgestellt hat (z.B. E-Justice – Chancen und Herausforderungen der freiheitlichen demokratischen Gesellschaft, JurPC Web-Dok. 171/2007; Die elektronische Akte – rechtliche Rahmenbedingungen der elektronischen Gerichtsakte, JurPC Web-Dok. 157/2008; Notwendige Gemeinsamkeiten und strukturelle Unterschiede der „Reformbestrebungen" bei eJustice und eGovernment, JurPC Web-Dok. 181/2011; Richterliche Unabhängigkeit und elektronische Akte, JurPC Web-Dok. 77/2012; Elektronischer Rechtsverkehr – eine Herausforderung für die Justiz, JurPC Web-Dok. 173/2013); s.a. R. Geis/U. Berlit, Elektronischer Verwaltungsprozess – Vision, Illusion oder Bedrohung?, DVBl. 2014, 14.
 

(online seit: 29.07.2014)
 
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Berlit, Uwe, eJustice - was soll denn das? - JurPC-Web-Dok. 0117/2014