JurPC Web-Dok. 167/2013 - DOI 10.7328/jurpcb20132810163

Alexander Konzelmann *

Tagungsbericht IRIS 2013

JurPC Web-Dok. 167/2013, Abs. 1 - 39


Konzelmann, Alexander
In Salzburg fand von 21. bis 23. Februar 2013 das 16. internationale Rechtsinformatik-Symposion (IRIS 2013) statt. Es handelt sich um eine der größten und bedeutendsten Tagungen auf dem Gebiet der Rechtsinformatik und sie konnte in den letzten Jahren ihren Rang sichern. Eine Vielzahl von Veranstaltern um die Hauptverantwortlichen Erich Schweighofer, Friedrich Lachmayer, Dietmar Jahnel, Peter Mader, Julia Baier und Walter Hötzendorfer haben diesmal ein achtzigköpfiges Wissenschaftlerteam zur Betreuung der Sessionen, Workshops, Diskussionen und des Tagungsbandes gewonnen. Die veranstaltenden Institutionen rekrutieren sich unter anderem aus Arbeitsgruppen der Universitäten Wien und Salzburg, aus privatrechtlichen Vereinen zur Förderung der Informatik, aber auch aus dem Juristenverband und dem österreichischen Rechtsinformationssystem.
JurPC Web-Dok.
167/2013, Abs. 1
Die Themenbereiche behandeln - jeweils unter dem Eindruck juristisch relevanter IT-Entwicklungen - das Urheberrecht, die Rechtstheorie, die Telekommunikation, Rechtsinformation, Wissensrepräsentation, Suchtechnologien, die typischen "e"-Materien (e-Government, e-Democracy, e-Procurement, e-Learning, e-Commerce, etc.), die trotz fortschreitender Normalisierung ihr "e" noch nicht verloren haben (Wann gibt es "old-Government"?). Dazu kommen die Gebiete Datenschutz, Prozessmanagement, die schlichte Anwendungsprogrammierung als ursprüngliches Herz der Rechtsinformatik, aber - mit zunehmendem Publikumsinteresse - auch Rechtsvisualisierung und Science Fiction. Tagungsort sind Räume im Toscanatrakt der Juridischen Fakultät in Salzburgs Altstadt. Etwa 150 Vorträge in meist sechs parallelen Arbeitskreisen innerhalb von zweieinhalb Tagen fordern die Aufnahmefähigkeit der Tagungsteilnehmer heraus. Schon aus diesem Grund kann ein Bericht nur subjektiv bevorzugte Themen schlaglichtartig benennen. Im Übrigen sei auf den umfangreichen Tagungsband verwiesen, der bereits erschienen ist. Arbeitskreise, Sessionen oder neuerdings "Tracks" heißen die Themenbereiche, denen sich die Sitzungsteilnehmer in getrennten Räumen parallel widmeten.
Abs. 2
Im Arbeitskreis Rechtsinformationen und Suchtechnologien führte den Vorsitz Anton Geist.
Abs. 3
Volker Heydt thematisierte die mit der authentischen elektronischen Verkündung von Rechtsakten verbundenen Anforderungen an den Internetauftritt der verkündenden Stelle. Er zeigte Beispiele aus dem Bereich eur-lex.europa.eu , die in dieser Hinsicht Luft nach oben lassen. Der Interinstitutionelle Rechtsakt zur besseren Rechtssetzung (2003/C321/01) trug Faksimile-Unterschriften (S. 5) der Präsidenten der Legislativorgane der EU — es waren allerdings die falschen Klischees verwendet worden. Dies wurde dann berichtigt. Der Inhalt der Berichtigung beschränkte sich auf die Ersetzung der Unterschriften durch die richtigen Unterschriften. Die Frage ist, warum keine digitale Signatur für EU-Rechtsakte verwendet wird, sondern PDF-Faksimiles. Dazu äußerte sich Pascale Berteloot vom Amt für Amtliche Veröffentlichungen. Man habe nur daran gedacht, das Papier durch das elektronische Medium zu ersetzen und authentifiziere somit ganze ABl.-Hefte, keine einzelnen Rechtsakte, durch die "richtige" digitale Signatur. Das sei eventuell eine fragwürdige Lösung, aber momentane Praxis.
Abs. 4
Ein weiteres Beispiel war die Mutter-Tochter-Richtlinie (Richtlinie des Rates über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten vom 23. Juli 1990, 90/435/EWG, ABl. 1990, L 225/6-9, berichtigt ABl. 1990 L 266 v. 28.9.90 S. 20), deren Art. 6 zuerst wie folgt publiziert wurde: "Der Mitgliedstaat der Muttergesellschaft kann einen Steuerabzug an der Quelle auf Gewinne vornehmen, die diese Gesellschaft von ihrer Tochtergesellschaft bezieht." Gemeint war: "keinen Steuerabzug". Nur im konsolidierten Text ist der korrekte Inhalt sichtbar (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:1990L0435:20040501:DE:PDF), im Faksimile des Amtsblattes weiterhin der Falsche. Das sei korrekt, denn die dokumentarische Frage zur Authentizität laute: Darf der elektronische Text überschrieben werden oder muss der einmal falsch publizierte Text auch nach der Korrektur weiterhin als ursprünglich falsch erkennbar belassen werden?
Abs. 5
Leitend war der Gedanke, wie viel Transparenz und Genauigkeit erforderlich sei, um das notwendige Vertrauen zu gewinnen und zu erhalten. Denn ab diesem Jahr soll die elektronische Fassung verbindlich sein. Man hoffe, dass auch die Briten noch vor dem 1.7.2013 zustimmen, dass das Amtsblatt EU elektronisch verbindlich erscheinen kann. Deutschland hat in einem Gesetz, welches seinen Vertreter in der Kommission zu einer Zustimmung ermächtigt, zugestimmt. Diese Konstruktion war erforderlich, weil das gewählte Rechtssetzungs-Verfahren nicht zu einem Zustimmungsgesetz oder ähnlichem innerstaatlichen Legislativakt führt, aber dennoch das Parlament nicht übergangen werden darf.
Abs. 6
Angela Stöger-Frank vom Evidenzbüro im Unabhängigen Finanzsenat arbeitete missliche Diskrepanzen der Faktendokumentation in Rechtsdokumentationen und umgekehrt heraus, und zwar an Beispielen aus den Rechtsinformationssystemen RIS und FINDOK (http://www.ris.bka.gv.at/, http://findok.bmf.gv.at/findok/ - gratis) sowie der Presseagentur APA (www.aom.apa.at , kostenpflichtig). Die Findok enthält nicht nur Rechtstatsachen, sondern enthält — aufgrund praktischer Anforderungen ein Daten-Feld für das Faktum "zitiert / besprochen" in: FUNDSTELLE, was durchaus auch Nennungen in der Tagespresse abbildet. Rechtsdokumentation benötige häufig auch Faktenkenntnis, wurde an folgendem Beispiel gezeigt: Ein Wasserschaden, bei dem Hochwasser durch die Tür kommt, ist steuermindernd, Rückstau aus der Kanalisation aber nicht. Kritisiert wurde eine Verletzung des Gleichheitssatzes. Aber der faktische — und mit zu dokumentierende — Problemhintergrund sei: Rückstauschutz ist Bauvorschrift und ein auf deren Verletzung zurückzuführender Schaden folglich zu Recht Privatsache.
Abs. 7
Ein Unterschied beruhe darauf, dass Rechtsdokumentation stets ex post sei, während es Faktenwissen auch ex ante gebe. Zum Beispiel, wenn es um Verlustzuweisungen bei hightech-Investitionsmodellen zum Steuersparen gehe, dann wäre eine Vorhersage der Rechtsprechung und deren Vereinheitlichung von mehreren Seiten eine erwünschte Vorab-Dokumentation, aber eben nicht zu erhalten. Der Ausblick von Stöger-Frank bestand in einer Forderung an beide Seiten: Rechtsdokumentalisten sollten klarer und verständlicher formulieren, aber nicht in populistisch auf Exaktheit verzichten. Journalisten sollten auch Paragraphen, Behörden und Aktenzeichen korrekt nennen. Beide Dokumentationsarten sollten Hyperlinks nutzen. Zum Zielkonflikt der Publikation nachvollziehbar begründeter Entscheidungen unter gleichzeitiger Beibehaltung des Datenschutzes durch Anonymisierung in einem kleinen Staat wie Österreich, kam die Referentin nicht um hin, festzustellen: "Es wird immer schwieriger, den Sachverhalt so zu formulieren, dass man nicht mehr weiß, worum's geht."
Abs. 8
Brita Landau vom ÖGB-Verlag berichtete über das Online-Produkt: KVSystem — "Lösungswelt Kollektivvertrag". Es handle sich um eine privatwirtschaftliche Dokumentation der österreichischen Tarifverträge, die etwa 700 Verträge, Mindestlohntarife, Satzungen, Heimarbeitsgesamtverträge, aber vor allem Tarifverträge der Arbeitskammern und Gewerkschaften (Sozialpartner) nachweise. Jährlich fallen 500 Änderungsverträge auf 15000 Papierseiten an, die in xml umgesetzt und für die online-Publikation aufbereitet werden. Kontrolle der Authentizität finde durch Hinterlegungsexemplare statt. Die Hauptarbeit bestehe in der Verschlagwortung und in der Qualitätssicherung durch häufiges Gegenlesen. Der Verlag berate unter anderem auch die Gewerkschaften bei der Entwurfsformulierung für Tarifrecht durch Lektorierung und Korrektoratsdienstleistungen im Vorfeld des Abschlusses von Kollektivverträgen. Auf der neuen KV-Plattform Kollektivvertrag.at werden zudem redaktionelle Kurzfassungen zu aktuellen Kollektivverträgen publiziert. Eine entsprechende elektronische Sammlung gebe es weder in öffentlicher noch in privater Hand, nur Papierdokumentationen und Teildatenbanken.
Abs. 9
Im Arbeitskreis Suchtechnologien oblag der Vorsitz Franz Kummer. Marius Roth vom Zentrum für Rechtsinformationen ZRI sprach über Herausforderungen der XML-Transformation in der CH Gesetzgebung. Es ging um die Umsetzung von "pseudo-strukturierter" Information in "echt" strukturierte Information, also hier in XML. Falls das Strukturmodell nicht den gesamten Sachverhalt abbilden könne, gebe es zwei Alternativen: Anpassung und Verfeinerung des Modells oder Akzeptieren einer gewissen Unschärfe bei der Strukturierung des Sachverhalts. Anpassungen des Modells sei daher Abwägungsfragen ausgesetzt. Sinnvoll sei eine Anpassung z.B. dann nicht, wenn höchstens ein Prozent aller zu erfassenden Texte eine entsprechende Struktur aufweisen. Herausforderungen der Legistik verursache z.B. das Problem der Allmächtigkeit der "Rechtsautoren" (also gewählter Gesetzgeber ohne Vorgesetzte. Deren teils komplexe Konsolidierungsanordnungen führten zu einem unerwünschten Ermessensspielraum der Konsolidierer bei Vermischungen der Hierarchie von Strukturelementen oder unnötiger Auslagerung von zu regelnden Tatbeständen in eine Tabellendarstellung. Das alles komme vor, aber keiner sei von Verfassungs wegen berechtigt, dem Parlament hierin Vorschriften zu machen. Andererseits könne der Gesetzgeber ja auch nicht bestimmen, auf welcher Seite des Verkündungsblattes ein Paragraph erscheine oder in welcher Farbe ein Gesetz zu drucken sei. Es müsse also einen Grenzbereich des Sachzwangs geben. Wichtig sei der Zeitpunkt der Strukturierung eines Rechtstextes. NACH seinem Erlass müsse ein vorgefundener Text nämlich mühsam in ein vorhandenes Modell gepresst werden. Das könne zu Lesbarkeitsproblemen führen. Ex ante-Strukturierung wäre deshalb aus Legistensicht wünschenswert. Beispiel: Tabellen dürfen höchstens 10 Spalten haben. Fraglich sei, ob sich Normgeber damit abfinden. Aber 14 von 26 Schweizer Kantonen haben bereits die XML-Strukturierung der Gesetzgebung implementiert.
Abs. 10
Matthias Kraft von effipub stellte theoretisch dar, wie juristische Apps miteinander kommunizieren können. Er fragte, ob Apps und die Cloud weiterhelfen können, Informationswust zum Sach- und Streitstand transparent zu machen. Also konkret, ob eine Akte zu einem Bauprozess mit vielen umstrittenen Einzelpunkten, mit lügenden Parteien und unklaren Fristabläufen und Zuständigkeiten leichter lesbar gemacht werden könne mit aktuellen online-Technologien? Es wurde vorab erstens klargestellt, dass Apps als spezifische Form von Computerprogrammen oder auch Expertensystemen einerseits und die sogenannte Cloud als spezifische Form eines ausgelagerten Servers, der von vielen Terminals her zugänglich ist, nichts wirklich grundlegend Neues sind; dass aber zweitens die Interoperabilität und die Bedienungsfreundlichkeit so starke Fortschritte gemacht haben, dass man heute die Chancen der Online-Unterstützung von Fach-Tätigkeiten einfach deutlicher wahrnehme als noch vor zwanzig Jahren. Eine nützliche App müsste fachspezifische Formulare bieten, die dann am Ende eine Relation (sogenannter Sachbericht im Zivilverfahren) erstellen lassen und das Aktenmaterial zusammen mit den passenden Relations-Abschnitten in die Cloud speichert, sodass die Akte weltweit den zulässigen Nutzern zur Verfügung steht. XML-Bezeichnungen für Datenbereiche (sozusagen Datenbankfelder als XML-Elemente und -Attribute) können heute zwar mit XPath ausgewertet werden. Sind aber unterschiedliche Apps oder Autoren beteiligt, dann würde das nur klappen, wenn jeder Autor alles gleich benennen würde wie die anderen Autoren. Dies könne schwierig bis unrealistisch sein. XJustiz sei dafür ein Ansatz in Deutschland, vor allem bei der Beschreibung von Personen und Adressen. Leichter könne es hingegen werden, wenn private und öffentliche Namensräume (XML-Namespace-Erweiterungen zu Elementnamen) benutzt werden, um Elementnamen ohne viel Vorprüfung zu verwenden. Solche namespace-Zuordnungen können Apps als Meta-Informationen auslesen und somit z.B. gemeinsam auf Daten in der Cloud zugreifen und dabei soviel Synergie erzeugen wie jeweils momentan möglich, immer mit der Möglichkeit zur Optimierung, ohne dass man ganze Systeme neu aufsetzen müsste.
Abs. 11
Jürgen Lintzel vom Manz-Verlag stellte spezifische Anforderungen der Online-Versionierung von Kommentardokumenten dar. Kommentardokumente seien im Fluss und haben online folgende Probleme: Der Geltungszeitraum des kommentierten Paragraphen ist darzustellen, die Nummer der Kommentarauflage konkurriert mit dem Erscheinungsdatum. Die Kommentierung von Teil-Gesetzen weicht im Bearbeitungsdatum vom Umfeld ab. Es entstehen gesetzgeberisch verursachte - korrekte - historische Lücken durch aufgehobene Vorschriften einerseits sowie Sprünge durch Einschübe von neuen a-Paragraphen. Zudem müssen gewisse Paragraphen aus inhaltlichen Gründen immer zusammengefasst kommentiert werden. Allgemeine Vorbemerkungen und Querverweise folgen anderen Update-Rhythmen als der Hauptteil und ein Kommentarwerk enthalte oft Einschübe aus anderen Gesetzen, deren Aktualisierung ebenfalls nicht parallel zur Hauptvorschrift laufe.
Abs. 12
Schon während der Stoffsammlung müsse man daher bereits an spätere Leser denken, die im online-Umfeld nicht durch das Zusammenfassen von Informationsblocks zwischen den Buchdeckeln einer Auflage geführt (oder bevormundet) werden, sondern auf verschiedenen Zeitstrahlen navigierten. Man müsse also außer Paragraphennummer, Gesetzestitel, dem Autor und dem Zeitpunkt der Kommentierung noch eine ganze Reihe von Metadaten festhalten, um anschließend mit den Einzeldokumenten der Kommentierung sinnvoll arbeiten zu können und in einem Dokumenten- oder Content-Management-System Beziehungen automatisiert so herzustellen, dass z.B. eine konsistente Neuauflage eines alten Kommentars für eine bestimmte Zielgruppe erstellt werden kann, die aber beispielsweise in zwei Teilbänden zu unterschiedlichen Zeitpunkten erscheine. Der Referent fragte, wie man man diese Konstellation sinnvoll online abbilde und was online mit Vorgängerversionen zu geschehen habe. Wenn alte Kommentierungen unrichtig würden und der Autor dazu ein "Verfallsdatum" vergeben habe, dann könne online ein breites Spektrum relativ gefahrlos angeboten werden, sodass der Nutzer mehr Auswahl an gültigen Texten habe. Allerdings müsse er auch gut geführt werden, um nicht verwirrt zu werden. Das System müsse auswerten können, welche Hyperlinks ein Nutzer angeklickt hat, ob er z.B. eine alte Version des Paragraphen gelesen hat, bevor er auf "Kommentierung" klickte. Zu vermuten sei zwar, dass der User in "derselben Auflage" eines Gesamtwerks verbleiben wolle. Aber komplex bleibe die Fragestellung doch.
Abs. 13
Lintzel sah folgenden Lösungsansatz: Das System merkt sich nur das erste zeitlich einschränkende Suchdatum des Nutzers und bewegt sich dann innerhalb der dieses Datum beinhaltenden historischen Version des Kommentars. Dies sei dann die vom Nutzer virtuell besuchte "Auflage", die ihm das System automatisch anbietet. Andere Zeiträume / Auflagen könne er nur bewusst wählen.
Abs. 14
Eine Podiumsdiskussion zum Topos Recht und Datensicherheit in cloudbasierten Systemen wurde eingeleitet durch einen Vortrag von Edgar Weippl, Secure Business Austria und ein Referat von Rechtsanwalt Árpád Geréd. Dazu erfolgten Diskussionsbeiträge von Heidi Schuster, Max Planck Gesellschaft München, und Martin Herfurt, n.runs AG Frankfurt/M. Die Cloud sei trotz aller Fortschritte nicht sicher. Sowohl Nutzer als auch Betreiber oder Dritte (Hacker) könnten mit dem Wissen um Sicherheitslücken vielfältig manipulieren und Daten beschaffen oder gar verändern. Es gebe einen ersten Vorschlag für eine NIS-Richtlinie der EU zur Netz-Infrastruktursicherheit. Diese verpflichte zur Einrichtung nationaler Behörden mit ausreichenden Ressourcen und die Betreiber müssen Risk-Management-Methoden einführen und Vorfälle melden. Sogenannte "Safe-Harbour"-Zertifikate seien ohne eigene Nachprüfung von Zertifizierung und Sicherheitskonzept nichts wert. Es bestehe der Verdacht der Käuflichkeit. Und ein legales Outsourcing der Bearbeitung personenbezogener Daten außerhalb von Europa sei derzeit kaum noch möglich. Dies liege einerseits an den strengen europäischen Datenschutzbestimmungen und andererseits an der entsprechenden Sorglosigkeit in anderen Rechtskreisen.
Abs. 15
Reinhard Riedl, Leiter des E-Government Instituts der Berner Fachhochschule für Wirtschaft und Vorstandsmitglied von e-justice hielt den Plenarvortrag zum Leitthema "Die Kompetenz zur Abstraktion als Informatik-Erfolgsfaktor". Er kündigte drei Geschichten an zur Abstraktion mit dem Fokus auf Informatik und Recht.
Abs. 16
(1)     Abstraktion sah er als Mittel, die Probleme dem menschlichen Gehirn anzupassen, also "Homomorphie" zu erzeugen durch Weglassen und Reduktion auf wenige Eigenschaften. Die Grundidee sei, dass Bearbeitung oder Manipulation im Modell leichter sei als in der Wirklichkeit. Daher bilde man gerne die Wirklichkeit in ein Modell ab, manipuliere dann am Modell, danach folge die Rückübertragung auf die Wirklichkeit. Der Mensch sei dann gut beim Problemlösen, wenn er ein Problem in eine Schachtel tun kann, um es dort zu lösen. Am einfachsten sei dies in der Mathematik. Informatik definiere etwas größere und komplexere Schachteln als die Mathematik, aber immer noch einfach genug, um zu praktischen Lösungen zu kommen, oder sogar, um die Lösungen durch Maschinen erstellen zu lassen.
Abs. 17
Das Inverse, die Rekonkretisierung, sei genauso wichtig wie die Abstraktion. Also das Testen eines Programmes, die Visualisierung von Strukturen, die Geschichtenerzählung bei der Darstellung von "use cases" (Anwendungsfällen). Die dazu passende Forschungsmethode "universalis in re" beinhalte einen ständigen Wechsel von Abstraktion und Konkretisierung.
Abs. 18
(2)     Zu überwinden sei allerdings die große Sprachverwirrung in der Informatik. Arbeitsteilung und Spezialistentum fördere die Herausbildung eigener "Szenen", damit verbunden die Abgrenzung gegen Nichtmitglieder, Entwicklung eigener Sprachen und eigener Probleme pro Spezialistengruppe. Eine mögliche Interpretation zum missglückten Turmbau zu Babel laute: die Sprachverwirrung sei Strafe gewesen für die Ignoranz der Norm, die ganze Erde zu besiedeln und Hochbau statt Diversifikation zu betreiben. Danach habe es dann — der Not gehorchend - geklappt. Die Bibel sage, die Menschen wollten sich konsolidieren und zentralisieren und das wurde bestraft. Eine alternative Auslegung sei: Der Turmbau zu Babel war die Folge des zweiten (!) großen Engineering-Projektes der Menschheit (das erste war die Arche Noah). Denn die Informatik lehre: Im zweiten Projekt will man zuviel Funktionalität und die Konsistenz des Entwurfs hat zu wenig Bedeutung.
Abs. 19
Die natürliche Sprache der Informatik sei der Code. Ob dieser aber geeignet sei, die Sprachverwirrung zu bekämpfen, sei fraglich. Denn Code sei unverständlich und voller Fehler (im Schnitt in jeder 35. Zeile). Wenn man Code verstehen würde, wüsste man vorhab zuverlässig, was die Hardware letztlich wann tut, wenn der Code ausgeführt wird. Testen und Debugging wäre überflüssig. Das Ziel von Informatikern sei, Code zu schreiben, den sie selbst verstehen. Code wirke überdies oft sehr indirekt, nebenläufig (parallel zu anderem Code, gesteuert und verwaltet vom Betriebssystem), manchmal gar zufällig und lokale Fehler hätten daher globale Wirkung.
Abs. 20
Die Kommunikationsprobleme unter den "Szenen" würden verstärkt durch das Paradigma "Verteilte Welten haben keine Uhren." Die Informatik sei "inhärent kontraintuitiv." Beleg: Die Praxisexperten erzählten als Berater — bewusst oder unbewusst - etwas anderes, als was tatsächlich eintrete. Zum Beispiel würden Prognosen von Aufwandszahlen in Zeit und Kosten hinsichtlich des Projekterfolgs gerne als "Rechteck" dargestellt, obwohl die Praxis erweise, dass eine Ausweitung der Ressourcen nicht zu einer proportionalen Verkürzung der Frist bis zur Projektrealisierung führe. Und "nachhaltig" sei auch nicht, was dauerhaft unverändert benutzt werden kann, sondern, was billig umgebaut werden kann. Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit seien entgegen vieler Berateraussagen nicht kongruent. Auch die Kausalität funktioniere in einem Informatiksystem anders als man sich das vorstelle, denn ein komplexes Informatiksystem kenne nur mögliche Zustände, aber keine ablesbaren eindeutigen Zustände.
Abs. 21
Nach dieser ernüchtern Bestandsaufnahme kam Riedl zu den Methoden zur Bekämpfung dieser Sprachverwirrung, zur Ermöglichung von Gespräch und Diskussion über Gruppengrenzen hinweg, und zwar durch folgende Hilfsmittel:
Abs. 22
Dokumentation von Code, Entwicklung und Nutzung von "Zustandsmaschinen", Sicherheitslogik und Pflichtenheften, durch Architekturdarstellungen und Visualisierungen, durch das Finden griffiger Begriffe und Beispiele für "Gut" und "Böse" (Patterns und Antipatterns im aktuellen Projektkontext). Anforderungsbeschreibungen müssten aus vielen Perspektiven parallel beschrieben sein, wie ein Picasso-Bild. Konzeptionelle Konsistenz sei sehr wichtig für Informatik-Projekte. Eine zentrale Voraussetzung dafür sei — wie schon immer bei komplexen Vorhaben - das Studium bekannter Lösungen (best practice). Und damit schloß sich ein Argumentationszirkel: Gute Abstraktion sei möglich durch Kenntnis des Konkreten.
Abs. 23
(3)     Das Paradoxon der Informatik war als dritter Punkt angekündigt. Die Conclusio lautete, ein Abstraktes und integratives Architekturmodell sei zur interdisziplinären Zusammenarbeit in Großprojekten nötig. Funktionierende verteilte Systeme benötigten daher Folgendes:
Abs. 24
"Information Hiding" als Schlüssel, Trennung von Was und Wie (über das "Was" muss man aus den Zuständigkeitsbereichen der Anderen Bescheid wissen, über das "Wie" nicht), Transparenz, Separation von Bausteinen und die Implementierung des Black Box Prinzips für Bausteine.
Abs. 25
In der Arbeitsgruppe E-Democracy, Open Data und direkte Demokratie hatte die Sessionsleitung Robert Müller-Török. Im Zentrum stand die sogenannte PSI-Richtlinie 2003/98/EG über die kommerzielle Weiterverwendung von Public Sector Information. Aus der Begleitdiskussion war zu entnehmen, dass in Österreich IWG-Anträge häufig erfolglos seien, weil zwar Daten im Netz lägen, aber eine spezifische Zugangsregelung nicht gegeben sei, woran ein Gleichbehandlungsantrag a limine scheitere. Außerdem bleibe die Bearbeitung oft stockend oder es würden Datenschutzerwägungen und ein öffentliches Interesse an der Selbstverwertung durch Eintrittsgelder oder Lizenzierungen als Ablehnungsgründe angeführt.
Abs. 26
Barbara Posch vom österreichischen Wirtschaftsministerium, Referat C1/2, Standortpolitik und Binnenmarkt erörterte aus Behördensicht die anstehende Novelle der PSI-Richtlinie und deren bisherige Entwicklungen. Diese Richtlinie baue auf nationalen Zugangsregelungen auf und die ursprüngliche Umsetzungsfrist war der 1.7.2005. Die aktuelle Novelle ziele auf die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auf Bibliotheken, Archive und Museen. Problematisch sei hierbei, dass Museen oft Ausschließlichkeitsvereinbarungen mit ihren Leihgebern hätten. Die Europäische Kommission fordere die Anwendung des "marginal cost" — Ansatzes bei der Tarifierung (Art. 6). Das bedeute, nur diejenigen Kosten, die durch die elektronische Verfügbarmachung entstehen, seien umzulegen, nicht die ursprünglichen Gestehungskosten der Information; und das tendiere gegen Null. Hierin liege eine verdeckte Subvention des Weiterverwenders durch die betroffene öffentliche Stelle, also verlange die Europäische Kommission den österreichischen Museen faktisch einen Verstoß gegen EU-Subventionsrecht ab. Die Kommission bestehe darauf, dass alles was technisch öffentlich zugänglich sei, auch der Weiterverwendung unterliegen müsse. In Österreich gebe es — im Gegensatz zu Deutschland und vielen anderen Mitgliedsstaaten — aber kein horizontales Informationsfreiheitsgesetz, das den Zugang zu Informationen der Öffentlichen Hand ermögliche. (Informationsweiterverwertungsgesetze gebe es im Bund und in jedem Bundesland). Problematisch sei auch, dass Österreich keine Sonderbehörde haben wolle (Art. 4), Europäische Kommission und Parlament aber doch. Eine Abstimmung im Plenum des EP erfolge voraussichtlich im September 2013.
Abs. 27
Unter der Fragestellung "Open Data = All Data for free?" betrachteten auch Alexander Balthasar und Alexander Prosser die bevorstehende Änderung der PSI-Richtlinie.
Abs. 28
Ein Hintergrund zu den Streitfragen mit Österreich beginne schon bei den Grundvoraussetzungen von Daten im Besitz der öffentlichen Hand. Denn "im Besitz" werde in Österreich als "im Eigentum" definiert, und es gebe in Österreich kein "öffentliches Sachenrecht" wie in Frankreich oder Deutschland. Zweiter Punkt sei, dass die IWG-Richtlinie nationale Zugangsregelungen dem Wortlaut nach unberührt lasse und somit formaljuristisch komplett ausgehebelt werden könne. Laut Balthasar ist es also ein Opt-out-System und Österreich hat durch den Nichterlass von Zugangsgesetzen der generellen Anwendung der PSI-Weiterverwendungsrichtlinie theoretisch den Boden entzogen. Dritter Problemkreis sei die Rückkehr zum mittelalterlichen iustum pretium-Begriff durch die Europäische Kommission, weil die öffentliche Hand den Preis für "ihre" Daten nicht im Wege der Preisbildung am freien Markt, sondern unter Kontrolle der Kommission (Grenzkostenforderung) veräußern solle. Der Referent warf der Richtlinie einen quasi-kommunistischen "Zugriff-auf"-Ansatz vor. Prosser nahm speziell die Kosten oder Gebühren, die die Behörde für die Weiterverwendung laut Kommissionsplan verlangen darf, aufs Korn: Klassisch ermittle man eine Gebühr, indem man die Vollkosten der Leistungserstellung teile durch projektierte Anzahl der Kunden. Und die Herstellungskosten inklusive overhead-Umlagen seien die Vollkosten. Leerkosten dürfen darin nicht angesetzt werden (IFRS der IAS). Diese Berechnung setze eine Kosten- und Leistungsrechnung voraus. In einem kameralen System, wie es in Österreich derzeit noch üblich sei, könne aber üb erhaupt keine Gewinn- und Verlustrechnung stattfinden, sodass die Herstellungskosten erst in der Zukunft ermittelbar seien. Dies stehe derzeit einer Gebührenfestsetzung für PSI-Fälle entgegen. Nach der Novelle dürften dann nur noch Grenzkosten verrechnet werden für die Weiterverwendung, also "marginal costs incurred for supplying and allowing re-use of documents" (Vgl. Art. 6 des Entwurfs in http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/12/st16/st16660.en12.pdf). Grenzkosten seien definitionsgemäß jeweils die Kosten der nächsten zusätzlichen Leistungseinheit. D.h. der erste Kunde würde mehr bezahlen als der zweite. Hierein liege eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, der aber ebenfalls in der PSI-Richtlinie aufgeführt sei. D.h. es müsse von einer strengen Grenzkostenorientierung sicher abgewichen werden. Der Referent schlägt vor, von Thomas von Aquins turpe lucrum-Verbot abzuweichen und anstelle der Kostenorientierung beim IWG die PSI-Daten doch besser zu versteigern.
Abs. 29
Das Thema scheint politisch bewegend zu sein. Ein Diskussionsbeitrag von Dieter Zoubek (Wirtschaftskammer Salzburg) lautete: Ziel der Richtlinie sei Förderung der Wirtschaft durch Informationsweiterverwendung gewesen. Da dies nicht messbar geworden sei, habe man mit der Novelle eine Nachhilfestellung gewollt. Wenn nun ein Opt-out-Modell favorisiert werde, sei dies eher eine weitere Bremse und widerspreche dem Ansatz der Richtlinie. Da den Behörden die Richtlinie grundsätzlich nicht gefalle, versuchten sie durch gewundene Argumentationen das System zu komplizieren und unter Berufung auf differenzierte Gerechtigkeitsbetrachtungen deren interne Rechtsprobleme zu einer vollständigen Ablehnung auszunutzen. Die Referenten traten dieser Argumentation entgegen und verglichen dazu unter anderem sozialen Wohnungsbau mit öffentlichen Datensammlungen: Wenn man Daten zum Digitalisierungspreis an Wirtschaftsunternehmen weitergeben müsse, sei das, wie wenn der Staat Mietwohnungen zum Preis der bloßen Verwaltungskosten an Investoren gäbe. Konsens war in der kurzen Diskussionszeit nicht zu erzielen.
Abs. 30
Robert Stein vom BMI in Wien hatte Neuerungen zu Volksbegehren im Gepäck. Die österreichische Bundesregierung kündigte 2012 eine zentrale Datenbank an, die Volksbegehren und parlamentarische Bürgeranfragen organisatorisch zu unterstützen. Damit solle dann die online-Teilnahme an Volksbegehren und Petitionenteilnahme ermöglicht werden. Problematisch seien nach bisheriger Datenhaltung z.B. ehemalige Auslandsösterreicher, frisch Umgezogene, Häftlinge und auch gewachsene, dem Staat nicht geöffnete Wählerverzeichnisse, aus denen sich Parteien informieren können. Diese neue Datenbank müsse webbasiert sein und eine örtliche Plausibilitätskontrolle zur Qualitätssicherung enthalten. Der geplanter Vorteil sei, dass Auszählungsvorgänge und Überprüfungen künftig wegfallen könne, wodurch Ergebnisse schneller verfügbar würden.
Abs. 31
In der Session Juristische Informatik-Systeme hatte Thomas Gordon die Sessionsleitung. Alexander Konzelmann erstattete einen Werkstattbericht zur Konvertierung von komplexen XML-Daten aus einer Vorschriftendatenbank in das Format JSON zur Bestückung von Apps unter Einsatz von zwischengeschalteten NoSQL-Datenbanken mit Webserverqualität. Hauptprobleme im Netz vorgefundener Black-Box-Konverter seien der Umgang mit Sonderzeichen, die DTD-spezifische Differenzierung zwischen Gliederungsebenen und #PCDATA-Elementen und die Interoperabilität mit dem benchmark-Browser www.jsonlint.org. Daher sei bei entsprechender Aufgabenstellung der Weg zum eigenen Konverter mit "Bordmitteln" empfehlenswert. JSON (www.json.org) reduziere die XML-Baumdarstellung mit ihrem Erfordernis sprechender Ende-Tags auf Name/Wert-Paare mit Klammersetzung.
Abs. 32
Den Sessionsvorsitz für mobile Anwendungen führte Marius Roth. Nadine Pertl stellte die LindeOnline App vor, die auch offline funktioniere. Ein Bibliotheksmodell diene als Grundlage, alle gebuchten Inhalte gehören zur Bibliothek, zudem könne man sich eine Handbibliothek mit den Optionen "mitnehmen und zurückstellen" einrichten, mit dem Ziel skalierbarer Speicherverwendung. Die App sei ein kostenloses Zusatzfeature zur LindeOnline-Nutzung. Auch auf noch nicht gebuchte Inhalte habe man Zugang über eine sogenannte Kiosk-Funktion. Ein News-Schalter runde die App ab. Die neue Kodex App umfasse zwei Bände und es gebe Freischaltcodes dazu im Printpodukt (Rubbelcode). Die Produkte LindeOnline und LexisNexis Kodex des Österreichischen Rechts seien verknüpft. Die Volltextsuche offline funktioniere in beiden Apps, Indizes würden beim Herunterladen des Bibliothek-Teilinhalts mit geladen und auf dem Endgerät mit dem vorhandenen "gemerged".
Abs. 33
Aus dem Manz Verlag berichtete Reinhard Radatsch über elektronische Zeitschriftenangebote, die auch über mobile Devices verfügbar seien. Die Hefte-Erschließung erfolge auf mehreren Wegen, auch über das Inhaltsverzeichnis. Tablets seien zur Nutzung empfohlen, wegen Textlastigkeit. Apps seien in den Zeitschriftenabos jeweils inbegriffen. Auf Fahrten ins Wochenende müsse z.B. die Papierausgabe nicht mehr mitgenommen werden. Die Produkte ecolex, immolex seien frisch als App am Markt und durchaus beliebt. Basis der APPs seien die PDFs der Einzelhefte aus der Setzerei, angereichert mit Links. Derzeit seien sie noch nicht für Android und sonstige non-Apple-Systeme verfügbar.
Abs. 34
Im Track Juristische Informatik-Systeme hatte die Sessionleitung Burkhard Schafer inne. Thomas Heistracher stellte das ENDORSE — Project "PRDLWorkflow" vor. PDRL stehe für "Privacy Rule Definition Language", ein sprachbasiertes Expertensystem für den Schutz personenbezogener Daten. Die Arbeitsgruppe habe ein Framework aus Open Software Tools erstellt, mit dem juristisch geschulte Endnutzer Unternehmens-Datenschutzrichtlinien implementieren, bestehende Muster übernehmen, ändern, anlegen und kontrollieren können. Sie müssten dazu keine Informatik-Spezialisten sein, sondern wissen, welche Daten im Unternehmensumfeld zu schützen sind und mit welchem Schutzniveau. Es müsse möglich sein, die Unternehmens-Politik zum Datenschutz (Enterprise Privacy Policy EPP) gegen die nationalen und internationalen zwingenden Regeln abzuprüfen (compliance) und die Spielräume darin zu kennen. Die PDRL — Regeln seien menschen- und maschinenlesbar. Es gebe dazu drei PDRL-Dialekte, um die Sprachprobleme zwischen Technikern, Juristen und Endanwendern zu minimieren. Das Projekt sei EU-gefördert und solle insbesondere im Gesundheitswesen angewandt werden. Ein weiterführendes Papier dazu ist unter http://www.acsac.org/2010/workshop/p27-malone.pdf zu finden. PDRL habe den Zweck, regelbasiert die Privatheit persönlicher Daten durchzusetzen. Warum dafür nochmals eine neue Sprache benutzt werden soll, könne am Bestreben der Unabhängigkeit zu liegen.
Abs. 35
Ein kollaboratives Projekt namens "Argumentum" zwischen der Universität des Saarlandes - Institut für Rechtsinformatik, der Europäischen EDV-Akademie des Rechts und dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz — Saarbrücken stellte die Referentin: Iris Speiser vor (http://argumentum.eear.eu). Es umfasse die Analyse und Synthese von Argumentationsstrukturen durch rechnergestützte Methoden am Beispiel der Rechtswissenschaft. In einer Laborumgebung: mit 5000 begründeten Entscheidungen des Deutschen Bundesverfassungsgerichts aus dem Zeitraum 1988 — 2012 habe man mit der Regelfindung begonnen. Projektlaufzeit sei bis 2015. Zuerst sollen die Dokumentenstrukturen ermittelt werden. Es gebe unterschiedliche Verfahren zur Ermittlung von Argumentationsstrukturen auf der Basis von Wörtern: regelbasierte, statistische, hybride, lernende und nicht-lernende. Den Anfang bildeten händische Annotation von Texten, die Argumentationen enthalten, mit dem Ziel, typische Suchbegriffe für eine spätere Auswertung zu finden. Als Zwischenbefund sei bereits heute zu berichten: "Zwar-aber" komme beim Deutschen BVerfG kaum vor, die Satzkonstruktionen wichen vom Englischen so weit ab, dass bereits vorliegende Arbeiten aus dem angloamerikanischen Rechtsraum kaum weiterhelfen. Und selbst gut trainierte Systeme identifizierten in der Regel nicht alle Elemente einer Argumentationsstruktur korrekt. Das Projekt werde vom BMBF gefördert.
Abs. 36
Einen Bericht über eine Dissertation mit dem Titel "Abstraktion als Grundlage der automatisierten Vollziehung" trug Johannes Scharf vor. Es ging um die EDV-Umsetzung der Aktualisierung eines Sozialleistungsgesetzes (Kriegsopferversorgungsgesetz) in Österreich mit e-Government Software. Es werde eine KOVG-spezifische Ontologie zu dessen Begrifflichkeiten erstellt und die zugehörigen Subsumtionsregeln würden in ihrer Komplexität in der OWL-Sprache abgebildet. Anschließend seien noch Berechnungen notwendig, wenn es um die Höhe von Unterstützungsansprüchen gehe. Wenn sich das Gesetz ändere, müssen die erstellten Regeln über einen Pushdienst aus der Rechtsdatenbank ebenfalls einer Anpassung unterzogen werden. Derzeit sei nicht geplant, ein über das konkrete Projekt hinausgehendes, allgemein lauffähiges Expertensystem daraus zu erstellen. Tom Gordon empfahl über OWL hinaus noch den Einsatz einer Regelsprache wie z.B. Rule Interchange Format (http://de.wikipedia.org/wiki/Rule_Interchange_Format). Bisherige automatisierte Anwendungen zur Vollziehung von Sozial- und Steuerrecht seien in anderen Programmiersprachen auf Großrechnern lauffähig, aber schwerfällig in der Aktualisierung.
Abs. 37
Peter Lechner fragte im Arbeitskreis Science Fiction, ob Roboter intelligent seien. Roboter seien von Menschen gemachte Computer mit Zusatzfähigkeiten. Und es gebe gemäß Michio Kaku drei Grade der Unmöglichkeit. Erstens: Ohne Verletzung von Naturgesetzen denkbar, aber derzeit unmöglich, also z.B. Teleporter, Übertragung des eigenen Bewusstseins und Gedächtnisses auf einen Computerprozessor, etc. Zweiter Grad: Am Rande unseres Physikverständnisses angesiedelt, Paralleluniversen, Lichtgeschwindigkeitsüberschreitung. Dritter Grad: Verletzung bekannter Naturgesetze. Perpetuum mobile, Präkognition. Es gebe auch bereits Theorien zur Frage, ob Roboter oder Computer lebten. Als Beispiel wurde die Reproduktivität von Computern erwähnt: Es ist nicht möglich, derzeit einen aktuellen Prozessor in angemessener Frist zu entwickeln, ohne die Unterstützung durch Computer zu nutzen. Maßstab sei nach wie vor der Turing-Test: ein Mensch und ein Computer hinter einer undurchsichtigen Wand werden von Menschen befragt. Der Mensch muss "menschlich" unverstellt antworten. Der Computer soll vorgeben, ein Mensch zu sein. Wenn ein Computer mehr als 50% der Fragesteller täuschen kann, hat er den Turing-Test bestanden. Und man müsse bei solchen Fragen wie der Intelligenz von Robotern stets bedenken, dass Menschen empfindlich seien. Die drei Kränkungen der Menschheit seien bekanntlich Kopernikus, Darwin, Freud. Kein Mittelpunkt des Universums, Abstammung vom Affen und vom Unterbewusstsein gesteuert, wie peinlich. Roboter seien noch nicht so sehr gekränkt worden. Sie seien dafür vom Menschen gemacht. Wollten wir Menschen jetzt auch noch Roboter, die menschliche Eigenschaften und Intelligenz haben? Evolution sei ein Wettbewerb, Roboter eventuelle Mitbewerber. Der Referent fragte, ob wir uns vor Computern fürchten müssen. Als Zeichen des Lebens könne bereits gewertet werden: Ein Computer habe Sinnesorgane, bekomme Krankheiten, halte sich sich Haustiere (bugs), könne kommunizieren, nehme am Alltagsleben teil und sei ein verständnisvoller Zuhörer, Lehrer und Spielgefährte. Aber können Computer auch kreativ sein?
   "Verrücktes Mondkind,
    hüte Dich vor dem Saal,
    trotze deinem Schicksal!"
Das sei ein computergefertigtes Gedicht. - Ob es aussichtslos sei, dass ein Roboter je Emotionen oder Bewusstsein haben werde, Muster erkenne und mit einem "einfachen Verstand" verarbeite? Und in welcher Kaku'schen Ebene der Unmöglichkeit (http://en.wikipedia.org/wiki/Physics_of_the_Impossible) bewege sich dieses derzeitige Unvermögen? - Auf die Frage nach zu ziehenden Konsequenzen aus der ambivalenten Bewertung der Intelligenz von Robotern, antwortete der Referent philosophisch ausweichend unter Berufung auf sein fortgeschrittenes Alter.
Abs. 38
Die Tagung war sehr gut besucht und findet 2014 vom 20. bis 22. Februar statt.

JurPC Web-Dok.
167/2013, Abs. 39
*Dr. Alexander Konzelmann ist Lektor für elektronische Medien beim Richard Boorberg Verlag Stuttgart.
[ online seit: 01.10.2013 ]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Konzelmann, Alexander, Tagungsbericht IRIS 2013 - JurPC-Web-Dok. 0167/2013