Stefanie Schubert *Das empirische Verbraucherverständnis über Top-Level-DomainsJurPC Web-Dok. 62/2007, Abs. 1 - 54 |
1. Einleitung |
Das Verbraucherverständnis über Top-Level-Domains (TLDs) bzw. TLDs
in Verbindung mit Second-Level-Domains war schon häufig Gegenstand von
Rechtsstreitigkeiten vor Gerichten. Meist entschieden die Richter aufgrund
ihrer eigenen Sachkunde als angesprochener Verkehr.(1)Nun ist, soweit ersichtlich, die erste empirische Untersuchung(2)zu diesem Thema mit ausgewählten Top-Level-Domains durchgeführt worden. Die
wesentlichen Ergebnisse dieser unveröffentlichten Studie(3)sowie rechtliche Rückschlüsse stellt dieser Beitrag vor.
| JurPC Web-Dok. 62/2007, Abs. 1 |
2. Aktuelle Entwicklungen |
Während es bis vor kurzem lediglich Länderdomains und generische TLDs gab, zeichnet sich aktuell eine Entwicklung zu neuen TLDs ab, die nicht mehr in diese Differenzierung passen. Nach ".eu" für die Europäische Union, ".asia"(4)für den asiatischen Raum und ".cat" für den katalanischen Kulturraum planen immer mehr regionale Initiativen eigene TLDs.(5) | Abs. 2 |
Nicht nur in der juristischen Literatur wird die Weiterentwicklung
auch des deutschen TLD-Namensraumes begrüßt.(6)Inzwischen hat ebenso die deutsche Politik die Wichtigkeit an der Teilnahme
eines sich weiterentwickelnden Adressraums im Internet erkannt. Angesichts des
weltweiten Trends, den Adressraum um regionale Adressierungen zur Förderung
einer lokalen und regionalen Nutzung zu erweitern, befürwortet der Deutsche
Bundestag private Initiativen für Deutschland, um eine Benachteiligung
deutscher Städte, Gemeinden und Regionen gegenüber ausländischen Regionen und
Metropolen zu vermeiden.(7)Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich für die Zulassung neuer TLDs,
insbesondere regionale und urbane TLDs wie beispielsweise ".bayern", ".nrw"
oder ".berlin" als sinnvolle Ergänzung des Landerkennzeichens ".de",
auszusprechen.(8)Soweit ersichtlich, ist die private Initiative zur TLD ".berlin" allerdings
bislang deutschlandweit die einzige konkret geplante.(9) | Abs. 3 |
3. Beschreibung der Basisdaten der Untersuchung |
Die Umfrage wurde in dem Zeitraum vom 15.02.2007 bis zum 25.02.2007 durchgeführt. Per Zufall wurden 6.000 Mitglieder eines passiv rekrutierten Online-Access-Panels zur Teilnahme an der Umfrage eingeladen. Davon haben 68 % mindestens eine Frage beantwortet. Aus den Rückläufern wurde eine repräsentative Stichprobe unter Berücksichtigung von AGOF-Daten(10)bezüglich Geschlecht, Alter und Bildung von insgesamt 700 Personen ausgewählt, die alle Fragen zuverlässig beantwortet haben. Davon hatten 100 Personen ihren Wohnsitz in Berlin, die übrigen 600 in anderen Bundesländern.(11) | Abs. 4 |
Knapp über die Hälfte (56 %)
der Teilnehmer waren Männer, 44 % der Teilnehmer waren Frauen. Alle
Altersstufen waren unter den Befragten vertreten. Rund 33 % der Teilnehmer
waren bis 29 Jahre alt, rund 43 % der Befragten waren zwischen 30 und 49
Jahre alt und rund 24 % waren 50 Jahre oder älter. Gleichfalls waren alle
Bildungsschichten vertreten. Ein Viertel (25 %) der Befragten hatte keinen
oder den Hauptschulabschluss. Über die mittlere Reife verfügten 43 %. Die
Hochschulreife haben 30 % erworben. Die Teilnehmer gehören zu mit dem
Internet erfahrenen Nutzern. Über 96 % der Befragten nutzen das Internet
seit über vier Jahren. Ein knappes Drittel (31 %) nutzt das Internet
mindestens 30 Stunden pro Woche. | Abs. 5 |
4. Bekanntheitsgrade verschiedener Top-Level-Domains |
Den Teilnehmern wurde eine Auswahl an TLDs angeboten mit der Bitte
anzugeben, welche ihnen davon bekannt sind. Die Urahnen der TLDs (".com",
".net", ".org") und ".de" waren mit Werten über ca. 90 % der überwiegenden
Mehrheit der Nutzer bekannt. Für ca. 71-72 % der Nutzer sind ".info",
".eu" und ".tv" gleichermaßen bekannt. Deutlich weniger bekannt sind ".ag" (ca.
15 %) und ".jobs" (ca. 9 %). Selbst TLDs, die sich noch in der
Einführungs- bzw. Planungsphase befinden (".berlin" mit 4 %(12)und ".asia" mit 2 %) sind einigen Nutzern - wahrscheinlich aus den Medien
- bekannt. Obwohl sie bereits existiert, ist die TLD ".museum" nur ca. 3 %
bekannt.
| Abs. 6 |
5. Kennzeichnungsfunktion einer Internetadresse: Zusammenhang von Domain und Internetangebot |
Lediglich ca. 27 % der Befragten gaben an, dass die Internetadresse meistens nur eine Adressfunktion habe und nichts über das Internetangebot aussage. Für 60 % sagt die Internetadresse häufig etwas über das Internetangebot aus. Für die übrigen ca. 13 % Befragten gehören das Internetangebot und die Internetadresse sogar immer zusammen, d. h. für eine deutliche Mehrheit gehören Internetadresse und -angebot häufig oder sogar immer zusammen. Überwiegend findet demnach keine separierte Wahrnehmung von Domainnamen und darunter abzurufendem Internetangebot durch die Internetnutzer statt. | Abs. 7 |
Daraus lassen sich zweierlei Rückschlüsse ableiten: Zunächst ist der seit langem herrschenden Lehre zuzustimmen, dass eine Internetadresse (nach der bisherigen Meinung die Second-Level-Domain) nicht nur Adressfunktion, sondern auch Kennzeichnungsfunktion bezogen auf den unter einer Adresse abrufbaren Inhalt aufweist.(13) | Abs. 8 |
Zweitens legt das Verbraucherverständnis nahe, bei der rechtlichen
Würdigung von Domainstreitigkeiten den Inhalt der Webseite mit zu
berücksichtigen - auch bei namensrechtlichen(14)und wettbewerbsrechtlichen(15)Streitigkeiten. Bislang wird der Inhalt lediglich bei der Prüfung der
kennzeichenrechtlichen Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit bzw.
Branchenähnlichkeit regelmäßig herangezogen. Namensrechtlich wird ohne
Hinzutreten besonderer Gründe bisher ausschließlich auf die Domain als solche
abgestellt.(16)Das gleiche gilt für wettbewerbsrechtliche Sachverhalte,(17)lediglich im Ausnahmefall wird auch der Inhalt der Webseite berücksichtigt.(18) | Abs. 9 |
6. Zuordnungsverwirrung zur Gebietskörperschaft als staatlichem Betreiber?6.1 Verbrauchervorstellungen über den Betreiber einer Top-Level-Domain |
Gemäß § 12 BGB ist das Recht
am eigenen Namen gegen Namensanmaßung geschützt, wenn jemand unbefugt einen
fremden Namen benutzt, aufgrund dessen eine Zuordnungsverwirrung(19)auslöst und dadurch schutzwürdige Interessen des Namensträgers verletzt.(20)Bei der Verwendung eines fremden Namens als Internetadresse liegen diese
Voraussetzungen in der Regel vor.(21)Namensrechtliche Domainstreitigkeiten werden
über die Namensanmaßung gelöst, auch wenn es durchaus alternative, dem Medium Internet adäquatere Überlegungen gibt.(22) | Abs. 10 |
Gebietsdomainnamen kommt Namensschutz nach § 12 BGB zu, was im Bereich der Second-Level-Domains der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung entspricht.(23)Relativ neu im Hinblick auf die Weiterentwicklung des Domainnamensraums ist die Frage, ob auch eine Zuordnungsverwirrung zu einer Gebietskörperschaft aufgrund der Top-Level-Domain eintreten könnte.(24) | Abs. 11 |
Die Probanden wurden zunächst - ohne Nennung einer Second-Level-Domain - gefragt, wer ihrer Auffassung nach Betreiber der TLD ".de" ist. Von den Befragten aus den übrigen Bundesländern nannten 79 % eine private Vergabestelle; 19 % gehen von einer staatlichen Vergabestelle aus. (25)Die Berliner waren in ihrem Votum noch eindeutiger: 85 % der Befragten ist bekannt, dass ".de" von einer privaten Vergabestelle verwaltet wird, lediglich 15 % gehen von einer staatlichen Vergabestelle aus. | Abs. 12 |
Bei der noch in der Einführung befindlichen TLD ".berlin" ist das Votum mangels Erfahrungswerten zwar nicht ganz so deutlich, doch nimmt auch hier mit ca. 52 % die Mehrheit der Teilnehmer aus den übrigen Bundesländern eine private Vergabestelle an.(26)Eindeutiger waren auch hier die Berliner: 58 % gehen bei "ihrer" TLD von einer privaten Verwaltung aus.(27)Da weder bezüglich der TLD ".berlin" noch anderer innerdeutscher TLDs reale Erfahrungswerte der Verbraucher vorliegen, überrascht es nicht, dass die Befragten in ihrem Votum weniger eindeutig sind. Andererseits zeigt die trotz dessen vorhandene Mehrheit, dass die Nutzer offensichtlich ihre Erfahrungen mit ".de" und anderen TLDs - da jedenfalls in Europa keine TLD direkt von einer Regierung verwaltet wird(28)- auf neue, ihnen unbekannte TLDs übertragen. Auch wenn den Befragten die DENIC als Antwortalternative nicht explizit vorgegeben wurde, ist zu vermuten, dass einem nicht unwesentlichen Teil der Befragten die DENIC als private Vergabestelle der ".de"-TLD bekannt ist. | Abs. 13 |
Die empirischen Ergebnisse stehen überdies im Einklang mit Rechtsprechung und Literatur, nach der der Nutzer anhand der ".de"-TLD erkennt, dass die jeweilige Domain bei der deutschen Vergabestelle DENIC registriert wurde,(29)die privatrechtlich organisiert ist.(30) | Abs. 14 |
Für eine Verwechslungsgefahr im Sinne des § 12 BGB müsste hingegen
die Erwartung der Verbraucher bestehen, die Bundesrepublik Deutschland verwalte
den Namensraum ".de" oder lasse ihn im Auftrag verwalten. Es reicht jedoch
nicht aus, dass ein Teil des Publikums eine Zuordnung einer TLD zu einer
Gebietskörperschaft nicht ausschließt oder für möglich hält, sondern es müsste
eine positive Erwartung in dieser Richtung bestehen.(31)Eine solche Erwartungshaltung des Verkehrs besteht nach den Studienergebnissen
gerade nicht.(32) | Abs. 15 |
6.2 Verbrauchervorstellungen über den Betreiber eines Internetangebotes unter verschiedenen Top-Level-Domains |
In einem zweiten Schritt wurden die Teilnehmer gefragt, wen sie als Betreiber von Internetangeboten aufgrund der Top-Level-Domain vermuten. | Abs. 16 |
Das Umfrageergebnis(33)zeigt, dass sich die Nutzer realistischer Weise bewusst sind, dass Internetangebote unter der weitgehend unbeschränkten(34)".de"-Domain von einer Vielzahl unterschiedlicher Anbieter stammen können: Rund 83 % der Teilnehmer nannten Unternehmen als Betreiber, gefolgt von Privatpersonen (ca. 78 %), deutschen Staatsangehörigen (ca. 71 %), staatlichen Behörden (ca. 67 %), nicht-staatlichen Organisationen (62 %) sowie ausländischen Staatsangehörigen (ca. 41 %).(35) | Abs. 17 |
Ähnlich breit gestreut zeigt sich das Bild bei der Frage, welche Betreiber der Internetangebote die Nutzer bei Webseiten unter der ".berlin"-Domain erwarten. Hier erwarten ca. 83 %, dass sich insbesondere Behörden der Stadt/des Landes Berlin einer solchen TLD bedienen. Ähnlich häufig wie bei der TLD ".de" gehen die Nutzer davon aus, dass Internetangebote von Unternehmen (ca. 80 %), Einwohnern der Stadt Berlin (ca. 77 %) Privatpersonen (ca. 71 %), deutschen Staatsangehörigen (54 %), Bundesbehörden (ca. 53 %), nicht-staatlichen Organisationen (ca. 49 %) oder ausländischen Staatsangehörigen (ca. 37 %) betrieben werden. | Abs. 18 |
Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Verbraucher sowohl bei bereits
existierenden TLDs als auch bei noch in der Einführung befindlichen TLDs keinen
Rückschluss auf den Betreiber eines Internetangebotes allein anhand der TLD
vornehmen. Es ist ihnen vielmehr bewusst, dass die unterschiedlichsten Akteure
Betreiber sein können. Einzig die nahe liegende Erwartung, dass sich bei der
berlin-spezifischen TLD auch insbesondere die mit Berlin verbundenen Einwohner,
Unternehmen und Behörden für eine Bereitstellung von Angeboten unter dieser TLD
interessieren werden, fällt auf. Die Ergebnisse dieses Vergleiches zeigen, dass
die TLD zwar die Erwartungshaltung mit prägen kann, jedoch nicht soweit, dass
es unter verschiedenen TLDs zu einer gänzlich abweichenden Beurteilung kommt.
| Abs. 19 |
6.3 Verbrauchervorstellungen über den Betreiber eines Internetangebotes durch die Kombination von Second-Level-Domain und Top-Level-Domain |
Noch deutlicher wird das Umfrageergebnis, wenn man die Nutzereinschätzung anhand der Kombination einer Second-Level-Domain mit einer TLD betrachtet, also so, wie eine Domain einem Nutzer im Regelfall begegnet. | Abs. 20 |
So nahmen bezüglich der Domain www.siemens.de 91 % an, dass es sich um eine Website des Unternehmens Siemens handelt, lediglich 3 % gingen von einer staatlichen Behörde als Betreiber aus. Ähnlich nahmen 88 % bei der Domain www.siemens.berlin an, dass es sich um ein Internetangebot dieses Unternehmens handelt;( (36) in diesem Fall nahmen 4 % der Teilnehmer an, eine solche Seite würde von einer Berliner Behörde betrieben. | Abs. 21 |
Anders sieht das Bild aus, wenn den Nutzern eine "regierungsnahe" Second-Level-Domain angeboten wird. So nahmen bezüglich der Domain www.bundesregierung.de ca. 89 % an, es handele sich um die Website der Bundesregierung, die 68 % von einer staatlichen Behörde betrieben sehen. Bei einer Domain www.buergermeister.berlin nehmen ca. 85 % ein Internetangebot der Berliner Landesregierung oder der Stadt Berlin an, wobei ca. 65 % als Betreiber der Seite eine Berliner Behörde vermuten. | Abs. 22 |
Überdies wurde die Nutzereinschätzung bei einer generischen Second-Level-Domain anhand der Domains www.kino.de und www.kino.berlin abgefragt. So sahen ca. 88 % in der Seite kino.de ein Kinoportal für Kunden in Deutschland. Lediglich ca. 1 % sah hinter dieser Seite eine staatliche Behörde als Betreiber. Ähnlich interpretierten ca. 87 % in der Seite kino.berlin ein Kinoportal für Kunden in Berlin. Lediglich 6 % vermuteten dahinter eine Berliner Behörde als Betreiber des Internetangebots.(37) | Abs. 23 |
Auch diese Ergebnisse bestätigen, dass die Verkehrsauffassung maßgeblich von der Second-Level-Domain beeinflusst wird, die TLD spielt demgegenüber eine unwichtigere Rolle; sie ist lediglich den Eindruck mit prägend.(38) | Abs. 24 |
Die Empirie steht mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Einklang. In dem Urteil solingen.info entschied der BGH unlängst, dass die Verwendung eines Namens einer Gebietskörperschaft ohne weitere Zusätze als Second-Level-Domain zusammen mit der TLD ".info" eine unberechtigte Namensanmaßung darstellt. In seiner Urteilsbegründung stellte der BGH fest, dass sich die Internetnutzer bei der Zuordnung des Domainnamens zu einem Namensträger vorrangig an der Second-Level-Domain orientieren, wenn auch bestimmte TLDs einer Zuordnungsverwirrung entgegenwirken könnten.(39) | Abs. 25 |
Im Ergebnis betont der BGH die vorrangige Prägung des Eindrucks des
Publikums anhand der Second-Level-Domain, während der TLD lediglich eine mit
prägende, entgegenwirkende Bedeutung beigemessen wird. Eine solche Wirkung
könnte sich beispielsweise bei der Domain www.solingen.berlin ergeben.
| Abs. 26 |
6.4 Zwischenergebnis |
Im Ergebnis ist aufgrund der Verwendung einer TLD die
Zuordnungsverwirrung zu einer Gebietskörperschaft ausgeschlossen: Sowohl die
Frage nach dem jeweiligen Betreiber von TLDs als auch die Frage nach dem
Betreiber von Internetangeboten unter verschiedenen TLDs zeigen, dass sich die
Nutzer der Vielfältigkeit der Akteure im Internet bewusst sind. Darüber hinaus
orientieren sich die Nutzer vorrangig an der Second-Level-Domain; der
verwendeten TDL kommt lediglich eine mit prägende Wirkung des Gesamteindruckes
zu.
| Abs. 27 |
7. Überprüfung des rechtlichen Konzeptes der sprechenden und nicht-sprechenden Top-Level-Domains anhand der empirischen Befunde |
Die Teilnehmer hatten im Rahmen der Umfrage überdies Gelegenheit, Stichwörter mit einzelnen TLDs frei zu assoziieren. Zur Verfügung standen die TLDs ".ag", ".eu", ".com", ".jobs", ".berlin" und ".asia". Die Studie bietet damit die Möglichkeit, das anlässlich der Erweiterung des Namensraumes entwickelte Konzept der sprechenden und nicht-sprechenden Top-Level-Domains(40)anhand empirischer Daten zu überprüfen. | Abs. 28 |
Das Konzept bietet angesichts der Weiterentwicklung des
Domainnamensraumes ein differenziertes Instrumentarium zur markenrechtlichen,
namensrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von TLDs. Dazu sind
diese zunächst in "sprechende", d. h. klar verständliche und semantisch
wahrnehmbare Wörter oder Abkürzungen der deutschen oder der einfachen
englischen Sprache, und "nicht-sprechende" TLDs zu unterscheiden. Während
nicht-sprechende TLDs nach dem bisherigen Grundsatz unbeachtlich bleiben,
werden sprechende TLDs in die Prüfung mit einbezogen. In einem zweiten Schritt
wird der Webseiteninhalt und ggf. das Impressum mit einbezogen bzw. bei Bedarf
die Verkehrsvorstellung normativ korrigiert.
| Abs. 29 |
7.1 Verkehrsauffassung über die Top-Level-Domain .ag |
Bei Anwendung des vorgenannten Konzeptes ist die TLD ".ag" als eine im deutschsprachigen Raum klar verständliche Abkürzung(41)als sprechend einzustufen.(42) | Abs. 30 |
Die empirischen Antworten zur TLD ".ag" zeigen, dass den wenigsten Nutzern die zutreffende Abkürzung für Antigua & Barbuda(43)bekannt ist (0,8 %). Wenn die Nutzer darin überhaupt eine Länderkennung erblicken, werden eher Argentinien (2 %) oder Österreich (1 %) vermutet. | Abs. 31 |
Zwar verbinden rund 21 % mit ".ag" Aktiengesellschaften,(44)aber auch Unternehmen anderer Rechtsformen werden damit assoziiert (ca. 13 %). Mit deutlichem Abstand verbinden die Nutzer mit dieser TLD Arbeitsgemeinschaften (ca. 2 %) und Agenturen (ca. 1 %). Am deutlichsten ist jedoch, dass ein Drittel (ca. 33 %) überhaupt keine Bedeutung mit dieser TLD verbindet. | Abs. 32 |
Die Studie gibt der bisherigen Rechtsprechung insoweit recht, dass - wenn überhaupt - eine gedankliche Verbindung des Publikums am ehesten zu einer Aktiengesellschaft besteht(45)und die wenigsten Verbraucher die wahre Bedeutung kennen.(46)Dies zeigt, dass die TLD ".ag" durchaus zutreffend als sprechende TLD zu qualifizieren ist, so dass in einem zweiten Schritt eine wettbewerbswidrige Verwendung der TLD anhand der Anbieterkennzeichnung und des Inhalts der Webseite zu prüfen ist.(47) | Abs. 33 |
Allerdings ist zu beachten, dass ein deutlich signifikanterer
Anteil der Nutzer mit der TLD überhaupt nichts verbindet. Somit wurde die
Eindeutigkeit der bisherigen Rechtsprechung, dass die Verbraucher zwangsläufig
mit der TLD ".ag" eine Aktiengesellschaft assoziieren, empirisch nicht
bestätigt.
| Abs. 34 |
7.2 Verkehrsauffassung über die Top-Level-Domain .eu |
Auch die TLD ".eu" ist als klar verständliche Abkürzung dem Konzept folgend als sprechend einzustufen.(48) | Abs. 35 |
Die freien Assoziationen der Internetnutzer zu ".eu" werden mit überwältigender Mehrheit von "Europa", "Europäischer Union" bzw. "europäisch" (77 %) dominiert. Deutlich seltener und ungefähr ähnlich häufig werden Unternehmen (ca. 9 %), Privatpersonen (ca. 6 %) und Behörden (ca. 5 %) damit verbunden.(49) | Abs. 36 |
Auffallend ist, dass gegenüber der TLD ".ag" lediglich 6 % keine Assoziationen zu der TLD ".eu" haben. Damit handelt es sich der Empirie zufolge noch deutlicher um eine sprechende TLD als bei der ".ag"-TLD. | Abs. 37 |
Überträgt man die Grundsätze zur wettbewerbsrechtlichen
Rechtsprechung zu ".ag"-Domains auf ".eu"-Domains, so könnte eine ".eu"-Domain
in wettbewerbsrechtlich relevanter Weise eine EU-weite Bedeutung des
Domaininhabers signalisieren.(50)Eine derartige 'europäische Bedeutung' ist mit den
vorliegenden Studienergebnissen empirisch nachgewiesen. Allerdings dürfte eine
Art "Monopolisierung" von eu-Domains zugunsten europaweit tätiger Unternehmen
bzw. Unternehmen mit europaweiter Bedeutung kaum Sinn und Zweck der Einführung
dieser TLD entsprechen.(51)Hier ist somit eine rechtliche Korrektur des empirischen
Verbraucherverständnisses geboten, sei es über die Mitberücksichtigung der
Anbieterkennzeichnung, das "Aufschlagen" der ersten Webseite eines
Internetauftritts oder mittels normativer Korrektur der Verkehrsauffassung.(52) | Abs. 38 |
7.3 Verkehrsauffassung über die Top-Level-Domain .com |
Gemäß dem Konzept der sprechenden und nicht-sprechenden TLDs ist ".com" als nicht-sprechend zu qualifizieren, da sie noch aus einer Zeit stammt, in der die TLDs nur schwach kennzeichnungskräftig waren.(53) | Abs. 39 |
Ein Drittel der Befragten (ca. 33 %) nannte die Stichwörter "international/weltweit", gefolgt von "kommerziell" mit ca. 18 % und "Unternehmen" mit ca. 14 %. Insgesamt ca. 9 % assoziieren mit der TLD die USA/Amerika.(54)Rund 2 % gaben explizit an "kann alles sein". Rund 3 % der Befragten haben keine Vorstellung. | Abs. 40 |
Demnach wurden mit insgesamt zwei Dritteln sowohl eine internationale oder gar weltweite Bedeutung als auch ein Bezug zu kommerziellen Angeboten oder Unternehmen assoziiert. Diejenigen, die keine Vorstellung mit dieser TLD verbinden, sind fast genauso wenige wie bei ".eu". Dies spricht zunächst für eine Einordnung der Domain als sprechend. Doch der Definition des Konzeptes folgend handelt es sich weder um ein Wort der deutschen Sprache, ein einfaches Wort der englischen Sprache noch um eine klar verständliche Abkürzung der Alltagssprache. Außerdem weisen die Assoziationen der Verbraucher zu dieser unbeschränkten(55)TLD in zwei verschiedene Richtungen und sind damit eher diffus: Nicht jedes kommerzielle Angebot oder Unternehmen ist international oder gar weltweit tätig. Im Ergebnis kann es damit bei dem bisherigen Grundsatz zur Nichtbeachtung der TLD ".com" bei Rechtsstreitigkeiten bleiben.(56) | Abs. 41 |
Die Assoziationen zu den USA bzw. Amerika belegen, dass auch an
dieser Stelle die Verkehrsvorstellungen durch die Nutzererfahrungen mit geprägt
werden.(57) | Abs. 42 |
7.4 Verkehrsauffassung über die Top-Level-Domain .jobs |
Auch diese TLD ist ein klar verständliches Wort als sprechend zu qualifizieren.(58) | Abs. 43 |
Die von den Probanden aufgezählten Stichwörter zur TLD ".jobs" haben nur marginale Bedeutungsunterschiede: Rund 19 % verbinden damit "Jobangebote/Stellenangebote", gefolgt von "Jobvermittlung/Arbeitsvermittlung" (13 %), "Arbeit/Beruf/Jobs" (12 %), "Jobbörse/Stellenportal" (ca. 12 %), "Jobsuche/Stellensuche" (ca. 7 %) sowie rund 5 % die "Bundesagentur für Arbeit" bzw. das "Arbeitsamt".(59)Dennoch haben immerhin rund 11 % keinerlei Vorstellungen zur TLD ".jobs". | Abs. 44 |
Die Studienergebnisse bestätigen die Einstufung. Soweit
ersichtlich, hat es bisher keine Rechtsstreitigkeiten gegeben, in denen die
Verkehrsauffassung an die TLD ".jobs" eine Rolle gespielt hätte. Es erstaunt,
dass immerhin rund 11 % keinerlei Vorstellungen haben, obwohl die als
klares Wort gebildete TLD sehr eindeutig als sprechend zu qualifizieren ist.
Dies zeigt erneut, dass die Erfahrung der Nutzer eine wichtige Rolle bei der
Bildung der Verkehrsvorstellungen spielt. Die ".jobs"-TLD ist bislang noch
nicht weit verbreitet.
| Abs. 45 |
7.5 Verkehrsauffassung über die Top-Level-Domain .berlin |
Auch bei dieser TLD handelt es sich um eine sprechende TLD.(60) | Abs. 46 |
Bei der Frage "Woran haben Sie gedacht, als Sie die Domainendung zum ersten Mal gelesen haben?" war am ausgeprägtesten die gedankliche Verbindung "Infos in und um Berlin/Bezug zu Berlin" mit ca. 43 %. Rund 21 % der Nutzer nehmen an, dass der Betreiber in Berlin sitzt bzw. wohnt. Was die Art des Anbieters angeht, so legt die TLD ".berlin" keine gedankliche Verbindung nahe: 11 % der Nutzer denken an Unternehmen, rund 10 % an eine Berliner Behörde oder Bundesbehörde, ca. 8 % jeweils an Privatpersonen und öffentliche Einrichtungen wie Museen oder Sehenswürdigkeiten sowie - mit einigem Abstand dazu - rund 2 % an den Tourismus.(61)Insgesamt rund 19 % haben keine Vorstellungen. Dies verwundert nicht, da mit der TLD noch keine Erfahrungswerte verbunden sein können. | Abs. 47 |
Die divergierenden Einschätzungen zu den Anbietern decken sich mit
den Ergebnissen des Abschnitts 6. Die zutreffende Einstufung als sprechende TLD
drückt sich in dem klaren inhaltlichen Bezug zu Berlin aus.
| Abs. 48 |
7.6 Verkehrsauffassung über die Top-Level-Domain .asia |
Die TLD ".asia" ist als einfaches Wort der englischen Sprache, das überdies dem deutschen Wort stark ähnelt, als sprechend einzustufen.(62) | Abs. 49 |
Ähnlich deutlich wie bei der TLD ".eu" dominiert die geographische Angabe die Vorstellungen der Verbraucher. Rund 74 % verbinden mit dieser TLD "Asien/asiatischer Raum/asiatisch". Explizit wurden überdies China (2 %) und Japan (ca. 1 %) genannt. Rund 6 % der Nutzer assoziieren mit der TLD Unternehmen, 1 % den Tourismus.(63)Rund 8 % haben keinerlei Vorstellungen über die Domain. | Abs. 50 |
Somit ist die TLD zutreffend als sprechend einzustufen.
| Abs. 51 |
8. Ergebnis |
Das Verbraucherverständnis über einen Domainnamen wird im Wesentlichen durch die jeweilige Second-Level-Domain geprägt. Bei entsprechender Eignung der Top-Level-Domain wirkt diese allerdings den Gesamteindruck mit prägend. Wichtig für die Bildung der Verkehrsvorstellung sind die Erfahrungen, die die Nutzer mit einer Top-Level-Domain machen. | Abs. 52 |
Das Konzept der sprechenden und nicht-sprechenden Top-Level-Domains wurde weitgehend durch die empirischen Erkenntnisse bestätigt und bietet somit auch im Hinblick auf die empirische Verkehrsauffassung ein angemessenes rechtliches Instrumentarium für die Beurteilung von Top-Level-Domains. | Abs. 53 |
Überdies wurde empirisch bewiesen, dass die Internetnutzer bei
entsprechenden TLDs keine Assoziationen hin zu einer Gebietskörperschaft als
Betreiber der jeweiligen Top-Level-Domain haben, mithin eine namensrechtlich
relevante Zuordnungsverwirrung in dieser Richtung nicht eintritt.
| JurPC Web-Dok. 62/2007, Abs. 54 |
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* Stefanie Schubert, Diplom-Wirtschaftsjuristin (FH), Bankbetriebswirtin (Bankakademie), ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Geiser & von Oppen Rechtsanwälte und Promotionsstipendiatin der Fachhochschule für Wirtschaft (FHW) Berlin. |
[ online seit: 02.05.2007 ] |
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs. |
Zitiervorschlag: Schubert, Stefanie, Das empirische Verbraucherverständnis über Top-Level-Domains - JurPC-Web-Dok. 0062/2007 |