Wolfgang Kuntz *Verkündung, Veröffentlichung und Konsolidierung von Gesetzen - ein Beitrag zur DiskussionJurPC Web-Dok. 151/2006, Abs. 1 - 39 |
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1. Einleitung |
Auf dem diesjährigen EDV-Gerichtstag in Saarbrücken wurde die Software eNorm(1) des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) vorgestellt, die zur Einhaltung rechtsförmlicher und redaktioneller Vorgaben bei der Erstellung von Gesetzgebungsvorschlägen entwickelt wurde. Ziel ist die Einführung der Datenstruktur XML im Gesetzgebungs- und Gesetzesentstehungsprozess. In einem Informationsblatt des Bundesministeriums der Justiz, das anlässlich des EDV-Gerichtstages herausgegeben wurde, heißt es: | JurPC Web-Dok. 151/2006,Abs. 1 |
"Mit eNorm steht eine Software zur Verfügung, die die Einhaltung rechtsförmlicher und redaktioneller Vorgaben während der schriftlichen Erarbeitung von Gesetzesentwürfen unterstützt und es ermöglicht, die Dokumente im gesamten Gesetzgebungsverfahren bis hin zur Verkündung und Normendokumentation durchgängig zu verwenden." | Abs. 2 |
Weiter unten: |
"eNorm ist außerdem die Ausgangsbasis für eine zukünftige elektronische Verkündung." | Abs. 3 |
Die damit insgesamt zusammenhängenden Fragen sind zukunftsgerichtet. Sind aber die Fragen in Bezug auf die Verkündung und Veröffentlichung von Gesetzen in der Gegenwart bereits gelöst? Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang konsolidierte Gesetzesfassungen? Perspektiven hierzu werden in dem folgenden Beitrag erarbeitet und zur Diskussion gestellt. Es wäre erfreulich, wenn die hier aufgeworfenen Fragen zu einer vertieften - auch wissenschaftlichen - Erörterung führen würden(2). | Abs. 4 |
2. Zu den Begriffen |
a) Verkündung von Gesetzen |
Die Verkündung eines Gesetzes erfolgt bezüglich des Bundesrechts durch Abdruck im Bundesgesetzblatt (Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG) und durch dessen Ausgabe (Art. 82 Abs. 2 Satz 2 GG). Die Ausgabe bestimmt den Zeitpunkt der Verkündung(3). Der Akt der Verkündung ist dabei an die Form der Veröffentlichung des Gesetzestextes im Gesetzblatt gebunden(4). | Abs. 5 |
b) Veröffentlichung von Gesetzen und Gesetzestexten |
Der Begriff der Veröffentlichung ist gegenüber der Verkündung der weiter gefasste Begriff. Er bedeutet die Bekanntgabe des Gesetzestextes gegenüber der Öffentlichkeit, d.h. die allgemeine Publikation, die nicht an eine bestimmte Form oder Art der Veröffentlichung gebunden ist. | Abs. 6 |
c) Konsolidierung von Gesetzen |
Konsolidierung bezeichnet die Tätigkeit, "in einen Ausgangsakt alle ihn ändernden Rechtsakte einzuarbeiten"(5) oder "einen Text auf den Stand zu bringen, den er unter Berücksichtigung aller ihn betreffenden Änderungen jeglicher Natur hat"(6). | Abs. 7 |
Ein Akt der Konsolidierung ist z.B. die Neubekanntmachung eines Gesetzes. Darunter versteht man die Veröffentlichung des Wortlauts eines - gegebenenfalls mehrfach geänderten - Gesetzes. Es handelt sich um eine sogenannte informative oder deklaratorische Konsolidierung, d.h. um die deklaratorische Feststellung des Gesetzestextes durch den zuständigen Fachminister auf der Grundlage einer entsprechenden Ermächtigung(7). Die dem Fachminister erteilte Bekanntmachungsermächtigung hat nur den Sinn und Zweck, die deklaratorische Feststellung eines authentischen und einwandfreien Textes des geänderten Gesetzes zu veranlassen(8). | Abs. 8 |
Es gibt demgegenüber auch eine Art der Konsolidierung, die zu einer konstitutiven Neufassung führt, z.B. bei sogenannten Ablösungsgesetzen. Durch das Ablösungsgesetz wird ein geltendes Stammgesetz umfassend neu gestaltet. Das umfangreiche Änderungspensum wird hier jedoch nicht wie bei der Novelle durch Austausch einzelner Textstellen bewältigt, sondern der gesamte Wortlaut des künftigen Stammgesetzes wird durch den Gesetzgeber neu beschlossen. Diese Rechtsetzung wird auch als konstitutive Neufassung bezeichnet. Das "alte" Stammgesetz wird aufgehoben(9). | Abs. 9 |
Amtlich und verbindlich ist in jedem Falle alleine die in dem Verkündungsblatt veröffentlichte Gesetzesfassung. Dies folgt für den Bund aus Art. 82 Abs. 1 GG. In den Ländern existieren entsprechende Regelungen. | Abs. 10 |
3. Konsolidierung durch staatliche Institutionen |
Hinsichtlich der Autoren einer Konsolidierung können drei Gruppen grob unterschieden werden. Zum einen gibt es private Anbieter von Konsolidierungen, in der Vergangenheit waren dies überwiegend Verlage. Die bekannteste konsolidierte Fassung ist der sog. "Schönfelder" des C.H. Beck Verlages. Daneben gibt es weitere nicht institutionalisierte Anbieter, die u.a. konsolidierte Online-Angebote zur Verfügung stellen. Zu nennen ist hier z.B. dejure.org. Schließlich gibt es institutionalisierte Anbieter der öffentlichen Hand. Auf Bundesebene ist die Bundesrechtsdatenbank zu nennen, die vom Bund über die juris GmbH als Verwaltungshelferin der Öffentlichkeit angeboten wird. Die privaten und nicht institutionalisierten Angebote sollen in der folgenden Darstellung nicht weiter untersucht werden. | Abs. 11 |
a) staatliche Pflicht zur Konsolidierung? |
Vorauszuschicken ist, dass es hinsichtlich der Qualität der Konsolidierung keinen Unterschied macht, ob ein Privater oder der Staat damit beauftragt wird(10). Die Tätigkeit der Konsolidierung ist wissenschaftlicher Art und setzt die Beachtung der Grundsätze der Rechtsförmlichkeit, Beherrschung von Techniken der Normschaffung und Rechtsbereinigung voraus. | Abs. 12 |
Soweit in der überwiegenden Zahl der Länder die Konsolidierung von Gesetzestexten durch private Unternehmen erfolgt, stellt sich die Frage, ob es nicht von Verfassung wegen gefordert wäre, Konsolidierung als staatliche Aufgabe zu verstehen. Dafür könnte das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) mit dem Gebot der Zugänglichkeit und Verstehbarkeit des Rechts sprechen. | Abs. 13 |
Moysan(11) hat für die französische Rechtslage herausgearbeitet, dass Zugänglichkeit und Verstehbarkeit des Rechts zwar staatliche Aufgaben sind, dass aber die Konsolidierung als staatliche Aufgabe nur ein Mittel von mehreren denkbaren zur Erreichung dieser Ziele ist und keine Verpflichtung ersichtlich ist, die Konsolidierung als staatliche Pflicht zu verstehen. Es gebe vielmehr einen Spielraum, wie der Staat die Ziele der Zugänglichkeit und Verstehbarkeit des Rechts erreichen will. Eine Reduzierung des Ermessens auf die staatliche Konsolidierung sei nicht ersichtlich. | Abs. 14 |
Unter der Geltung des Grundgesetzes folgt aus dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG die Pflicht des Staates, für die Publizität des geltenden Rechts zu sorgen, so dass sich jedermann über die Rechtslage informieren kann(12). Wie der Staat diese Pflicht erfüllt, kann aus dem Rechtsstaatsgebot alleine nicht hergeleitet werden(13). Vielmehr bleibt dem Staat ein Spielraum, wie er dieses Ziel erreicht. Es obliegt dem Normgeber, das Verkündungsverfahren so auszugestalten, dass es seine rechtsstaatliche Funktion erfüllt, der Öffentlichkeit die verlässliche Kenntnisnahme vom geltenden Recht zu ermöglichen(14). Ohne die Frage wissenschaftlich an dieser Stelle vertiefen zu können, sprechen daher gute Gründe für eine Übernahme der Argumente Moysans. Allerdings darf die Frage aufgeworfen werden, was unter "geltendem Recht" zu verstehen ist. Darunter dürfte das nach den Regelungen des Grundgesetzes zustandegekommene und verkündete Recht zu verstehen sein, aber eben gerade nicht die konsolidierten Gesetze, weil diese in dieser Form im Regelfall nicht verkündet worden sind. | Abs. 15 |
Dies mag ein Grund dafür sein, dass in den meisten europäischen Ländern und zahlreichen außereuropäischen Ländern nicht nur die aktuellen Versionen der Gesetze im Internet publiziert werden, sondern daneben auch die Gesetzblätter als Quelle des verkündeten Rechts kostenlos für Ansicht und Druck zugänglich sind(15). Der Bundesanzeiger Verlag(16), der vor kurzem vollständig privatisiert wurde, bietet aktuelle Jahrgänge des Bundesgesetzblattes kostenlos als Nur-Lese-Version an, im kostenpflichtigen Bereich erhält der Kunde das Bundesgesetzblatt Teil I ab dem Jahr 1998. Eine vollständige Veröffentlichung des im Bundesgesetzblatt Teil I verkündeten Rechts ab dem Jahr 1949 wird aber soweit ersichtlich nur von der Recht für Deutschland GmbH(17), d.h. ebenfalls einem privaten Anbieter, geleistet. In Baden-Württemberg gibt es mit dem Vorschriftendienst Baden- Württemberg (VD-BW)(18) ein Internetangebot, mit dem die Gesetzblätter des Landes sowie das Bundesgesetzblatt im Rahmen eines Verkündungs- bzw. Rechtsdienstes online zur Verfügung gestellt werden. | Abs. 16 |
b) Haftungsfolgen einer fehlerhaften Konsolidierung? |
Nach Art. 82 Abs. 1 GG werden die Gesetze des Bundes im Bundesgesetzblatt verkündet. Für Rechtsverordnungen gilt dies ebenfalls. Landesrechtlich gibt es entsprechende Vorschriften für die Landesverkündungsorgane. Dies bedeutet, dass der einzige amtliche Text einer Vorschrift sich in den Verkündungsblättern befindet. | Abs. 17 |
Hinsichtlich der Neubekanntmachungen in den Verkündungsblättern, die Konsolidierungen enthalten, ist - wie oben bereits angedeutet - zu differenzieren. Es gibt konstitutive Neufassungen, bei denen der Wortlaut des künftigen Stammgesetzes vom Gesetzgeber neu beschlossen wird(19). Daneben gibt es in der überwiegenden Zahl aber nur deklaratorische Neufassungen(20), die nach h.M.(21) kein rechtsbegründender Akt sind, sondern nur deklaratorisch sind, d.h. es kommt doch auf den zuvor verkündeten Text an. Diese deklaratorischen Neufassungen sind nach dem weiterhin anwendbaren(22) § 36 Abs. 2 GGO II im Falle des Vorliegens einer Bekanntmachungserlaubnis möglich, die bei mehrfachen Änderungen eines Gesetzes oder Änderungen des Gesetzes in großem Umfang zulässig ist. | Abs. 18 |
Was aber geschieht, wenn der Text einer konsolidierten Fassung vom Text der Verkündung abweicht, mit anderen Worten: gibt es eine Haftung für fehlerhafte Konsolidierungen? | Abs. 19 |
Hierzu können verschiedene Standpunkte vertreten werden: |
(1) Geht man davon aus, dass einzig der verkündete Text in den Verkündungsblättern verbindlich ist, kann es keine Konstellation geben, in denen ein Bürger auf den konsolidierten Text vertraut und dieses Vertrauen geschützt ist. Denn: es steht schon vorher fest, dass die konsolidierte Fassung nicht verbindlich ist. Es kann daher die Auffassung vertreten werden, dass es in allen denkbaren Fällen an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang(23) zwischen dem Fehler des Textes und einem eventuell eingetretenen Schaden fehlt. Folglich kann eine Haftung des Anbieters einer konsolidierten Fassung nach dieser Logik niemals eintreten. | Abs. 20 |
Diese Schlussfolgerung kann allenfalls fraglich sein für Neubekanntmachungen, die in dem betreffenden Gesetzblatt selbst veröffentlicht werden, da insoweit wegen der Amtlichkeit der dortigen Veröffentlichung ein Schutz des Vertrauens auf die Amtlichkeit eintreten kann, selbst wenn auch diese Form der Neubekanntmachung nach h.M. nicht als verbindlich angesehen wird. | Abs. 21 |
(2) Es kann jedoch auch die Auffassung vertreten werden, dass staatliche Anbieter konsolidierter Gesetze, z.B. das Projekt "Gesetze im Internet", für die Richtigkeit der eingestellten Gesetze haften. | Abs. 22 |
Überprüft man das Internetangebot "Gesetze im Internet" auf die Haftungsproblematik, findet man unter "Hinweise" folgenden Satz: | Abs. 23 |
"Die amtliche Fassung eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung enthält nach geltendem Recht nur die Papierausgabe des Bundesgesetzblattes." | Abs. 24 |
Dieser Satz ist lediglich die Darstellung der geltenden Rechtslage für Verkündungen, die Juristen bekannt sein dürfte. Wer allerdings den klarstellenden Satz sucht, dass die konsolidierte Fassung unverbindlich ist, sucht vergeblich. Die Bundesregierung will zwar mit der Veröffentlichung der Gesetze im Internet ihrer Pflicht zur Veröffentlichung und Zurverfügungstellung des Rechts für die Bürger genügen, erfüllt diese Pflicht aber mit zwangsläufig nicht amtlichen und daher unverbindlichen Textfassungen. | Abs. 25 |
Daraus ist zu schließen, dass der Staat dort, wo er konsolidierte Gesetze z.B. im Internet anbietet, keine Verantwortung für die Veröffentlichung übernehmen will. Es wird zwar der Schein erzeugt, das gesamte geltende deutsche Recht in konsolidierter Form anzubieten. Die Fassungen sind aber nicht verbindlich. Das Projekt "Gesetze im Internet" stellt sich insofern als Maßnahme zur Information der Bürger ohne rechtsverbindliche Wirkungen dar. Jedoch könnte der Schein der Amtlichkeit, der durch die Veröffentlichung auf den Webseiten des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) erzeugt wird, ausreichen, für einen durchschnittlich sorgfältigen Betrachter eine Haftung zu begründen. | Abs. 26 |
Es gibt einen unauflöslichen Zwiespalt zwischen der alleinigen Amtlichkeit der Verkündung in den Verkündungsorganen und andererseits der Bedeutung, die den konsolidierten - nicht verbindlichen - Fassungen durch die Bereitstellung für die Bürger im Internet und durch die Bereitstellung für die Verwaltungen im Rahmen von Verträgen mit Anbietern beigemessen wird. In einer Pressemitteilung des BMJ vom 25.11.2005(24) heißt es: | Abs. 27 |
"Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat heute im Rahmen des Festaktes zum 20-jährigen Jubiläum der juris GmbH den öffentlichen Zugang auf alle Gesetze und Rechtsverordnungen des Bundes im Internet freigeschaltet. | Abs. 28 |
'Unter www.gesetze-im-internet.de stellt das Bundesjustizministerium in einem gemeinsamen Projekt mit der juris GmbH Bürgerinnen und Bürger das gesamte aktuelle Bundesrecht kostenlos bereit. Bislang war eine Auswahl von etwa 750 Gesetzen und Verordnungen abrufbar, ab sofort sind auf den Webseiten rund 5.000 Gesetze und Rechtsverordnungen des Bundes in der aktuell geltenden Fassung barrierefrei verfügbar', sagte Zypries." | Abs. 29 |
Die Fassung dieser Pressemitteilung suggeriert bereits, dass das aktuell geltende Recht abgebildet wird. Damit geht für den durchschnittlichen Benutzer die Erwartung einher, dass es sich um tatsächlich amtliche und verbindliche Texte handelt, was nach dem geltenden Recht jedoch nicht der Wahrheit entspricht. Dennoch kann die Auffassung vertreten werden, dass die Nutzer des Internetangebotes auf die Geltung der dort veröffentlichten konsolidierten Gesetzesfassungen vertrauen dürfen und in diesem Vertrauen geschützt sind. Ob eine Haftungsbeschränkung oder gar ein Haftungsausschluss durch einen Disclaimer AGB-rechtlich Bestand hätte, ist sehr fraglich. Auch kann die Haftung des Schenkers nach §§ 516 ff. BGB in Betracht gezogen werden. | Abs. 30 |
c.) Konsequenzen |
Eine andere Frage ist, ob das BMJ überhaupt eine verbindliche konsolidierte Fassung anbieten dürfte. Mit anderen Worten: hätte die Bundesregierung nach der Aufgabenverteilung des Grundgesetzes die Kompetenz zur Veröffentlichung einer derartigen verbindlichen Fassung? Diese Kompetenz ergibt sich nicht aus dem Grundgesetz, denn dort ist nicht ausdrücklich geregelt, wer für die Verkündung zuständig ist. Bislang nahm ein Teil der Literatur(25) die Kompetenz der Bundesregierung für die Verkündung an und leitete insbesondere die Zuständigkeit des Bundesministeriums der Justiz aus § 62 Abs. 1 GGO II(26) her, nach anderer Auffassung(27) ist diese Kompetenz jedoch unter Hinweis auf die Verfassungstradition abzulehnen und dem Bundespräsidenten zuzusprechen. Diese Auffassung ist vorzugswürdig, da insbesondere ein Verweis auf lediglich innerbehördlich geltende Geschäftsordnungsvorschriften nicht zu einer Verlagerung von Zuständigkeiten für von der Verfassung vorgesehene Aufgaben führen kann. Die weiter auftauchende Frage, ob die Bundesregierung eine originäre Zuständigkeit für die Veröffentlichung/Bekanntmachung verbindlicher konsolidierter Gesetzesfassungen hat, war bislang - soweit ersichtlich - noch nicht Gegenstand vertiefter wissenschaftlicher Erörterung. | Abs. 31 |
Es bleibt nach derzeitigem Recht damit bei der alleinigen Verbindlichkeit der Verkündungen in den Gesetzblättern. | Abs. 32 |
Ein kleiner Test untermauert die Fragwürdigkeit einer Internetpublikation konsolidierter Texte. Sucht man in www.gesetze-im-internet.de nach den Begriffen "nicht darstellbare" erhält man 944 Treffer(28) von Fundstellen mit im Internet nicht darstellbaren Zeichen, Flaggen, Symbolen und ähnlichen Abbildungen. Die Internetveröffentlichung zeigt diese Inhalte der Verkündung schlichtweg nicht. Dies belegt, dass alleine die Veröffentlichung in den Verkündungsblättern maßgebend sein kann. | Abs. 33 |
Auch Justiz und Verwaltung dürfen konsolidierte Fassungen wegen der alleinigen Amtlichkeit der verkündeten Fassungen aufgrund der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht benutzen. Nur durch die Arbeit mit dem verkündeten und einzig amtlichen Gesetz kann die Verwaltung dem Postulat der Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) genügen, da mit "Recht" und "Gesetz" nur das nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustandegekommene und verkündete Recht gemeint sein kann. Daraus folgt zugleich konsequent weitergedacht, dass die teure Anschaffung konsolidierter Materialien für die öffentliche Hand überflüssig ist. Weitere Konsequenz ist, dass alle Verwaltungsakte und alle gerichtlichen Entscheidungen, die erkennbar nicht mit dem amtlichen verkündeten Gesetzestext begründet sind - was etwa durch Hinweis auf die Fundstellen im Verkündungsorgan zu bewerkstelligen wäre - unter Berufung auf einen Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG angreifbar sind. | Abs. 34 |
Der derzeit mögliche Ausweg könnte darin bestehen, dass die öffentliche Hand für eigene Angebote von konsolidierten Vorschriften die volle haftungsrechtliche Verantwortung bzw. eine Garantie übernimmt. Dann wäre derjenige, der auf die möglicherweise fehlerhaften Texte vertraut, in seinem Vertrauen geschützt. Ist der Staat hierzu nicht bereit, entwertet er selbst die Internetangebote, die dann lediglich den Charakter von Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit haben. | Abs. 35 |
d) Konsequenz einer umfassenden Rechtsbereinigung |
Kommt man auf das Projekt eNorm zurück und die darin ausgesprochene Vorstellung, die so erzeugten Fassungen in eine elektronische Verkündung münden zu lassen, ergeben sich zwei Probleme: erstens, ob eine Kompetenz der Bundesregierung gegeben ist, zweitens, auf welcher Fassung aufgesetzt wird. Oben wurde schon ausgeführt, dass es hinsichtlich der Qualität der Konsolidierung nicht darauf ankommen kann, ob diese von der öffentlichen Hand oder einem Privaten durchgeführt wird. Von welchem konsolidierten Bestand geht man also aus? Werden nicht eventuelle Fehler des gewählten Konsolidierungsstandes perpetuiert? Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang daran, dass es keinen verbindlichen, amtlichen konsolidierten Stand gibt. | Abs. 36 |
Dieses Problem leitet über zu einer unausweichlichen Konsequenz. Nur wenn der Gesetzgeber eine vollständige Rechtsbereinigung durchführt und einen verbindlichen Stand des gesamten deutschen geltenden konsolidierten Rechtes gesetzlich festschreibt, hätte eine elektronische Verkündung einen Punkt, an dem sie für weitere Änderungen aufsetzen kann. Eine solche umfassende Rechtsbereinigung würde praktisch eine vollständige konstitutive Konsolidierung darstellen mit der Folge, dass das gesamte geltende Recht zum Zeitpunkt x verbindlich festgelegt wird. Eine Praxis hingegen, die den Stand einer Konsolidierung zu Grunde liegt, die nach den obigen Ausführungen keinen verbindlichen Charakter haben kann, würde allen weiteren darauf aufbauenden Änderungen den Charakter der Unverbindlichkeit weitergeben. Ein weiteres Problem kommt hinzu: zwar wird die Konsolidierung im Bund von einem Referat des Bundesjustizministeriums durchgeführt, jedoch ist die Pflege der darauf aufbauenden Datenbank einem privatrechtlich organisierten Unternehmen (juris GmbH) als Verwaltungshelfer übertragen worden, so dass es fraglich erscheint, ob die verfassungsrechtlichen Kompetenznormen eingehalten sind. Die verbindliche Feststellung des geltenden Rechts kann nur der Gesetzgeber, d.h. das Parlament, vornehmen. Diese Aufgabe kann zulässigerweise weder auf die Verwaltung, noch auf Unternehmen in Privatrechtsform delegiert werden. | Abs. 37 |
Versteht man unter elektronischer Verkündung hingegen nur den Wechsel des Mediums, weg vom Papier - hin zum elektronischen Dateiformat, bestehen Probleme in Bezug auf die Anknüpfung an die Papierbestände und den dadurch bedingten Medienbruch einerseits, andererseits infolge der Sicherheitsaspekte der Unveränderbarkeit des verkündeten elektronischen Dokuments. Auch bei diesem Verständnis der elektronischen Verkündung bleibt jedoch bei Neufassungen von Gesetzen das Problem des Aufsatzpunktes für die geänderte Fassung bestehen. | Abs. 38 |
4. Ausblick / Fragestellungen der Zukunft |
In diesem Ausblick sollen Fragen aufgeworfen werden, die sich aus den
bisherigen Erörterungen ergeben:
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Fußnoten:
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Zu dem Beitrag hat uns folgender Leserbrief von Herrn Christoph Schwalb erreicht:
Den rein deklaratorischen Charakter von Neubekanntmachungen (Abs. 18) hat bereits das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung 2 BvL 4/62 vom 25.07.1962 festgestellt:
"Im Gegensatz zur neuen Verabschiedung des ganzen Inhalts eines schon bisher geltenden und nur zum Teil geänderten Gesetzes durch die gesetzgebenden Körperschaften selbst und zur Verkündung des derart neu gesetzten Rechts (BVerfGE 8, 210 (213 f.); 10, 185 (191 f.)) ist die Bekanntmachung und die Beseitigung von Unstimmigkeiten des Wortlauts eines Gesetzes durch einen Bundesminister kein konstitutiver gesetzgeberischer Akt. Sie dient nur der deklaratorischen Klarstellung des Gesetzestextes."
Neubekanntmachungen sind also nach geltendem Recht kein rechtsbegründender Akt. Nach unserer Feststellung weichen sie häufig so stark vom korrekten Normenwortlaut ab, dass sie schlichtweg unbrauchbar sind. Ein Bundesministerium hat uns sogar gebeten, eine im BGBl. I erfolgte Neubekanntmachung wegen der zahlreichen enthaltenen Fehler "als gegenstandslos zu betrachten".
Die vom BMJ unter www.gesetze-im-internet.de veröffentlichten Texte umfassen bei weitem nicht - wie vom BMJ ursprünglich behauptet - "das gesamte aktuelle Bundesrecht" (Abs. 29). Abgesehen davon, dass keine Änderungsvorschriften und keine im Bundesanzeiger oder im Bundesgesetzblatt Teil II verkündeten Normen erfasst sind, hat das BMJ zusätzlich eine willkürliche Auswahl der im Bundesgesetzblatt Teil I verkündeten Normen getroffen. Zahlreiche Normen, die das BMJ für nicht relevant hält, fallen damit - obwohl noch in Kraft und damit aktuell - unter den Tisch.
Für bedenklich halte ich zudem, dass die vom BMJ konsolidierten und veröffentlichten Textfassungen nicht dem verkündeten Gesetzeswortlaut entsprechen, weil die bei der Konsolidierung festgestellten Textfehler in aller Regel nur in der Bundesrechtsdatenbank des BMJ beseitigt werden. Dagegen erfolgt nur in den seltensten Fällen die notwendige Berichtigung dieser Fehler im Verkündungsorgan.
Die Folgen, wenn die Justiz mit fehlerhaft konsolidierten Fassungen arbeitet (Abs. 34), zeigt dieses Beispiel:
Das "Gesetz über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler" vom 6.7.1989 (BGBl. I S. 1378) ist nach seinem § 7 am 14.7.1992 außer Kraft getreten. Da das BMJ dieses Gesetz dennoch als noch gültig führt (http://www.gesetze-im-internet.de/aus_bsiedwog/) werden regelmäßig Änderungen und Neufassungen dieses Gesetzes verkündet, die nicht nur den juristischen Laien zu der Annahme verleiten, das Gesetz sei noch in Kraft. So hat wohl auch das Bundesverfassungsgericht - zum Nachteil des damaligen Beschwerdeführers - auf die Zuverlässigkeit der juris-Datenbank vertraut, als es seine Entscheidung 1 BvR 1266/00 vom 17. März 2004 (http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20040317_1bvr126600.html) auf dieses Gesetz gestützt hat ohne zu überprüfen, ob es tatsächlich nach seinem Wortlaut und dem sich aus den amtlichen Verkündungen im Bundesgesetzblatt ergebenden Rechtsstand noch in Kraft ist.
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* Wolfgang Kuntz, Mitarbeiter der Recht für Deutschland GmbH in Wiesbaden, ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Valentin & Schmieden in Saarbrücken-Gersweiler. |
[ online seit: 12.12.2006, Leserbrief online seit: 21.02.2007 ] |
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
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Zitiervorschlag: Kuntz, Wolfgang, Verkündung, Veröffentlichung und Konsolidierung von Gesetzen - ein Beitrag zur Diskussion - JurPC-Web-Dok. 0151/2006 |