JurPC Web-Dok. 93/2006 - DOI 10.7328/jurpcb/200621887

Wolfgang Kuntz *

Überlegungen zur Nutzung von Gesetzessammlungen

JurPC Web-Dok. 93/2006, Abs. 1 - 14


Kuntz, Wolfgang
Gesetze werden nach Art. 82 Abs. 1 GG im Bundesgesetzblatt verkündet, Rechtsverordnungen vorbehaltlich anderer gesetzlicher Regelungen ebenfalls. Im Bundesgesetzblatt und entsprechend den Landesgesetzblättern werden daher die primären, nämlich die vom Gesetzgeber herrührenden und nach den Gesetzgebungsvorschriften zustandegekommenen Rechtsvorschriften, veröffentlicht. Für den Nutzer der Verkündungsblätter ist es aber oftmals schwierig, den tatsächlich geltenden Gesetzestext anhand der Veröffentlichungen in den Gesetzblättern herauszufinden, da Änderungsgesetze meist nur die Änderungsanweisungen enthalten und es zudem häufig sogenannte "Artikelgesetze" mit Änderungen mehrerer Gesetze innerhalb verschiedener Gesetzesartikel gibt, andererseits die Veröffentlichung von Neufassungen von Gesetzen oder Verordnungen vergleichsweise seltener vorkommt. Dieser Befund hat dazu geführt, dass u.a. Verlage die Änderungsketten aufgelöst haben und aktuelle Stände der Gesetze in zusammenhängend lesbarer Form ohne Verwendung von Änderungshinweisen herausgegeben haben. Man spricht insoweit von "konsolidierten" Gesetzen und Gesetzessammlungen. Diese konsolidierten Gesetzessammlungen haben aber keinen amtlichen Charakter, amtlich ist alleine der in den Verkündungsblättern verkündete Gesetzestext. JurPC Web-Dok.
93/2006, Abs. 1
Gesetzessammlungen werden in unterschiedlichsten Medien angeboten. Von der Printsammlung über die CD-ROM oder DVD-Ausgabe bis hin zu den modernen Internetangeboten reicht die Palette. Dabei stehen weitgehend Sammlungen konsolidierter Gesetzesfassungen im Vordergrund.Abs. 2
Bereits Ende der 90er Jahre wurde die These und Forderung "Mehr Ehre für's Primäre" diskutiert. Dieser Slogan beinhaltet zum einen die Feststellung, dass primäre Gesetzesmaterialien in den Verkündungsblättern weniger Beachtung finden als die konsolidierten, sekundären Gesetzessammlungen. Zugleich beinhaltet der Satz die Forderung nach einer verstärkten Nutzung der Primär-Gesetzestexte. Abs. 3
Der vorliegende Beitrag will beide vorgenannten Aspekte beleuchten und versucht anhand von statistisch belegten Tendenzen zu ermitteln, wie sich die tatsächliche Nutzung von Gesetzesmaterialien darstellt bzw. darstellen könnte.Abs. 4
Ist zunächst die Feststellung richtig, dass primäre Gesetzesmaterialien im Vergleich zu den konsolidierten Sammlungen weniger genutzt werden? Abs. 5
Über die Nutzung von reinen Printquellen können kaum Aussagen getroffen werden, da nicht bekannt ist, wie viele Personen tatsächlich ein Gesetzblatt sei es über Umlaufverfahren sei es über Kopien in Händen haben und lesen. Zur Untersuchung der Frage müssen daher vorrangig Angebote herangezogen werden, die beide Varianten gleichermaßen abdecken, d.h. Systeme, in denen der Nutzer die direkte Wahl zwischen der primären Quelle und den konsolidierten Vorschriften hat. Das erste deutsche Angebot im Internet, das sowohl für die Bürger als auch für die Verwaltung beide Formen von Gesetzesmaterialien angeboten hat und anbietet, ist der Vorschriftendienst Baden-Württemberg(1)(VD-BW). Zwar bieten andere Anbieter wie z.B. juris, LexisNexis, der Verlag C.H. Beck ebenfalls Gesetze an, doch handelt es sich hierbei alleine um die konsolidierte Fassungen; andere Anbieter wie z.B. der Bundesanzeiger-Verlag bieten zwar die Primärmaterialien an, aber dafür keine konsolidierten Vorschriften. Abs. 6
Die Zugriffszahlen des VD-BW belegen, dass primäre Quellen insbesondere von Nutzergruppen aus der Verwaltung in sehr starkem Maße genutzt werden, wobei dies sowohl für die Verkündungsblätter des Landes Baden-Württemberg als auch für das Bundesgesetzblatt gilt. Die Nutzung beispielsweise des Bundesgesetzblattes liegt im Bereich des VD-BW sogar noch über der des Gesetzblattes von Baden-Württemberg. Die oben erwähnte erste Feststellung scheint damit widerlegt: Dort, wo primäre Materialien im Internet angeboten werden, werden sie auch genutzt.Abs. 7
Zugriffsstatistik VD-BW im Jahr 2005, Stand: 31.12.2005
(BGBl. und baden-württembergische Verkündungsblätter)
BGBl. I (2)GBl. (3)GABl. (4)KuU (5)Justiz (6)WFuK (7)RD (8)GültV (9)VENSA (10)
30,46 %29,14 %13,23 %2,89 %1,86 %0,38 %15,66 %1,31 %5,09 %
Kann dieser Befund aus einem Bundesland verallgemeinert werden? Das Land Niedersachsen hat seit dem vorigen Jahr das Internetangebot "Recht für Deutschland"(11) für die Landesjustizverwaltung bereitgestellt. Die Nutzungszahlen belegen, dass der Dienst, der die Gesetz- und Verordnungsblätter des Bundes und der Länder beinhaltet, angenommen wurde und die primären Materialien in sehr starkem Maße genutzt werden. Das Beispiel Niedersachsen legt eine Verallgemeinerung in dem Sinne nahe, dass überall dort, wo die primären Gesetzesmaterialien ggf. in Ergänzung zu einem bestehenden Angebot konsolidierter Sammlungen angeboten werden, diese stark genutzt werden. Abs. 8
Die nachfolgenden Zahlen stammen aus einer Testphase, in der Bundesgesetzblatt, Amtlicher Teil des Bundesanzeigers und Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt für die Justizverwaltung des Landes Niedersachsen angeboten wurden. Abs. 9
Nutzung des Dienstes "Recht für Deutschland" in Niedersachsen
(während der Testphase)
BGBl. I GVBl. (12) NiedersachsenBundesanzeiger (Amtl. Teil) (13)
18,83%62,13 %19,04 %
Ist zweitens die Forderung nach einer verstärkten Nutzung der Primärquellen berechtigt? Die Tatsache, dass der Primärtext die einzig verläßliche und amtliche Quelle für Gesetze und Verordnungen ist, legt die Bejahung der Frage bereits nahe. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist gerade die für Verwaltungen wichtige Zitierfähigkeit eines Gesetzesbeleges. Verwaltungen müssen mit exakt feststellbaren amtlichen Gesetzesständen arbeiten. Aber auch andere juristische Berufsgruppen müssen und sollten schon aus Haftungsgründen mit der amtlichen Fassung eines Gesetzes arbeiten. Die Forderung hat damit ihre Berechtigung. Leider wird das Thema in der juristischen Ausbildung eher stiefmütterlich behandelt. Kaum ein Student erhält Informationen über das Verkündungswesen, über Funktion, Aufbau und Struktur des Bundesgesetzblattes. Dieses Defizit führt dazu, dass nach Abschluss des Studiums bei vielen Juristen weiter die verfehlte Ansicht vorherrscht, mit den Gesetzen im Schönfelder oder in einer der Online-Gesetzessammlungen alleine auskommen zu können. Abs. 10
Für den Ausblick folgt aus dem zuvor Gesagten, dass es wünschenswert wäre, wenn sich mehr und mehr Länder entschließen, die Gesetzesmaterialien nicht nur als konsolidierte Sammlungen, sondern nach dem Vorbild des VD-BW als Bürger- und Verwaltungsangebote mit den Primärquellen im Internet anzubieten. Einige Bundesländer haben dies erkannt und führen bereits vorbereitend Umfragen innerhalb der Verwaltung durch bezüglich der erwarteten Nutzungsfrequenz eines derartigen Angebotes. Die Beispiele VD-BW und Niedersachsen zeigen aber auch, dass erst mit der elektronischen Verfügbarkeit solcher Angebote die Nachfragehäufigkeit nachvollziehbar das Maß erreicht, das dem Primärtext aufgrund des vorher ausgeführten methodischen Hintergrundes gebührt. Abs. 11
Das Angebot primärer Quellen im Internet könnte zu einer weiteren Aufwertung dieser Quellen führen und langfristig das Bewusstsein der Juristen für die Wichtigkeit der primären Gesetzesquellen schärfen.Abs. 12
Ist es ein Indiz dafür, dass sich diese Erkenntnis weiter durchzusetzen scheint, wenn der Bundesanzeiger-Verlag und die juris GmbH soeben eine Kooperation beschlossen haben(14), durch die eine Verzahnung von konsolidierten Gesetzestexten mit primären Materialien u.a. aus der Gesetzesgenese hergestellt werden soll?Abs. 13
Schließlich wäre es wünschenswert, wenn sich auch andere Anbieter entschließen könnten, Zugriffszahlen offen zu legen, um den Nutzen und die Wirtschaftlichkeit der Dienste, die häufig von staatlichen Institutionen wahrgenommen werden, für die Öffentlichkeit transparent zu machen. Schließlich haben nicht nur die Rechnungshöfe, sondern auch der Bürger Anspruch darauf zu wissen, ob das für die Rechtsinformationen der staatlichen Stellen verwendete Geld auch gut angelegt ist. Der Autor nimmt gerne repräsentatives Zahlenmaterial entgegen und führt die vergleichende Publikation fort.
JurPC Web-Dok
93/2006, Abs. 14

Fußnoten:

(1)http://www.vd-bw.de
(2) Bundesgesetzblatt, Teil I
(3) Gesetzblatt des Landes Baden-Württemberg
(4) Gemeinsames Amtsblatt des Landes Baden-Württemberg
(5) Amtsblatt Kultus und Unterricht Baden-Württemberg
(6)Amtsblatt Die Justiz Baden-Württemberg
(7)Amtsblatt Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg; eingestellt Ende des Jahres 2000
(8) Abkürzung für Rechtsdienst
(9) früher: Gültigkeitsverzeichnis; neue Bezeichnung nunmehr: Bekanntmachungsverzeichnis
(10) verfassungs- und verwaltungsgerichtliche Entscheidungssammlung Baden-Württemberg
(11)http://www.recht.makrolog.de
(12) Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt
(13) gemeint ist der Amtliche Teil der Stammausgabe, d.h. der Amtliche Teil ohne gerichtliche und sonstige Bekanntmachungen
(14) Vgl. Pressemitteilung der juris GmbH abrufbar unter http://www.juris.de/jportal/navigation/
Unternehmen/Presse/Pressemitteilungen/Bundesanzeiger+Verlag.jsp#

* Wolfgang Kuntz, Mitarbeiter der Recht für Deutschland GmbH, daneben für die Gemeinsame Kommission Elektronischer Rechtsverkehr des EDV-Gerichtstages e.V. tätig, ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Valentin & Schmieden in Saarbrücken-Gersweiler.
[online seit: 18.08.2006]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Kuntz, Wolfgang, Überlegungen zur Nutzung von Gesetzessammlungen - JurPC-Web-Dok. 0093/2006