Lutz Meyer-Goßner *Anmerkung zum Beschluss des BGH vom 6. September 2002 (Aktenzeichen 2 ARs 251/02; 2 AR 132/02) = JurPC Web-Dok. 349/2002JurPC Web-Dok. 350/2002, Abs. 1 - 5 |
Die neue Technik macht es erforderlich, auch alte Vorschriften der Strafprozessordnung neu auszulegen. Hier ging es um die Frage, welches von zwei Amtsgerichten dafür örtlich zuständig war, die nach § 100b Abs. 1 Satz 3 StPO erforderliche richterliche Anordnung für ein Auskunftsersuchen über Telekommunikationsverbindungen nach §§ 100g, 100h StPO (den - inhaltlich erheblich geänderten - Nachfolgevorschriften des § 12 FAG) zu erteilen. Dass die Beantwortung dieser Frage von großer praktischer Bedeutung ist, zeigt sich daran, dass innerhalb von nur zwei Wochen gleich drei Anträge (ARs 251/02, 252/02 und 276/02) auf Bestimmung des zuständigen Gerichts beim BGH eingingen. Die in Betracht kommenden Gerichte (die Amtsgerichte Darmstadt und Ulm) hatten sich jeweils für (örtlich) unzuständig erklärt (sog. negativer Kompetenzkonflikt), so dass der BGH gemäß § 14 StPO als das gemeinschaftliche obere Gericht entscheiden musste (denn schon auf der darunter liegenden Ebene waren verschiedene Oberlandesgerichte zuständig, nämlich Frankfurt und Stuttgart). | JurPC Web-Dok. 350/2002, Abs. 1 |
Es ging daher um die Auslegung des § 162 Abs. 1 Satz 1 StPO. Nach dieser - seit Inkrafttreten der StPO am 1.10.1879 (von einer kleinen sprachlichen Änderung abgesehen) inhaltlich unveränderten Vorschrift stellt die Staatsanwaltschaft ihren Antrag bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk die richterliche Untersuchungshandlung vorzunehmen ist. Der Generalbundesanwalt (GBA) meinte, das sei das AG Darmstadt, denn es komme auf den Sitz der auskunftspflichtigen Firma und nicht auf den Aufbewahrungsort der Quellen für die geschuldete Auskunft an; welcher Abteilungen sich ein Auskunftspflichtiger zur Erfüllung seiner Pflicht bediene, könne keine Rolle spielen. Demgegenüber hat nun der BGH gerade entgegengesetzt judiziert: Das AG Ulm sei zuständig, denn entscheidend sei, wo die Auskunft zu erteilen und wo die Anordnung gegebenenfalls zu vollstrecken wäre. Interessanterweise haben sowohl GBA als auch BGH für ihre Meinung die größere Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für sich in Anspruch genommen: Der GBA führte aus, der Sitz der auskunftspflichtigen Firma sei "bekannt und werde in anderen Fällen leichter zu ermitteln sein als der Aufbewahrungsort der Quellen". Der BGH erwiderte, es sei nicht im Interesse einer sachnahen Entscheidung, wenn die Staatsanwaltschaft trotz Kenntnis des Ortes, an der die Untersuchungshandlung vorzunehmen sei, "zunächst die Organisationsstruktur oder den Sitz einer juristischen Person - ggf. im Ausland - ermitteln" müsse. | Abs. 2 |
Sowohl aus rechtlichen als auch aus praktischen Erwägungen erscheint die Ansicht des BGH vorzugswürdiger und die getroffene Entscheidung somit richtig: | Abs. 3 |
Die nach § 100g StPO verlangte Erteilung einer Auskunft darüber, ob von einem Telekommunikationsanschluss Telekommunikationsverbindungen hergestellt worden sind, muss nach § 162 Abs. 1 Satz 1 StPO bei dem Amtsgericht beantragt werden, in dessen Bezirk die Verbindungsdaten zu erheben und die Auskünfte zu erteilen sind. Das war hier unzweifelhaft das AG Ulm; denn am Sitz der Gesellschaft wurden solche Daten nicht erhoben und von dort aus konnten demnach die begehrten Auskünfte auch nicht erteilt werden. Vielmehr musste das Ersuchen - wie der BGH zutreffend feststellt - nach § 88 TKG umgesetzt werden. Wenn das aber so ist, dann muss auch die richterliche Anordnung (oder wie in einem der anderen Fälle - ARs 276/02 - die richterliche Bestätigung einer von der Staatsanwaltschaft getroffenen Eilanordnung nach § 162 Abs. 1 Satz 3 StPO) bei diesem Gericht beantragt werden. | Abs. 4 |
Dies hat (was allerdings für die zu treffende Entscheidung nicht ausschlaggebend sein durfte) auch praktische Vorzüge gegenüber der vom GBA vertretenen Meinung: Die Staatsanwaltschaft weiß, wo sie eine Untersuchungshandlung vorgenommen haben möchte; der Ort der Untersuchungshandlung steht damit stets fest. Im vorliegenden Fall war zwar auch der Sitz der auskunftspflichtigen Firma bekannt; das muss jedoch keineswegs immer so sein. Deshalb kann auch dem letzten Satz des hier besprochenen Beschlusses nur zugestimmt werden, wobei insbesondere auch der Hinweis auf einen möglicherweise im Ausland befindlichen Firmensitz die Praxisnähe der Entscheidung beweist.
| JurPC Web-Dok. 350/2002, Abs. 5 |
* Prof. Dr. Lutz Meyer-Goßner ist Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D. und Herausgeber des Standardkommentars zur StPO. |
[online seit: 04.11.2002] |
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs. |
Zitiervorschlag: Meyer-Goßner, Lutz, Anmerkung zum Beschluss des BGH vom 6. September 2002 (Aktenzeichen 2 ARs 251/02; 2 AR 132/02) - JurPC-Web-Dok. 0350/2002 |