Sylvia Bonitz *Rede zum Tagesordnungspunkt "Voraussetzungen für die Durchführung von Online-Wahlen"(DS 14/6318)JurPC Web-Dok. 245/2001, Abs. 1 - 31 |
Vorwort der Redaktion: Am 11.10.2001 wurde vor dem Deutschen Bundestag über einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion zum Thema "Voraussetzungen für die Durchführung von Online-Wahlen" (Drucksache 14/6318) verhandelt. Es waren Redebeiträge von je einem Redner aller im Bundestag vertretenen Fraktionen bzw. Parteien vorgesehen. Diese Reden wurden am 11.10. aber nicht gehalten, sondern zu Protokoll gegeben, der Antrag der CDU/CSU wurde an den zuständigen Ausschuss verwiesen. JurPC veröffentlicht alle Reden ungekürzt in einer Serie verteilt über fünf Erscheinungstermine. |
JurPC Web-Dok. 245/2001, Abs. 1 |
Sehr geehrter Herr Präsident (Frau Präsidentin), sehr geehrte Damen und Herren, |
Abs. 2 |
1. Einleitung |
Man stelle sich vor, es wäre Wahl und keiner ginge hin. | Abs. 3 |
Was im ersten Moment nach einem dramatischen Absinken der Wahlbeteiligung aussieht, könnte in nicht allzu ferner Zukunft auch eine andere Ursache haben: die Teilnahmemöglichkeit an Online-Wahlen. | Abs. 4 |
In den letzten Jahren hat die Zahl der Internet-Nutzer weltweit stark zugenommen. Auch bei uns in Deutschland nutzen inzwischen über 20 Mio. Deutsche das Internet zur Unterhaltung, zur Kommunikation oder zur Informationsbeschaffung. Immer mehr bundesdeutsche Haushalte sind mit Personal-Computern ausgestattet, und so gewinnt angesichts einer stetig wachsenden Zahl von Internet-Nutzern die Möglichkeit der Online-Stimmabgabe zunehmend an Bedeutung. Die mittels Internet abgegebene Wählerstimme könnte damit die herkömmliche Stimmabgabe im Wahllokal oder per Briefwahl um ein attraktives, zeitgemäßes Angebot ergänzen. Innenminister Otto Schily hat zwar bereits Anfang Mai diesen Jahres angekündigt, dass im Jahre 2006 die Bundestagswahl auch online möglich sein würde. Allerdings schon zwei Wochen später hat er dieses Datum auf das Jahr 2010 nach hinten korrigiert. Es fällt auf, dass neben plakativen Ankündigungen, Deutschland befände sich auf dem Wege zu Online-Wahlen, konkrete Schritte in diese Richtung bislang nicht erkennbar sind. Gewiss wird im Bundesinnenministerium eifrig an den Vorbereitungen für die Durchführung von Online-Wahlen gearbeitet. Nur erfahren wir davon nichts. Und so fällt es schwer zu beurteilen, wie es um die Sache steht. | Abs. 5 |
Vor allem interessiert, ob auch die Sicherheit solcher elektronisch-gestützter Wahlverfahren wirklich gewährleistet werden kann. Dies ist ein ganz entscheidender Punkt. Daraus resultiert unser Antrag, einen Bericht der Bundesregierung zu diesem Thema einzufordern. | Abs. 6 |
2. Beispiele für Online-Wahlen |
Schließlich sind uns andere Länder voraus bei diesem Thema. Online-Wahlen als technische Erweiterung des Wahlsystems sind bereits in einigen europäischen Ländern, aber auch in den USA und in Neuseeland möglich oder zumindest für die nähere Zukunft geplant. Es liegt daher nahe, sich die Erfahrungen aus anderen Ländern oder Kommunen zunutze zu machen, zumal es inzwischen einige sehr erfolgversprechende Vorbilder gibt: | Abs. 7 |
So sollen in Stockholm bereits im Jahre 2003 gültige Wahlen und Abstimmungen in einzelnen Stimmbezirken durchgeführt werden. Für das Parlament ist eine solche Online-Wahlmöglichkeit für das Jahr 2005 geplant. Auch die neuseeländische Ministerpräsidentin hat für ihr Land Modellprojekte zum "e-voting" angekündigt. [In den USA wird ebenso verstärkt hierüber nachgedacht, insbesondere auch nach dem Wahldebakel in Florida.] | Abs. 8 |
In der Tat wurden auch in Deutschland bereits erste Schritte unternommen. So fand im Juli diesen Jahres in Esslingen am Neckar (Baden-Württemberg) die erste rechtsverbindliche Internet-Wahl zu einem öffentlichen Gremium in Europa statt. Jugendliche hatten die Möglichkeit, auf Signaturenkarten gestützt, per Online-Wahl ihren Jugendgemeinderat zu wählen. Interesse und Zustimmung waren bei den Jugendlichen groß. Das jüngste Beispiel ist die Landratswahl im Landkreis Marburg-Biedenkopf im September 2001. 234 Briefwähler hatten sich im Vorfeld für die Stimmabgabe im Netz registrieren lassen. | Abs. 9 |
3. Rückblick auf die Einführung der Briefwahl |
Doch ich sage es deutlich, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht uns bei dem Begriff der Online-Wahl um die Schaffung einer zusätzlichen Möglichkeit der Stimmabgabe neben Urnen- und Briefwahl. Von einem vollständigen Ersatz der bisherigen Wahlmöglichkeiten kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Rede sein. | Abs. 10 |
Und was spricht eigentlich dagegen, das Wahlrecht mit der Einführung einer zeitgemäßen, zusätzlichen Stimmabgabemöglichkeit zukunftsgewandt fortzuentwickeln und zu ergänzen? Schließlich wurde auch die Briefwahl erst einige Jahre nach dem Entstehen der Bundesrepublik Deutschland zugelassen. Erst seit 1957 dürfen Wählerstimmen per Briefwahl abgegeben werden. Dabei ist die Briefwahlmöglichkeit seinerzeit vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich nur als Ausnahme genehmigt worden. Sie sollte auf diejenigen beschränkt sein, die am Wahltag aus einem gesundheitlichen oder anderen triftigen Grund nicht im Wahllokal erscheinen können. | Abs. 11 |
Aus dieser Ausnahme hat sich allerdings in den letzten Jahren eine stetig gestiegene Zahl von Briefwählern entwickelt. So betrug der Anteil an Briefwahlstimmen bei der Bundestagswahl 1998 allein 16%, in München sogar 25%, d.h. dort wurde jede vierte Stimme per Briefwahl abgegeben. | Abs. 12 |
Was läge also näher, als angesichts einer stetig wachsenden Zahl von Internet-Nutzern demnächst auch die Möglichkeit der Stimmabgabe mittels dieses elektronischen Mediums zuzulassen? Sie wäre in vielen Fällen bequemer, da eine sonst erforderliche Anforderung vom Briefwahlunterlagen entfällt. | Abs. 13 |
Um aber den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gerecht zu werden, gilt weiterhin der Grundsatz, dass der Wähler sein Kreuz in der Wahlkabine zu machen hat. Wenngleich dieser Grundsatz zunehmend unterlaufen wird, so bleibt doch festzuhalten: Eine komplette Wahl im Internet widerspräche wohl auch unserer Wahlkultur. Einige kritisieren gar, eine Stimmabgabe per Mausklick tangiere die "Würde" des Wahlaktes. | Abs. 14 |
4. Online-Wahl: (k)ein Mittel gegen Wählerverdrossenheit? |
Nun, ich gebe zu, es gibt bei einigen die Hoffnung, auf diesem Wege der zunehmenden Wahlmüdigkeit begegnen zu können. Immer wieder haben uns in letzter Zeit "Negativrekorde" im Hinblick auf geringe Wahlbeteiligungen aufgeschreckt. So betrug bei den niedersächsischen Kommunalwahlen die Wahlbeteiligung nur noch enttäuschende 56,2%. | Abs. 15 |
Doch ich warne davor, in Online-Wahlen ein Allheilmittel gegen diesen Trend zu sehen. Vielleicht mag tatsächlich der eine oder andere auf elektronischem Wege eher motiviert sein, seine Stimme abzugeben. Gerade wenn es draußen regnet und stürmt mag der Weg ins Wahllokal als beschwerlich angesehen werden, so dass manche Stimmabgabe unterbleibt. | Abs. 16 |
Doch eine geringe Wahlbeteiligung hat letztlich andere, tiefergehende Ursachen. Ein liebestoll herumplanschender Verteidigungsminister, der gern völlig desinformiert im TV-Morgenmagazinen herumplaudert, sei hier nur als ein Beispiel wenig hilfreicher Art angeführt. Angesichts solcher "Politikerverdrossenheit" kann ich schon verstehen, wenn die Würde des Wahlaktes von einigen als Bürde empfunden wird. | Abs. 17 |
5. Ziele |
Doch zurück zu unserem Unionsantrag, der Ihnen heute zur Debatte vorliegt. | Abs. 18 |
CDU und CSU wollen die bisherigen Stimmabgabemöglichkeiten um eine moderne, zukunftsgerichtete Abstimmungstechnik ergänzen, zumal diese insbesondere auch die jüngeren Menschen in unserem Lande anspricht. Uns ist klar, dass Online-Wahlen kein Allheilmittel gegen Wahlmüdigkeit und Politikverdrossenheit sind. Sie sind aber als ergänzendes Angebot ein wichtiger Schritt hin zu zeitgemäßeren Abstimmungsverfahren. | Abs. 19 |
Auch ältere und gesundheitlich beeinträchtigte Menschen können davon profitieren. Wer nicht mehr so mobil ist, dem kann die elektronische Stimmabgabe eine echte Erleichterung sein. Denn auch bei diesem Personenkreis stößt das Internet zunehmend auf Interesse. | Abs. 20 |
Was wir hingegen nicht wollen, ist die schleichende Einführung von Volksabstimmungen über den elektronischen Umweg. Online-Wahlen sind eine dritte ergänzende Möglichkeit der Stimmabgabe neben Urnenwahl und Briefwahl. Von vielen wird diese technische Erweiterung der Stimmabgabemöglichkeit zwar gerne mit dem Thema Volksentscheid verknüpft. Für uns sind dies allerdings zwei Paar verschiedene Schuhe! | Abs. 21 |
Wir wollen den Wählerinnen und Wählern lediglich eine andere, für PC-Nutzer naheliegende Form der Stimmabgabe anbieten. | Abs. 22 |
6. Inhalt des Antrages |
Um hier bei der Realisierung voranzukommen, fordern wir die Bundesregierung auf, einen Bericht über die gesetzlichen, sicherheitstechnischen und verwaltungsrelevanten Erfordernisse an Online-Wahlen sowie die Maßnahmen zu ihrer Realisierung vorzulegen. | Abs. 23 |
Gleichzeitig wird die Bundesregierung aufgefordert darzulegen, unter welcher zeitlichen Perspektive und mit welchem technischen, personellen sowie finanziellen Aufwand erste Online-Wahlen auf den unterschiedlichen Ebenen durchgeführt werden können. | Abs. 24 |
Die Bundesregierung soll geeignete Projekte zur Erprobung von Online-Wahlen entwickeln und dabei die Erfahrungen aus anderen Ländern oder anderen gesellschaftlichen Bereichen heranziehen. | Abs. 25 |
Eine ganz entscheidende Voraussetzung kommt dabei der Entwicklung eines sicheren und manipulationsfreien Wahlsystems zu, um die Vertraulichkeit der Wahlentscheidung zu gewährleisten. Das Vertrauen der Bürger in die Sicherheit einer solchen Wahlalternative ist schließlich die Grundvoraussetzung für ihre allgemeine Akzeptanz. | Abs. 26 |
Online-Wahlen können letztlich nur durchgeführt
werden, wenn die grundgesetzlichen Anforderungen des Artikels 38 GG an allgemeine,
unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen erfüllt sind. So muss
-die eindeutige Feststellung der Wahlberechtigung, -die dauerhafte Geheimhaltung der abgegebenen Wahlentscheidung, -und die gebotene Einmaligkeit der Stimmabgabe und Stimmzählung gewährleistet sein. Vor allem aber muss der gesamte Wahlvorgang sicher vor Manipulationen, wie sie beispielsweise durch Hacker-Angriffe denkbar sind, geschützt werden und eine Nachprüfbarkeit der Wahlergebnisse möglich sein. |
Abs. 27 |
Die Bundesregierung soll diese Bedingungen in Modellprojekten erarbeiten, testen und letztlich die Funktionalität sicherstellen. Ist all dies gewährleistet, so wird auch die Bevölkerung das Angebot von Online-Wahlen gewiss annehmen. | Abs. 28 |
Schluss: |
CDU und CSU werden die Anstrengungen der Bundesregierung zur Ermöglichung von Online-Wahlen in diesem Sinne wohlwollend-kritisch begleiten, um die zukunftsgewandte Option einer zusätzlichen Online-Stimmabgabe- möglichkeit zügig einzuführen. Allerdings kann dieses nur geschehen, wenn die nötigen Sicherheitsanforderungen eingehalten werden und auch die weiteren Voraussetzungen geschaffen sind. | Abs. 29 |
Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, einen entsprechenden Bericht vorzulegen. Erst muss die Bundesregierung ihre Hausaufgaben erledigen. Dann können wir hoffentlich auch bald per Mausklick wählen. In diese Sinne schließe ich: | Abs. 30 |
Heute Schily, morgen scharf,
starke Sprüche nach Bedarf. Doch bis zum Online-Wählerglück, fehlt ihm noch ein ganzes Stück. |
JurPC Web-Dok. 245/2001, Abs. 31 |
* Sylvia Bonitz ist Abgeordnete der Bundestagsfraktion der CDU/CSU. E-Mail: sylvia.bonitz@bundestag.de |
[online seit: 10.12.2001] |
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs. |
Zitiervorschlag: Bonitz, Sylvia, Rede zum Tagesordnungspunkt "Voraussetzungen für die Durchführung von Online-Wahlen" (DS 14/6318) - JurPC-Web-Dok. 0245/2001 |