Matthias Pierson: Softwarepatente - Kategorien aus
patentrechtlicher Sicht, | |||
Nr. | Kategorie | Rechtsprechungsbeispiele | Kennzeichnung |
Patentierbarkeit bejaht | |||
1 | Das Programm ist "in technische Abläufe eingebunden, etwa dergestalt, dass es Messergebnisse aufarbeitet, den Ablauf technischer Einrichtungen überwacht oder sonst steuernd bzw. regelnd nach außen wirkt" (unter Bezugnahme auf die ABS-Entscheidung in BGH "Fehlerhafte Zeichenketten" CR 2002, 88, 90). | BGH v. 13.5.1980 "Antiblockiersystem"
GRUR 1980, 849, 851; BGH v. 4.2.1992 "Tauchcomputer" GRUR 1992, 430;
zuletzt bestätigt in BGH v. 17.10.2001 "Fehlerhafte Zeichenketten"
CR 2002, 88, 90; EPA Technische Beschwerdekammer v. 21.5.1987 "Röntgeneinrichtung / Koch & Sterzel",GRUR Int. 1988, 585 = CR 1987, 671; EPA Technische Beschwerdekammer GRUR, 1990, 468, 469 "Datenprozessornetz/IBM"; EPA Technische Beschwerdekammer v. 01.07.1998 "Computerprogrammprodukt /IBM", GRUR Int. 1999, 1053, 1055 (Ziff. 6.5) | Gebiet der Regel-, Messtechnik und Prozesssteuerung. Programmgesteuerte DVA greift unmittelbar in eine externe (traditionell technische) Umgebung ein (BGH "Antiblockiersystem") bzw. ist eng mit dieser verknüpft (BGH "Tauchcomputer"). |
2 | ".. ein Verfahren, mit dem vermittels einer Datenverarbeitungsanlage durch Prüfung und Vergleich von Daten ein Zwischenschritt im Rahmen der Herstellung technischer Gegenstände [im konkreten Fall: Chip-Produktion] erledigt werden kann, wenn diese Lösung durch eine auf technischen Überlegungen beruhende Erkenntnis und deren Umsetzung geprägt ist" (unter Bezugnahme auf die Entscheidung "Logikverifikation" in BGH "Fehlerhafte Zeichenketten" CR 2002, 88, 90). | BGH v. 3.12.1999 "Logikverifikation"
(Chip-Produktion), GRUR 2000, 498; zuletzt bestätigt in BGH v. 17.10.2001 "Fehlerhafte
Zeichenketten" CR 2002, 88, 90; EPA Technische Beschwerdekammer 15.7.1986 "VICOM"
Mitt. 1986, 193 = CR 1986, 537; EPA Technische Beschwerdekammer v. 31.05.1994 "Universelles Verwaltungsprogramm / SOHEI", GRUR Int. 1995, 909 ff.; bestätigt in EPA Technische Beschwerdekammer v. 01.07.1998 "Computerprogrammprodukt /IBM", GRUR Int. 1999, 1053, 1056 (Ziff. 7.3) | Programmgemäße Lehre ist durch auf technischen Überlegungen beruhende Erkenntnisse geprägt. |
3 | Die (programmgemäße) Lehre betrifft die "Funktionsfähigkeit der Datenverarbeitungsanlage als solche" und ermöglicht "damit das unmittelbare Zusammenwirken ihrer Elemente" (unter Bezugnahme auf die Entscheidung "Seitenpuffer" in BGH "Fehlerhafte Zeichenketten" CR 2002, 88, 90). | BGH v. 01.6.1991 "Seitenpuffer" GRUR 1992, 33; zuletzt bestätigt in BGH v. 17.10.2001 "Fehlerhafte Zeichenketten" CR 2002, 88, 90. | Programm lehrt erfinderische Brauchbarkeit (Betriebssystem) einer Datenverarbeitungsanlage. |
4 | (Programmgemäße) "Anweisungen, die einen bestimmten Aufbau einer Datenverarbeitungsanlage lehren oder vorsehen, eine solche Anlage auf eigenartige Weise zu benutzen" (unter Bezugnahme auf die Entscheidung "Dispositionsprogramm" in BGH "Fehlerhafte Zeichenketten" CR 2002, 88, 90). | BGH v. 22.6.1976 "Dispositionsprogramm"BGH Z 67, 22 = GRUR 1977, 96 ff.; zuletzt bestätigt in BGH v. 17.10.2001 "Fehlerhafte Zeichenketten" CR 2002, 88, 90. | (Ähnlich wie Kategorie 3) Programm lehrt erfinderischen Aufbau einer Datenverarbeitungsanlage bzw. erfinderische Brauchbarkeit. |
Patentierbarkeit verneint | |||
5 | "Im Vordergrund des
Anmeldungsgegenstandes steht die Ordnung" von Daten. Das "Ordnungssystem
ist gedanklicher Art und bedient sich keiner Mittel, die sich außerhalb
der menschlichen Verstandestätigkeit auf technischem Gebiet befinden"
( BGH v. 01.06.1991"Chinesische Schriftzeichen", GRUR 1992, 36 ff.) ähnlich: Ein Verfahren (Textkorrekturprogramm) bedarf "einer Auseinandersetzung mit sprachlichen Regeln, insbesondere der Rechtschreibung, und einer Untersuchung menschlichen Fehlverhaltens beim Schreiben eines Textes. Eine Auseinandersetzung mit technischen Gegebenheiten ist - abgesehen von der Implementierung mit Datenverarbeitungsmitteln - nicht erkennbar." (BGH v. 17.10.2001 "Suche fehlerhafter Zeichenketten", CR 2002, 88 ff.; BPatG v. 26.3.2002, 17. Senat, "Suche fehlerhafter Zeichenketten/Tippfehler", GRUR 2002, 871) " | BGH v. 01.06.1991 "Chinesische Schriftzeichen", GRUR 1992, 36 ff.; BGH v. 17.10.2001 "Suche fehlerhafter Zeichenketten", CR 2002, 88 ff.; BPatG v. 26.3.2002, 17. Senat, "Suche fehlerhafter Zeichenketten/Tippfehler", GRUR 2002, 871ff. | Reine Organisations- und
Rechenregel ohne Bezug zu traditionell technischem Gebiet: "Der Erfolg der Lehre steht und fällt mit den gedanklichen Maßnahmen des Ordnens der verarbeiteten Daten." ( BGH v. 01.06.1991 "Chinesische Schriftzeichen" GRUR 1992, 36 ff.) bzw. "Das vorgeschlagene Verfahren zeichnet sich ... nicht durch eine Eigenheit aus, die unter Berücksichtigung der Zielsetzung patentrechtlichen Schutzes - nämlich Problemlösungen auf dem Gebiet der Technik zu fördern - eine Patentierbarkeit rechtfertigt" (BGH v. 17.10.2001 "Suche fehlerhafter Zeichenketten", CR 2002, 88 ff.; BPatG v. 26.3.2002, 17. Senat, "Suche fehlerhafter Zeichenketten/Tippfehler", GRUR 2002, 871) |
6 | Bei der programmgemäßen Lehre stehen "markt- und betriebswirtschaftliche Aspekte" "gegenüber den eingesetzten Naturkräften im Vordergrund". | BGH v. 11.3.1986 "Flugkostenminimierung"GRUR
1986, 531 ff. (rechnergestütztes Verfahren zur optimalen Regelung des
Treibstoffdurchsatzes eines Flugzeuges); BPatG v. 9.4.2002 "Geschäftliche Tätigkeit" (Geschäftsprozessoptimierung) GRUR 2002, 869 ff. ; zuletzt BPatG v. 29.4.2002, 20. Senat, "Cyber-Cash-Verfahren" CR 2002, 559 ff. | Im Vordergrund der programmgemäßen Problemlösung stehen nicht auf technischem (sondern z.B. betriebswirtschaftlichem) Gebiet liegende Verfahren (Geschäftsmethoden / sog. Business Solutions). Wie das BPatG in seiner richtungsweisenden Entscheidung "Cyber-Cash-Verfahren" gezeigt hat, scheitert die Patentierbarkeit bei gebotener Prüfung jedoch nicht am Erfordernis der "Technizität", sondern am Erfordernis erfinderischer Tätigkeit, d.h. eines "technischen Beitrags zum Stand der Technik"! |
7 | Die programmgemäße Lehre ist "losgelöst von einer konkreten Umsetzung" (BGH "Suche fehlerhafter Zeichenketten") bzw. ein "rein abstraktes Werk ohne technischen Charakter", das keinen über die " normale' physikalische Wechselwirkung zwischen dem Programm (Software) und dem Computer (Hardware), auf dem es läuft", hinausgehenden technischen Effekt aufweist. | BGH v. 17.10.2001"Suche
fehlerhafter Zeichenketten"CR 2002, 88, 91; EPA Technische Beschwerdekammerv. 01.07.1998 "Computerprogrammprodukt / IBM", GRUR Int. 1999, 1053 ff. | Es handelt sich um ein vom Patentschutz nach Art. 52 Abs. 2, 3 EPÜ, § 1 Abs. 2, 3 PatG ausgeschlossenes "Computerprogramm als solches".Das heißt, es handelt sich um ein logisch-mathematisches Lösungsmodell, losgelöst von seiner funktionellen Verarbeitung im Zusammenwirken mit der einer Datenverarbeitungsanlage (vgl. bereits Pierson, Der Schutz der Programme für die Datenverarbeitung im System des Immaterialgüterrechts, 1991, S. 163 ff., 192, 216), mit anderen Worten: die der Anweisung an den Rechner vorausgehende Konzeption (Melullis, GRUR 1998, 843, 852). |
FazitIn der Rückschau auf die gut drei Jahrzehnte andauernden Bemühungen einer patentrechtlichen Einordnung softwarebezogener Erfindungen lässt sich feststellen: Die in Bezug auf Computerprogramme missglückte "als solche"-Regelung (§ 1 Abs. 2, 3 PatG, Art. 52 Abs. 2, 3 EPÜ) sowie die vom BGH in seiner frühen Rechtsprechung entwickelte sog. Kerntheorie haben sich als die wesentlichen Hindernisse auf dem Weg hin zu einer überzeugenden patentrechtlichen Beurteilung von softwarebezogenen Erfindungen erwiesen - allzu lange haben diese den Blick auf die nicht zu leugnende generelle Technizität von Computerprogrammen verstellt. Erst relativ spät hat daher die patentrechtliche Entscheidungspraxis - gestützt auf eine an Sinn und Zweck des Patentrechts orientierte Auslegung der "als-solche"-Regelung sowie eine gesamtheitliche, technische und nicht-technische Merkmale einer programmbezogenen Lehre berücksichtigende Beurteilung - zu einer mit dem Wesen der Computerprogramme als technischen Problemlösungen im Einklang stehenden Beurteilung gefunden. Erst die Anerkennung des generell zu bejahenden technischen Charakters von Computerprogrammen hat allmählich der Erkenntnis zum Durchbruch verholfen, dass die entscheidende Frage bei der Beurteilung softwarebezogener Lehren nicht auf deren - zweifellos zu bejahende - "Technizität", sondern - wie bei anderen technischen Lehren auch - auf deren "Neuheit" und insbesondere ihr "Beruhen auf einer erfinderischen Tätigkeit" zielt. Als richtungsweisend einzuordnen ist insoweit die überzeugende Entscheidung des BPatG in Sachen "Cyber-Cash", die - gestützt auf eine kritische Analyse der Rechtsprechung des BGH sowie der Technischen Beschwerdekammern des EPA - den bereits mit den Vorgaben des Richtlinienvorschlages zur Softwarepatentierung im Einklang stehenden aktuellen "Stand der (Rechtsprechungs-)Technik" markiert! |
Zitiervorschlag: Pierson, Matthias, Softwarepatente - Kategorien aus patentrechtlicher Sicht - JurPC-Web-Dok. 0183/2004 |