AG Dachau
|
BGB § 823 |
Leitsatz (der Redaktion) |
Das einmalige, unverlangte Zusenden einer Werbe-E-Mail unter Gewerbetreibenden verpflichtet noch nicht zum Schadensersatz, da es insoweit an einem betriebsbezogenen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb fehlt und die Schwelle der Sittenwidrigkeit dieses werblichen Vorgehens nicht erreicht ist. |
Tatbestand |
Die Klägerin begehrt Schadensersatz wegen einer unerwünscht an sie gesandten E-Mail. | JurPC Web-Dok. 190/2001, Abs. 1 |
Beide Parteien betreiben Unternehmen in der IT-Branche. Am 11.10.2000 sandte die Beklagte an die Klägerin eine Werbe-E-Mail, die eindeutig als solche zu erkennen war. Die E-Mail enthielt als Anlage eine umfangreiche Datei mit Werbematerial. Die E-Mail wurde durch die Klägerin Online von einem Server heruntergeladen und geöffnet. Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 29.11.2000 forderte die Klägerin die Beklagte zur Abgabe einer Unterlassungserklärung bis 13.12.2000 auf. Auf diesen Schriftsatz erwiderte die Beklagte nicht. | Abs. 2 |
Die Klägerin behauptet, die von der Beklagten übersandte E-Mail habe insgesamt eine Größe von 2,5 Megabyte gehabt. Das Herunterladen, Öffnen und Prüfen der E-Mail habe eine halbe Stunde gedauert und entsprechende Telefongebühren veranlasst. In dieser Zeit sei der Computer blockiert gewesen, es sei entsprechende Speicherkapazität belegt worden und Arbeitszeit durch Mitarbeiter aufgewendet worden. Die E-Mail der Beklagten sei unerwünscht gewesen. Auf der Homepage der Klägerin sei ein Hinweis zu finden, dass die Zusendung von Werbe-E-Mails nicht erwünscht sei. | Abs. 3 |
Die Klägerin macht Schadenersatzansprüche in Höhe von DM 100, -- als Pauschalbetrag wegen eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und wegen unlauteren Wettbewerbs geltend. Darüber hinaus begehrt sie Erstattung der Rechtsanwaltsgebühren, die der Klägerin infolge des Abmahnschreibens entstanden sind, in Höhe einer 7,5 Zehntelgebühr von DM 198,80 sowie eine Auslagenpauschale in Höhe von DM 29,90. | Abs. 4 |
Die Klägerin beantragt daher zu erkennen:
|
Abs. 5 |
Die Beklagte beantragt:
|
Abs. 6 |
Die Beklagte trägt vor, ein Herunterladen und Öffnen der E-Mail sei nicht nötig gewesen, wenn es erfolgt sei, zeige dies aber das Interesse der Klägerin an der E-Mail. Aus der Homepage sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin keine unverlangten E-Mails wünsche, sondern lediglich, dass es illegal sein könne, solche E-Mails zu versenden. | Abs. 7 |
Zur Ergänzung des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. | Abs. 8 |
Entscheidungsgründe |
Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet. | Abs. 9 |
Das Problemfeld des Versendens von Werbe-E-Mails ("Spamming") ist umstritten. Insoweit liegt - soweit ersichtlich - noch keine gefestigte Rechtsprechung vor. | Abs. 10 |
Aus der Fernabsatzrichtlinie (FARL) und dem darauf basierenden Fernabsatzgesetz lassen sich für den vorliegenden Fall keine Schlüsse ziehen. Zum einen wird nämlich keine eindeutige Regelung dort getroffen, zum anderen beziehen sich die Normen lediglich auf den Kontakt zwischen Verbrauchern und Unternehmern. Im vorliegenden Fall hingegen geht es um die Kontaktaufnahme über E-Mail zwischen zwei Unternehmen. Eine Klärung durch den Gesetzgeber könnte die sogenannte E-commerce-Richtlinie der Europäischen Union bringen, die aber noch nicht in Kraft getreten ist. Die technischen Möglichkeiten, unerwünschte E-Mails abzuwehren, etwa durch Anti-Spam-Filter oder sogenannte Robinson-Listen, sind noch nicht ausgereift. | Abs. 11 |
Ein Schadenersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen einer Eigentumsverletzung scheidet aus. | Abs. 12 |
Die von der Klägerin geltend gemachten Positionen (Speicherkapazität, Arbeitsaufwand und Computernutzung) sind bloße Vermögenswerte, die nicht vom Eigentumsbegriff im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB umfasst sind. | Abs. 13 |
Auch ein Schadenersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 1 UWG ist nicht gegeben. Zwar hat die Beklagte im geschäftlichen Verkehr zum Zwecke des Wettbewerbs gehandelt. Es fehlt jedoch an der Sittenwidrigkeit ihres Vorgehens. Sittenwidrig ist ein Verhalten dann, wenn es dem Anstandsgefühl der redlichen und verständigen Wettbewerber widerspricht oder wenn es von der Allgemeinheit missbilligt und für untragbar gehalten wird. Eine Abwägung zwischen legitimen Interessen des Werbenden und dem Recht auf eine ungestörte Sphäre des Adressaten ergibt jedoch, dass eine Sittenwidrigkeit im vorliegenden Fall fehlt. | Abs. 14 |
Der Klägerin ist zuzugeben, dass die momentane technische Situation unbefriedigend ist und bei der Massenversendung von E-Mails ein Zusammenbruch dieses Kommunikationsmittels drohen könnte. Auszugehen ist aber vom konkreten Fall. Hier wurde die Klägerin in ihrer geschäft1ichen Sphäre, also nicht in einer besonders geschützten Privatsphäre, kontaktiert. Im Geschäftsverkehr ist die werbende Kontaktaufnahme sozial üblich und notwendig, um den Wirtschaftskreislauf in Schwung zu halten. Dies gilt zumindest bei Angeboten wie dem der Beklagten, bei denen durchaus ein Interesse der Klägerin an der angebotenen Dienstleistung denkbar ist. | Abs. 15 |
Für die Form der Kontaktaufnahme gelten dabei im Verhältnis von Unternehmen zueinander weniger strenge Maßstäbe als im Verhältnis eines Gewerbetreibenden zum Verbraucher. Während sich in diesen Fällen ein strikter Maßstab bewährt hat, um die Privatsphäre des Verbrauchers nicht auszuhöhlen, ist im Geschäftsverkehr von größeren Freiheiten der Werbetreibenden auszugehen. Dies gilt insbesondere im Internet, das von zahlreichen Beobachtern primär als "Werbekanal" angesehen wird. Werbe-E-Mails sind also durchaus üblich. Im Vergleich zu Telefon und Telefax stören sie den betrieblichen Organismus weniger. Die Mitarbeiter werden nicht aus ihrer Arbeit gerissen, sondern sind geradezu auf den Empfang von Nachrichten eingestellt, wenn sie die E-Mails abfragen. E-Mails können auch problemlos und schnell entsorgt werden, es entsteht also nicht, wie etwa am Telefon, ein besonderer Rechtfertigungsdruck. Eine besondere Belästigung, die die Gewährung von Schadenersatz rechtfertigen würde, ist aus einer einzelnen E-Mail nicht ersichtlich. | Abs. 16 |
Auch ein Schadenersatzanspruch unter dem Gesichtspunkt des Eingriffes in das geschützte Rechtsgut des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes kommt nicht in Betracht. | Abs. 17 |
Ein zum Schadensersatz verpflichtender betriebsbezogener Eingriff liegt nicht vor. Durch die E-Mail wurde zwar der betriebliche Organismus unmittelbar gestört, in dem Arbeitszeit und Computerkapazität ohne Einverständnis beansprucht wurden, die Beeinträchtigung ging aber über eine bloße Belästigung nicht hinaus. Kurzfristige Inanspruchnahme von Speicherkapazität und die maximal 30-minütige Blockade eines Computers fallen bei einem Unternehmen dieser Branche nicht ins Gewicht, da die Ausstattung der Klägerin mit solchen Geräten für umfangreiche Online-Abfragen gerüstet sein muss. Auch die Kosten für die Herstellung einer Online-Verbindung sind niedrig anzusetzen, da Unternehmen aus der IT-Branche aufgrund ihres hohen Bedarfs regelmäßig günstige Verbindungsentgelte vereinbaren können. Setzt man hier etwa einen Minutenpreis von 4 Pfennigen an, so kommt man bei einer maximal 30-minütigen Verbindung auf einen Betrag von DM 1,20. Auch der Arbeitsaufwand hält sich in Grenzen. Die Abfrage der E-Mails erfolgt automatisch. Für das Öffnen und Prüfen der E-Mail braucht ein Mitarbeiter aber bestenfalls wenige Minuten, zumal der Werbeinhalt bereits aus der Kopfzeile der E-Mail hervorging und insofern der werbliche Charakter rasch erkennbar war. Ein anderes Ergebnis und ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb läge allenfalls bei wiederholten Belästigungen der Klägerin durch E-Mails der Beklagten vor. Nur dann wären möglicherweise auch Schadensersatzansprüche denkbar. | Abs. 18 |
Auch der Hinweis auf den Vermerk in der Homepage der Klägerin führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Die Klägerin konnte bereits nicht nachweisen, dass sich zum Zeitpunkt der Übersendung der E-Mail durch die Beklagte ein Hinweis auf ihrer Homepage befunden hätte, in dem eindeutig auf die Unerwünschtheit von Werbe-E-Mails hingewiesen wurde. | Abs. 19 |
Gerade für Fälle wie den vorliegenden, in denen nur eine einmalige Verletzung durch die Beklagte gerügt wurde, bietet sich die Abgabe einer gegebenenfalls strafbewehrten Unterlassungserklärung an. Durch eine solche Unterlassungserklärung könnte dem Interesse der Klägerin an einem Schutz vor unerwünschten E-Mails Rechnung getragen werden, ohne dass dem Beklagten Schadensersatzforderungen aufgebürdet werden. Hier hat die Klägerin aber keinen Unterlassungsanspruch geltend gemacht. | Abs. 20 |
Ein Anspruch auf Schadensersatz besteht nicht. Die Klage war daher abzuweisen. | Abs. 21 |
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§
708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
|
JurPC Web-Dok. 190/2001, Abs. 22 |
Anmerkung der Redaktion: Vgl. hierzu die Urteilsanmerkung von Ralf Winter, JurPC Web-Dok. 223/2001. |
[online seit: 19.11.2001] |
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok., Abs. |
Zitiervorschlag: Dachau, AG, Schadensersatz wegen "Spamming" - JurPC-Web-Dok. 0190/2001 |