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| Dirk M. Steinert* | |
| Urteilsanmerkung zu VG Wiesbaden, Urteil vom 28. Mai 2015, 4 K 982/12.WI | | | JurPC Web-Dok. 128/2015, Abs. 1 - 22 | | | | |
| | | Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 28. Mai
2015 verneint einen Ablieferungsanspruch hessischer Bibliotheken
für Medienwerke, die keinen inhaltlichen Bezug zum Land Hessen
und seiner Geschichte haben. | Abs. 1 | | In dem zugrundeliegenden Verfahren hatte ein Verein, der
Bücher mit deutschlandweiten Fußballstatistiken
herausgibt und bereits an die Deutsche Nationalbibliothek
abgeliefert hatte, für die zusätzliche Ablieferung an die
Hessische Landesbibliothek Wiesbaden (nunmehr Landesbibliothek
RheinMain) einen Druckkostenzuschuss verlangt. Das
Verwaltungsgericht verneint bereits die Ablieferungs- und damit auch
die Entschädigungspflicht mit drei Erwägungen: | Abs. 2 | | Erstens falle die Sammlung von Publikationen ohne
inhaltlichen Hessenbezug nicht in den landesbibliothekarischen
Aufgabenbereich hessischer Bibliotheken (§ 4 Abs. 2 HessBiblG; Urteil Rn. 36–42). | Abs. 3 | | Zweitens sei die Ablieferungsaufforderung angesichts der
bereits erfolgten Ablieferung an die Deutsche Nationalbibliothek
unbillig und ohne öffentliches Interesse; dieses ergebe sich
auch nicht aus dem Sitz des Vereins in Hessen (Urteil Rn. 43). | Abs. 4 | | Drittens falle die mit den Druckkosten von 20,-- bis
25,-- € je Exemplar verbundene Vermögensbelastung des
Vereins so wesentlich ins Gewicht, dass auch die
verfassungsrechtlichen Grenzen der Vorlagepflicht überschritten
seien (Urteil Rn. 44–48). | Abs. 5 | | Dieser Argumentation soll hier in allen drei Punkten
entgegengetreten werden. | Abs. 6 | | 1. Landesbibliothekarischer Aufgabenbereich | Abs. 7 | | Das Gericht führt aus, es vermöge nicht zu
erkennen, dass die Werke „einen Bezug zum Lande Hessen
hätten, schon gar nicht zu dessen Geschichte, so dass deren
Archivierung auch nicht zur Sicherung des historischen Erbes des
Bundeslandes Hessen erforderlich erscheint" (Urteil Rn. 41), und sieht so den landesbibliothekarischen
Aufgabenbereich (§ 4 Abs. 2 HessBiblG) nicht betroffen. | Abs. 8 | | a. Hierbei zieht das Gericht den ersten und den zweiten
Halbsatz von § 4 Abs. 2 HessBiblG zusammen. Der Gesetzestext
setzt aber in der Aufgabendefinition das Archivieren der in Hessen
erschienen Publikationen zur Sicherung des historischen Erbes, durch
ein schlichtes „und" verbunden, eigenständig neben das
Sammeln und Erschließen von Literatur und sonstigen
Medienwerke mit Bezug zum Land Hessen und seiner Geschichte. | Abs. 9 | | b. Außerdem ist die Gesetzesgeschichte zu
bedenken. | Abs. 10 | | aa. Bis zum 6. Dezember 2012 war die Ablieferungspflicht
in § 9 HPresseG geregelt, und dieser sprach in Abs. 1 Satz 1
ausdrücklich „(v)on jedem Druckwerk (...), das im
Geltungsbereich dieses Gesetzes verlegt wird" (GVBl.
1982 I S. 138). Dies war bereits in der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts von 1981 zur hessischen
Vorgängerregelung klar gebilligt worden (BVerfGE 58, 137, 146
f.). | Abs. 11 | | bb. Daran sollte durch das am 24. September 2010 in
Kraft getretene Bibliotheksgesetz (GVBl.
I S. 295) nichts geändert werden. So heißt es in
dessen Entwurfsbegründung (LT-Drs.
18/1728, S. 6): Die landesbibliothekarischen Aufgaben
„werden in Absatz 2 in möglichst allgemeiner Form
beschrieben. Sie sind mit Ausnahme des Pflichtexemplarrechts
gesetzlich nicht detailliert geregelt. Um künftige
Entwicklungen nicht durch verbindliche Aufgabenbeschreibungen zu
behindern, wird allerdings bewusst auf eine Detailregelung
verzichtet. Daraus ergibt sich, dass unbeschadet anderweitiger
gesetzlicher Aufgabenzuschreibungen alles das zu den
landesbibliothekarischen Aufgaben gehört, was in der jeweils
aktuellen bibliothekswissenschaftlichen Diskussion dazu gerechnet
wird." | Abs. 12 | | cc. Auch durch die Ersetzung von § 9 HPresseG durch
§ 4a HessBiblG zum 6. Dezember 2012 (GVBl.
S. 458, 463 f.) hat sich daran in der Sache nichts
geändert. Die Gesetzesänderung diente in erster Linie der
Erstreckung der Regelung auf Medienwerke in unkörperlicher
Form, wobei textlich eine Anlehnung an das Gesetz über die
Deutsche Nationalbibliothek (DNBG) erfolgte. Ansonsten
bestätigt die Entwurfsbegründung: der „festgelegte
Sammelauftrag der hessischen Landesbibliotheken dient dem Erhalt
schriftlichen Kulturgutes und dem Verfügbarmachen desselben
für Literatur, Wissenschaft und Praxis" (LT-Drs.
18/6067, S. 24). | Abs. 13 | | dd. Im Übrigen irrt das Gericht auch insoweit, als
es meint, eine Anwendung der Verordnung über die Abgabe von Druckwerken vom 12.
Dezember 1984 komme „schon deshalb nicht in Betracht, weil
diese auf der zwischenzeitlich aufgehobenen gesetzlichen Grundlage
des § 9 Abs. 2" HPresseG beruhe (Rn. 39). Vielmehr gilt diese Verordnung nach der
ausdrücklichen Regelung in Art. 4 des Gesetzes zur Neuregelung
des Archivwesens und des Pflichtexemplarrechts vom 26. November 2012
mit der Maßgabe fort, „dass sie bei Ablieferung von
körperlichen Medienwerken anzuwenden ist" (GVBl. S. 465). | Abs. 14 | | c. Somit gehört die Sammlung der in Hessen
erschienen Publikationen unabhängig von deren Inhalt
unzweifelhaft weiterhin zum Auftrag der Bibliotheken mit
landesbibliothekarischen Aufgaben. | Abs. 15 | | 2. Landes- und bundesrechtlicher Sammelauftrag | Abs. 16 | | Auch der weiteren Argumentation des Gerichts, derzufolge
nach Ablieferung an die Deutsche Nationalbibliothek kein
öffentliches Interesse an der zusätzlichen Sammlung in
Hessen bestehe, kann nicht gefolgt werden. Dem steht, wie gezeigt,
das Hessische Bibliotheksgesetz mit seinen §§ 4 und 4a
klar entgegen. Das entspricht nicht nur dem Willen des hessischen
Gesetzgebers (vgl. oben), sonder ebenso dem des Bundesgesetzgebers,
der durch § 21 DNBG klargestellt hat, dass die
landesrechtlichen Regelungen über die Ablieferung von
Medienwerken unberührt bleiben. Maßgeblich für die
Ablieferungspflicht in Hessen ist der Sitz des Vereins (§ 4a Abs. 2 Satz 2 HessBiblG). | Abs. 17 | | 3. Verfassungsrechtliche Grenzen der
Vermögensbelastung | Abs. 18 | | Was den verfassungsrechtliche Argumentationsstrang
angeht, stellt das Verwaltungsgericht fest, dass „eine Pflicht
zur Ablieferung von Belegexemplaren im Hinblick auf die
Eigentumsgarantie von Art. 14 GG nur dann
verfassungsgemäß (ist), wenn die damit verbundene
Vermögensbelastung des Verlegers nicht wesentlich ins Gewicht
fällt; vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1981" (Urteil Rn. 44).
Aus dieser im Prinzip noch zutreffenden Prämisse zieht es
jedoch unzutreffend den Schluss, dass bei zu hoher
Vermögensbelastung keine Ablieferung zu erfolgen habe. Denn das
Bundesverfassungsgericht war doch gerade in dem zitierten Beschluss
zu dem Ergebnis gekommen, dass bei zu hoher Vermögensbelastung
(niedrige Auflage, hohe Herstellungskosten) nicht die
Ablieferungspflicht (als Inhaltsbestimmung des Eigentums)
entfällt, sondern vielmehr ein finanzieller Ausgleich
gewährt werden muss (BVerfGE 58, 137, 149 f.; sog.
„ausgleichpflichtige Inhaltsbestimmung"; vgl. Fechner,
Medienrecht, 16. Aufl. 2015, Kap. 3, Rn. 143). Dem entsprechen
§ 4a Abs. 5 HessBiblG und § 6 der Verordnung über die
Abgabe von Druckwerken. | Abs. 19 | | Auch der Kläger in dem jetzigen Verfahren verlangte
eigentlich einen Druckkostenzuschuss (Urteil Rn. 24 f.). Seine
Druckkosten lagen bei 20,-- bis 25,-- € je Exemplar (Urteil Rn. 23 , 45), die Auflagenhöhe bei 30 bis maximal 100 Stück
(Rn. 3, 23). Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hatte in dem Fall,
der vor das Bundesverfassungsgericht gelangt war, 1987 die
Zuschussrichtlinien der Deutschen Bibliothek zugrundegelegt, die
für das Jahr 1983 eine Auflage bis zu 500 Exemplaren und
Herstellungskosten ab 100 DM je Exemplar voraussetzten (Az. IX OE 46/82 ). Heute verlangt die Deutsche Nationalbibliothek eine Auflage
bis zu 300 Exemplaren und Herstellungskosten ab 80,-- €,
lässt jedoch bei nicht gewerbsmäßig oder
freiberuflich tätigen natürlichen Personen und bei
Körperschaften, die ausschließlich und unmittelbar
gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke im Sinne
des § 51 der Abgabenordnung verfolgen, bereits 20,-- €
genügen. Die Bayerische Staatsbibliothek etwa setzt die Grenzen
bei bis zu 500 Exemplaren und Herstellungskosten ab 75,-- € an;
bei natürlichen Personen, die nicht gewerbsmäßig
Texte verlegen oder herstellen, gilt diese Regelung bereits bei
Herstellungskosten ab 25,-- €, jedoch nicht bei Dissertationen
und Habilitationsschriften. | Abs. 20 | | 4. Fazit | Abs. 21 | | Ob nun der konkrete Fall ausgleichpflichtig gewesen
wäre, mag man so oder so beurteilen. Jedoch bereits die
Ablieferungspflicht zu verneinen, war angesichts der Gesetzeslage
kaum mehr vertretbar. | Abs. 22 |
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| | | | | Fußnoten | | | * Dirk M.
Steinert ist Bibliothekar und Jurist in
Frankfurt a. M. |
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| | | (online seit:
11.08.2015) | | | |
| | | Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok,
Abs. | | | |
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