Andreas Carstens *Barrierefreiheit von E-Justice - ein Auftrag an den GesetzgeberJurPC Web-Dok. 76/2013, Abs. 1 - 48 |
Blinde und sehbehinderte Menschen werden durch die Gesetzentwürfe zu E-Justice(1) in besonderer Weise betroffen. Zum einen eröffnen elektronische Dokumente, deren Übermittlung auf elektronischem Weg, elektronische Akten und das Internet blinden und sehbehinderten Menschen die Chance auf eine gleichberechtigte Teilhabe, zum anderen werden sie ohne die erforderlichen gesetzlichen Regelungen zur Barrierefreiheit von der Teilnahme daran ausgeschlossen. | JurPC Web-Dok. 76/2013, Abs. 1 |
Blinde und sehbehinderte Menschen nutzen am Computer bestimmte Hilfsmittel wie Screenreader oder Screenmagnifier(2), die es ihnen ermöglichen, die auf dem Monitor dargestellten Inhalte auch auf einer Braillezeile oder über eine Sprachausgabe wiederzugeben oder aber stark vergrößert darzustellen. Die hierfür erforderlichen technischen Standards sind vorhanden, werden in der Praxis aber vielfach nicht beachtet. So wie ein Rollstuhlfahrer ein Gerichts- oder Verwaltungsgebäude mit seinem Rollstuhl als Hilfsmittel nur dann nutzen kann, wenn die Gebäude barrierefrei zugänglich sind, können blinde und sehbehinderte Menschen die Programme, Programmoberflächen und Programminhalte am PC nur dann mit ihren Hilfsmitteln nutzen, wenn diese barrierefrei zugänglich und nutzbar sind. Für Rollstuhlfahrer gibt es gesetzliche Regelungen, beispielsweise in den Bauordnungen, die dazu verpflichten, Gebäude barrierefrei zu gestalten(3). So wie die Bauordnungen eine gesetzliche Verpflichtung zur Barrierefreiheit von Gebäuden enthalten, sind die Justizgesetze um eine gesetzliche Verpflichtung zur Barrierefreiheit des elektronischen Rechtsverkehrs zu ergänzen, wobei - das sei vorab bemerkt - es zweitrangig ist, in welchem Gesetz und an welcher Stelle des Gesetzes eine solche Verpflichtung verankert wird. | Abs. 2 |
Die seit dem Jahr 2009 auch in Deutschland als verbindliches Recht zu beachtende UN Behindertenrechtskonvention(4) verpflichtet dazu, alle geeigneten Gesetzgebungsmaßnahmen zu ergreifen, um Menschen mit Behinderungen einen gleichberechtigten Zugang zur Justiz und eine selbstbestimmte Teilhabe an allen modernen Informations- und Kommunikationstechnologien, die elektronisch bereitgestellt werden oder zur Nutzung offen stehen, zu ermöglichen sowie vorhandene Zugangshindernisse und -barrieren zu beseitigen ( Art. 4, 9 und 13 UN-BRK)(5). | Abs. 3 |
Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) e.V.(6) und der Deutsche Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS) e.V.(7) haben sich daher von Beginn an an die Initiatoren der beiden Gesetzesentwürfe gewandt und u.a. in Stellungnahmen zu den Diskussions- und Referentenentwürfen des Gesetzesvorhabens um eine Berücksichtigung der erforderlichen Regelungen zur Barrierefreiheit gebeten(8). | Abs. 4 |
Gleichwohl enthält der Gesetzentwurf der Bundesländer bisher keine Regelung zur Barrierefreiheit(9). Anders dagegen der Gesetzentwurf der Bundesregierung. Er bekennt sich in der Begründung klar und eindeutig zur Barrierefreiheit(10) und enthält in seinem normativen Teil mehrere Regelungen, die zur Barrierefreiheit verpflichten: | Abs. 5 |
- | die neu zu schaffenden elektronischen Anwaltspostfächer sollen barrierefrei ausgestaltet werden (§ 31a BRAO-E)(11), | Abs. 6 |
- | für sonstige sichere Übermittlungswege, die durch Rechtsverordnung festgelegt werden können, muss die Barrierefreiheit gewährleistet sein (§ 130a Abs. 4 Nr. 3 ZPO-E)(12), | Abs. 7 |
- | für das neu einzurichtende Schutzschriftenregister(13) sind Bestimmungen zur Barrierefreiheit durch Rechtsverordnung festzulegen (§ 945b ZPO-E), | Abs. 8 |
- | die Vorschrift des § 191a GVG zur Zugänglichmachung von Schriftstücken an blinde und sehbehinderte Personen wird neugefasst und | Abs. 9 |
- | die zu § 191a GVG ergangene Zugänglichmachungsverordnung(14) erhält eine dynamische Verweisung auf die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung(15). | Abs. 10 |
Dieser Teil des Gesetzentwurfs wird vom DBSV und vom DVBS ausdrücklich anerkannt. Leider reichen die im Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen nicht aus, um die Barrierefreiheit der elektronischen Kommunikation mit der Justiz zu gewährleisten. Wird der Gesetzentwurf, so wie er dem Bundestag zurzeit vorliegt, Gesetz, dann können weder blinde und sehbehinderte Rechtsanwälte noch blinde und sehbehinderte Menschen, die Beteiligte eines gerichtlichen Verfahrens sind, daran teilnehmen. | Abs. 11 |
Der DBSV und der DVBS haben sich daher in einem Schreiben vom 18. Februar 2013 an die Mitglieder im Rechtsausschuss des Bundestages gewandt und darum gebeten, den Gesetzentwurf um die erforderlichen Regelungen zur Barrierefreiheit zu ergänzen(16). Betroffen sind konkret fünf Regelungsbereiche: | Abs. 12 |
1.) Barrierefreier Zugang zum Übermittlungsweg nach § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO-E |
Zu § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO-E (und den Parallelvorschriften in den anderen Verfahrensordnungen) fehlt eine gesetzliche Regelung zur Barrierefreiheit des Zugangs zum elektronischen Rechtsverkehr (EGVP, u.a.), so dass blinde und sehbehinderte Rechtsanwälte - trotz der Verpflichtung zur Einreichung elektronischer Dokumente in § 130d ZPO-E - nicht am elektronischen Rechtsverkehr teilnehmen können. Die Barrierefreiheit lediglich der elektronischen Anwaltspostfächer (§ 31a Abs. 1 Satz 1, § 31b BRAO-E) reicht hierfür nicht aus. | Abs. 13 |
Die Nutzung dieses Übermittlungswegs setzt zusätzlich voraus, dass für die Übermittlung das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) genutzt wird(17). Hierfür sind bestimmte Programme ("EGPV Client Software" u.a.) erforderlich, die kostenlos im Internet heruntergeladen werden können(18) und auf dem PC des Anwenders installiert sein müssen, bevor das EGVP genutzt werden kann. Diese Programme sind bisher nicht barrierefrei, so dass es an einem barrierefreien Zugang zum Übermittlungsweg nach § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO-E fehlt. | Abs. 14 |
Die Programme für das EGVP wurden von der Firma bos KG(19) im Auftrag des Bundes und der Länder entwickelt und werden über den Internetauftritt des EGVP(20) potentiellen Nutzern des EGVP zur Verfügung gestellt. Obwohl sowohl den Verantwortlichen des Bundes und der Länder für das EGVP (Projektbüro des EGVP, Lenkungskreis) als auch der bos KG mindestens seit Sommer 2011 bekannt ist, dass diese Programme nicht barrierefrei sind, wurden sie seither weder barrierefrei gestaltet, noch wurde bisher ein entsprechender Auftrag erteilt. Das Beispiel zeigt einmal mehr, warum eine gesetzliche Verpflichtung zur Barrierefreiheit unverzichtbar ist. | Abs. 15 |
Eine gesetzliche Verpflichtung zur barrierefreien Ausgestaltung des Zugangs zum Übermittlungsweg nach § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO-E (und damit auch zum EGVP), lässt sich unmittelbar in der Vorschrift selbst verankern(21), muss aber nicht notwendigerweise in der ZPO erfolgen. Möglich ist auch eine einheitliche verfahrensordnungsübergreifende Regelung - wie von DBSV und DVBS vorgeschlagen - im Gerichtsverfassungsgesetz. | Abs. 16 |
2.) Barrierefreier Zugang zum Übermittlungsweg nach § 130a Abs. 4 Nr. 1 ZPO-E |
Zu § 130a Abs. 4 Nr. 1 ZPO-E (und den Parallelvorschriften in den anderen Verfahrensordnungen) fehlt eine gesetzliche Regelung zur Barrierefreiheit des elektronischen Zugangs zu De-Mail-Diensten, so dass blinde und sehbehinderte Personen diesen Übermittlungsweg bisher nicht nutzen können. | Abs. 17 |
Berücksichtigt man ferner, dass auch die qualifizierte elektronische Signatur – und damit der Übermittlungsweg nach § 130a Abs. 3 ZPO-E - bisher nicht barrierefrei zugänglich und nutzbar ist, dann gibt es für blinde und sehbehinderte Menschen, beispielsweise in Verfahren ohne Anwaltszwang, überhaupt keine Möglichkeit selbst am elektronischen Rechtsverkehr teilzunehmen. | Abs. 18 |
Die Nutzung von De-Mail-Diensten soll es der breiten Öffentlichkeit erleichtern, elektronische Dokumente an das Gericht zu übermitteln und die Kommunikation des Bürgers mit der Justiz vereinfachen(22). Blinde und sehbehinderte Personen können diesen Übermittlungsweg nur nutzen, wenn die für den Zugang und die Nutzung dieser Dienste erforderlichen Programme barrierefrei sind. Die Verankerung einer entsprechenden Verpflichtung im De-Mail-Gesetz hat der Gesetzgeber bisher versäumt, so dass sie im Gesetzentwurf zu E-Justice nachzuholen ist. | Abs. 19 |
In Art. 9 der UN-Behindertenrechtskonvention, der den barrierefreien Zugang u.a. zu den Informations- und Kommunikationstechnologien zum Gegenstand hat, heißt es hierzu in Art. 9 Abs. 2 Buchstabe b) UN-BRK ausdrücklich: „Die Vertragsstaaten treffen … geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass private Rechtsträger, die Einrichtungen und Dienste, die der Öffentlichkeit offenstehen oder für sie bereitgestellt werden, anbieten, alle Aspekte der Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen berücksichtigen“. Art 4 Abs. 1 Buchstabe a) UN-BRK nimmt insoweit ausdrücklich auch den Gesetzgeber in die Pflicht. | Abs. 20 |
Die Gesetzentwürfe zu E-Justice sind Artikelgesetze. Es ist daher ohne weiteres möglich, durch einen weiteren Artikel auch das De-Mail-Gesetz um eine Regelung zur Barrierefreiheit zu ergänzen. Eine solche Verpflichtung könnte - beispielsweise als § 8a De-Mail-Gesetz - wie folgt lauten: | Abs. 21 |
„§ 8a De-Mail-Gesetz Barrierefreiheit | Abs. 22 |
Akkreditierte Anbieter von De-Mail-Diensten haben ihre Dienste nach Maßgabe der aufgrund von § 11 Abs. 1 des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes ergangenen Rechtsverordnung technisch so zu gestalten, dass sie von behinderten Menschen grundsätzlich uneingeschränkt genutzt werden können." | Abs. 23 |
Auch eine solche Verpflichtung ließe sich auf einfache Weise in den Gesetzentwurf einfügen. | Abs. 24 |
Entsprechendes gilt in Bezug auf die Barrierefreiheit der qualifizierten elektronischen Signatur für die Änderung des Signaturgesetzes. Auch der Gesetzentwurf der Länder(23) sieht insoweit - wenn auch aus anderen Gründen - in einem eigenen Artikel eine Änderung des Signaturgesetzes vor, um die erforderlichen Regelungen zur Durchführung von E-Justice zu schaffen. | Abs. 25 |
3.) Barrierefreier Zugang zu elektronischen Akten und Akteninhalten |
Zu § 298a Abs. 1 Satz 1 und § 299 Abs. 3 ZPO (und den Parallelvorschriften in den anderen Verfahrensordnungen) fehlt eine gesetzliche Verpflichtung zur Barrierefreiheit elektronischer Akten und Akteninhalte, so dass blinden und sehbehinderten Rechtsanwälten und Verfahrensbeteiligten die Einsicht in elektronische Akten verwehrt bleibt. | Abs. 26 |
Die durch die Gesetzentwürfe vorgesehene Ausweitung der elektronischen Kommunikation mit der Justiz wird dazu führen, dass zukünftig auch gerichtliche Akten(24) zunehmend elektronisch geführt werden(25). Die Einsichtnahme in elektronische Gerichtsakten erfolgt durch Wiedergabe auf einem Bildschirm, durch Übermittlung von elektronischen Dokumenten oder durch Gestattung des elektronischen Zugriffs auf den Inhalt der Akten(26). | Abs. 27 |
Erforderlich ist daher eine gesetzliche Regelung, die zur Barrierefreiheit sowohl der elektronischen Aktenverwaltungsprogramme als auch der Inhalte elektronischer Akten verpflichtet. Die Einzelheiten lassen sich durch eine Rechtsverordnung konkretisieren, die auch eine schrittweise Verwirklichung der Barrierefreiheit elektronischer Akten ermöglicht(27). Zu berücksichtigen ist außerdem, dass elektronische Akten unterschiedliche Arten von Dokumenten enthalten(28): neben den elektronischen Dokumenten des Gerichts, die mittels Textverarbeitung erstellt werden, insbesondere die ebenfalls mit einer Textverarbeitung gefertigten Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten sowie zu Beweiszwecken beigefügte Anlagen, die lediglich eingescannt wurden, und elektronische Dokumente, die durch das Gericht im Wege des ersetzenden Scannens aus Papierdokumenten erzeugt werden. Überall dort, wo für die Bearbeitung durch das Gericht (z.B. für Such-, Markier- oder Kopierfunktionen) ohnehin ein maschinenlesbarer Text vorhanden sein muss(29), ist es erforderlich(30), diesen Text auch für Screenreader und Screenmagnifier zugänglich zu machen. | Abs. 28 |
Auch insoweit ist eine gesetzliche Verpflichtung zur Barrierefreiheit unverzichtbar. | Abs. 29 |
4.) Barrierefreie Internetauftritte der Justiz |
Zu den Informationsangeboten von Gerichten und Staatsanwaltschaften im Internet fehlt eine gesetzliche Regelung zur Barrierefreiheit der Internetauftritte und -angebote der Justiz, so dass blinde und sehbehinderte Menschen diese Informationsmöglichkeiten nicht nutzen können. | Abs. 30 |
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht in § 130c Satz 3 ZPO-E ausdrücklich vor, dass für das gerichtliche Verfahren die Verwendung von Formularen, die im Internet zur Verfügung gestellt werden, vorgeschrieben werden kann. Der Gesetzentwurf der Bundesländer eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit, öffentliche Zustellungen und Bekanntmachungen über das Internet vorzunehmen(31). Eine Regelung zur barrierefreien Ausgestaltung der Internetauftritte der Justiz ist daher unverzichtbar. | Abs. 31 |
Mit der Vorschrift in § 11 Abs. 1 des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes (BGG) und der hierzu ergangenen Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) vom 12.09.2011(32) gibt es bereits eine in weiten Teilen vorbildliche und bewährte Regelung, die bisher allerdings gemäß § 11 Abs. 1 BGG iVm. § 7 Abs. 1 Satz 1 BGG nur für Verwaltungsbehörden, nicht aber für Gerichte und Staatsanwaltschaften gilt(33). | Abs. 32 |
Eine entsprechende Vorschrift lässt sich auf einfache Weise durch Einfügung einer inhaltsgleichen Regelung in das Gerichtsverfassungsgesetz für die Justiz übernehmen. Auch bei der Verweisung hinsichtlich der hierfür einzuhaltenden technischen Standards auf die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung kann es insoweit bleiben, da diese auch an anderer Stelle des Gesetzentwurfs der Bundesregierung(34) im Wege der dynamischen Verweisung als verbindlich übernommen wird. | Abs. 33 |
5.) Barrierefreie elektronische Dokumente der Justiz |
Außerdem fehlt eine gesetzliche Verpflichtung, die dazu führt, dass elektronische Dokumente von Gerichten und Staatsanwaltschaften grundsätzlich - und nicht nur auf Anforderung im Einzelfall - barrierefrei erstellt werden. | Abs. 34 |
Obwohl es schon heute ohne weiteres möglich ist, elektronische Dokumente technisch so zu gestalten, dass sie von vornherein barrierefrei zugänglich sind, werden diese Anforderungen in der Praxis häufig nicht beachtet. | Abs. 35 |
Ob ein elektronisches Dokument barrierefrei ist, lässt sich dem Dokument in der Regel nicht ansehen. Für die Barrierefreiheit kommt es grundsätzlich nicht darauf an, wie das elektronische Dokument optisch gestaltet wurde, sondern wie es - unter der sichtbaren Oberfläche - technisch beschaffen ist. Elektronische Dokumente, die mit einer Textverarbeitung (z.B. Word) erstellt wurden, sind - jedenfalls dann, wenn sie wie bei gerichtlichen Dokumenten üblich - so gut wie ausschließlich Text enthalten, in der Regel barrierefrei. Elektronische Dokumente in rein grafisch orientierten Datei-Formaten (z.B. TIFF oder JPEG) sind dagegen nicht barrierefrei. Bei PDF-Dokumenten kommt es darauf an, ob bei ihrer Erstellung darauf geachtet wurde, ein barrierefreies Dokument zu erzeugen. | Abs. 36 |
Um es zu veranschaulichen: Blinde Menschen lassen sich den Inhalt eines elektronischen Dokuments über einen Screenreader (das ist ein eigenes Programm, das als Hilfsmittel auf dem PC installiert ist) auf einer Braillezeile unterhalb der Tastatur oder über eine Sprachausgabe wiedergeben. Hierfür ist es erforderlich, dass der Screenreader, der die Umwandlung von Text in Braille oder Sprache bewirkt, auf den Text des Dokuments zugreifen kann. Das ist beispielsweise dann nicht möglich, wenn der Text nicht in maschinenlesbarer Form, sondern nur als Teil eines Bildes, wie bei der Wiedergabe von Text auf einem Photo, zugänglich ist, oder wenn bei einem PDF-Dokument die Eigenschaft „Kopieren für Barrierefreiheit zulassen“ nicht aktiviert wurde. Sehbehinderte Menschen lassen sich ein elektronisches Dokument auf dem Monitor mit Hilfe eines Screenmagnifiers (auch das ist ein Programm, das auf dem PC als Hilfsmittel installiert wird) beispielsweise stark vergrößert oder in anderen Farben anzeigen. Auch hierfür ist es erforderlich, dass der Screenmagnifier auf den Text des Dokuments zugreifen kann, beispielsweise um bei einer starken Vergrößerung eine Kantenglättung der Schrift vornehmen zu können. Für alle anderen Nutzer, die diese Hilfsmittel nicht haben, sieht das elektronische Dokument so aus, wie immer. | Abs. 37 |
Da es auf einfache Weise möglich ist, elektronische Dokumente des Gerichts generell und von vornherein barrierefrei zu erstellen, sollte es keine Hinderungsgründe geben, eine entsprechende gesetzliche Verpflichtung hierfür in den Gesetzentwurf mit aufzunehmen. | Abs. 38 |
♦ Gesetzesvorschlag: |
Die erforderlichen Regelungen zur Barrierefreiheit lassen sich auf einfache Weise in den Gesetzentwurf übernehmen, indem in den Gesetzentwurf neben der bereits vorgeschlagenen Ergänzung des De-Mail-Gesetzes um einen § 8a die folgende verfahrensordnungsübergreifende Vorschrift als § 191a in das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) eingefügt wird: | Abs. 39 |
„§ 191a GVGBarrierefreiheit der elektronischen Information und Kommunikation | Abs. 40 |
Elektronische Formen der Information und Kommunikation, die den Zugang zu Gerichten oder Staatsanwaltschaften eröffnen, sind technisch so zu gestalten, dass sie von Menschen mit Behinderungen grundsätzlich uneingeschränkt genutzt werden können. Dies gilt insbesondere für | Abs. 41 |
a) den barrierefreien Zugang zu den Übermittlungswegen des elektronischen Rechtsverkehrs und die von Gerichten und Staatsanwaltschaften zu versendenden elektronischen Dokumente, | Abs. 42 |
b) den barrierefreien Zugang zu elektronischen Akten und Akteninhalten, einschließlich der Verfahren zur elektronischen Akteneinsicht, | Abs. 43 |
c) den elektronischen Identitätsnachweis nach § 18 des Personalausweisgesetzes sowie elektronische Bezahlverfahren und | Abs. 44 |
d) die Portale der Justiz im Internet, einschließlich der Internetauftritte und - angebote von Gerichten und Staatsanwaltschaften. | Abs. 45 |
Das Bundesministerium der Justiz bestimmt durch Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die zur Gewährleistung von Barrierefreiheit einzuhaltenden Anforderungen und technischen Standards sowie den Zeitpunkt ihrer verbindlichen Anwendung.“ | Abs. 46 |
Die in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltene Neufassung des § 191a GVG-E (bisher) ist dann als § 191b GVG-E (neu) in das Gerichtsverfassungsgesetz einzufügen(35). | Abs. 47 |
Die erforderlichen
Regelungen zur Barrierefreiheit verlangen damit nichts Unmögliches.
Sie lassen sich auf einfache Weise in den Gesetzentwurf einfügen
und sind nach dessen Inkrafttreten auch gut handhabbar. Für die
Teilnahme blinder und sehbehinderter Menschen am elektronischen
Rechtsverkehr indes sind sie unverzichtbar.
| JurPC Web-Dok. 76/2013, Abs. 48 |
F u ß n o t e n |
(1) ) Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten (BT-Drs. 17/12634 = BR-Drs. 818/12) und Gesetzentwurf des Bundesrates eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs in der Justiz (BT-Drs. 17/11691 = BR-Drs. 503/12 (Beschluss)) |
(2) ) Einen guten Überblick über diese Hilfsmittel und ihre Funktionsweise ermöglicht die einmal jährlich stattfindende Sightcity (www.sightcity.net). |
(3) ) vgl. stellvertretend für die einzelnen Landesbauordnungen z.B. § 49 Niedersächsische Bauordnung |
(4) ) BGBl. II 2008,Seite 1419; Bekanntmachung des Inkrafttretens: BGBl II 2009, Seite 818 |
(5) ) siehe dazu auch F. Welti, Rechtliche Voraussetzungen von Barrierefreiheit, NVwZ 2012,Seite 725 |
(6) ) www.dbsv.org |
(7) ) www.dvbs-online.de |
(8) ) siehe u.a. die Stellungnahme zum Diskussionsentwurf der E-Justice-Bundesratsinitiative vom 22.02.2012 und die Stellungnahmen zum Diskussionsentwurf und zum Referentenentwurf des BMJ vom 12.07.2012 und vom 23.11.2012 |
(9) ) Auf Empfehlung des Rechtsausschusses des Bundesrates wurde lediglich die Begründung des Gesetzentwurfs um eine unverbindliche Absichtserklärung ergänzt: „Bei der Umsetzung des elektronischen Rechtsverkehrs sind die Grundsätze und Vorgaben barrierefreier Informationstechnik einzubeziehen.“ (BR-Drs. 503/12 (Beschluss), Seite 76; BR-Drs. 503/1/12,Seite 24); das Land Brandenburg hat sich u.a. wegen der fehlenden Barrierefreiheit bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf enthalten (BR, Plenarprotokoll, 901. Sitzung, Anlage 3 zu TOP 6, Seite 457); siehe dazu auch die Stellungnahme der Bundesregierung (BT-Drs. 17/11691, Anlage 2, Seite 141) |
(10) ) BT-Drs. 17/12634, Begründung, Allg. Teil, II., Punkt 7 (= BR-Drs. 818/12,Seite 26) |
(11) ) Im Referentenentwurf hieß es in § 31 Abs. 4 Satz 3 BRAO-E noch: „Die Anwaltspostfächer müssen barrierefrei ausgestaltet sein“. Eine Begründung für diesen Rückzieher gibt es nicht. |
(12) ) Inhaltsgleiche Regelungen enthält der Gesetzentwurf für die anderen Verfahrensordnungen in § 46c Abs. 4 Nr. 3 ArbGG-E, § 65a Abs. 4 Nr. 3 SGG-E, § 55a Abs. 4 Nr. 3 VwGO-E und § 52a Abs. 4 Nr. 3 FGO-E. |
(13) ) § 945a ZPO-E |
(14) ) BGBl. I 2007,Seite 215 |
(15) ) BGBl. I 2011,Seite 1843 |
(16) ) Die Berichterstatterin der CDU/CSU-Fraktion E. Winkelmeier-Becker hat während der 1. Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag insoweit ausdrücklich eine Prüfung während der weiteren Gesetzesberatungen zugesagt (BT, Plenarprotokoll 17/228, Seite 28531). Auch die Berichterstatterin der Fraktion „Bündnis 90/Die Grünen“ I. Hönlinger hat während der 1. Lesung die fehlende Barrierefreiheit kritisiert (BT, Plenarprotokoll 17/228,Seite 28534). |
(17) ) BR-Drs. 818/12, Begründung zu § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO-E, Seite 33 |
(18) ) www.egvp.de/software/ |
(19) ) www.bos-bremen.de |
(20) ) www.egvp.de |
(21) ) in gleicher Weise wie der Gesetzentwurf schon bisher für zukünftige sichere Übermittlungswege, die durch Rechtsverordnung festgelegt werden können, in § 130a Abs. 4 Nr. 3 ZPO-E deren Barrierefreiheit vorschreibt |
(22) ) BR-Drs. 818/12, Begründung zu § 130a Abs. 4 ZPO-E, Seite 31 f. |
(23) ) BT-Drs. 17/11691 = BR-Drs. 503/12 |
(24) ) als elektronische Doppelakte oder alleinige Akte |
(25) ) ebenso BR-Drs. 818/12,Seite 5 |
(26) ) vgl. § 299 Abs. 3 ZPO |
(27) ) beispielsweise in der Weise, dass Barrierefreiheit bei der Planung, Entwicklung und Auswahl neuer Programme verpflichtend zu beachten ist, während sie bei schon vorhandenen Programmen insbesondere bei der Umgestaltung und Aktualisierung zu berücksichtigen ist |
(28) ) Auch insoweit sind in der Rechtsverordnung Differenzierungen hinsichtlich der jeweils einzuhaltenden Anforderungen zur Barrierefreiheit möglich. |
(29) ) Für elektronische Dokumente, die von den Verfahrensbeteiligten eingereicht werden, sieht der Gesetzentwurf ausdrücklich vor, dass diese „für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein“ müssen und Einzelheiten hierzu durch Rechtsverordnung festgelegt werden, vgl. z.B. § 130a Abs. 2 ZPO-E. |
(30) ) und auf einfache Weise möglich |
(31) ) vgl. § 186 Abs. 2 ZPO-E und § 816 Abs. 3 ZPO-E des Gesetzentwurfs der Bundesländer (BT-Drs. 17/11691) |
(32) ) BGBl. I 2011,Seite 1843 |
(33) ) Kossens, u. a., SGB IX mit Behindertengleichstellungsgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2009, Vorb BGG, Rn 6, § 4 BGG, Rn 13a und § 11 BGG, Rn 1 jeweils m.w.N. |
(34) ) So soll die Zugänglichmachungsverordnung durch Art. 20 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung in der Weise geändert werden, dass hinsichtlich der Standards für barrierefreie elektronische Dokumente zukünftig die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung „in der jeweils geltenden Fassung“ maßgeblich ist (BR-Drs 818/12, Seite 20). |
(35)
) Die schon bisher im Gesetzentwurf vorgesehene Änderung - die
aus rechtssystematischen Gründen als § 191b GVG zu
übernehmen ist - wird von DBSV und DVBS ausdrücklich
begrüßt. Sie behält ihre Berechtigung insbesondere
für Papierdokumente, die einer blinden oder sehbehinderten
Person zugestellt oder formlos bekannt gegeben werden.
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* Der Autor ist Richter am Finanzgericht Niedersachsen und Vertrauensperson der schwerbehinderten Richterinnen und Richter. |
[ online seit: 30.04.2013 ] |
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
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Zitiervorschlag: Carstens, Andreas, Barrierefreiheit von E-Justice - ein Auftrag an den Gesetzgeber - JurPC-Web-Dok. 0076/2013 |