JurPC Web-Dok. 58/2013 - DOI 10.7328/jurpcb201328454

Ken Eckstein *

MMORPGs und Metaversen: Strafrechtsschutz in virtuellen Welten(1)

JurPC Web-Dok. 58/2013, Abs. 1 - 23


E-Mail, E-Learning, E-Commerce – das Internet prägt unser Leben. Im Internet sind Parallelwelten entstanden. Die bekannteste virtuelle Welt ist „Second Life“. Das Attribut virtuell tragen computergenerierte Welten, weil sie die Fähigkeit haben, echt zu erscheinen.(2)Weil sie außerdem umfassende Möglichkeiten bieten, nennt man computergenerierte Welten – in Anlehnung an den Begriff Universum – Metaversen.(3)Brauchen wir ein virtuelles Metastrafrecht? JurPC Web-Dok.
58/2013,   Abs. 1

I n h a l t s ü b e r s i c h t1. Imitation der Realität versus Phantasiewelt2. Ein Fall aus der Praxis3. Der Streit um die Rechtsnatur virtueller Güter4. Strafbarkeit wegen Betrugs nach § 263 StGB5. Strafbarkeit wegen Ausspähens von Daten nach § 202a StGB6. Strafbarkeit wegen Datenveränderung nach § 303a StGB7. Weitere Straftatbestände8. Ausblick

1. Imitation der Realität versus Phantasiewelt
Im Metaversum „Second Life“ tummeln sich von Menschen gesteuerte virtuelle Spielfiguren, sogenannte Avatare. Sie gehen allen menschlichen Verrichtungen und Vergnügungen nach, unter Menschen legalen wie illegalen, sie kaufen und verkaufen virtuelle Güter und bezahlen dafür mit der virtuellen Währung Linden-Dollar. „Second Life“ hat 32.204.874 Einwohner.(4)Abs. 2
„Second Life“ imitiert unser reales „First Life“. Computerspiele schaffen Phantasiewelten, in denen Spielziele verfolgt werden. Dazu bedienen sich manche Computerspiele des Internet. Über den Kreis der Spieler hinaus bekannt ist das Spiel „World of Warcraft“ (WoW). An Online-Spielen wie „World of Warcraft“ können unüberschaubar viele Spieler gleichzeitig teilnehmen. Sie interagieren untereinander mittels Avataren, die im Spiel eine auf Dauer angelegte Rolle übernehmen. Deshalb spricht man von MMORPGs, also von massively multiplayer online role-playing games.(5)Um den Avatar mit spielentscheidenden Fähigkeiten, mit Waffen und anderen Gegenständen auszurüsten, investieren die Spieler Zeit und Geld. Daher stand mehr als bloßes Vergnügen auf dem Spiel, als es im Oktober 2012 einigen WoW-Spielern durch eine technische Manipulation gelang, zahllose Avatare anderer Spieler zu töten. Die Neue Zürcher Zeitung titelte damals „Massenmord in ‘World of Warcraft’“. Abs. 3
Dass weder §§ 211 f. StGB noch Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Betracht kommen, liegt auf der Hand. Genießen die Gegenstände virtueller Welten den Schutz anderer Strafvorschriften? Abs. 4

2. Ein Fall aus der Praxis
Am 20.10.2010 hatte das Amtsgericht Augsburg folgenden Fall zu entscheiden:(6)Täter T und Opfer O kannten sich als Mitspieler des MMORPG „Metin 2“. T erbot sich, für die Spielfigur des O eine höherwertige Ausrüstung zu erspielen. Zu diesem Zweck teilte O dem T seine Accountdaten mit, also Benutzername und Passwort. T meldete sich mit diesen Accountdaten an. Doch anstatt den Avatar des O „hochzuleveln“, entzog T ihm bereits erspielte Ausrüstungsgegenstände, Waffen, Rüstung und Schmuck, um diese Gegenstände in Spielerforen und auf eBay zum Verkauf anzubieten. O hatte die Gegenstände zuvor für ca. 1000,- Euro erworben. Die Anklage lautete auf Betrug, schuldig gesprochen wurde T eines anderen Delikts. Abs. 5

3. Der Streit um die Rechtsnatur virtueller Güter
Die software-generierten Güter virtueller Welten heißen Items.(7)Zivilrechtlich ist umstritten, welche Rechtsnatur Items haben. Mangels Abgrenzbarkeit – der zugrunde liegenden Datenträgerareale – und mangels realer Körperlichkeit – der Items in der virtuellen Welt – handelt es sich nicht um Sachen im Sinne von § 90 BGB.(8)Deshalb sind Items nicht eigentumsfähig. Eigentumsdelikte wie § 242 StGB scheiden aus. Das muss auch anerkennen, wer virtuelle Güter zivilrechtlich analog §§ 929 ff. BGB(9)behandeln will. Abs. 6
Virtuelle Güter sind als Daten Teil der Software; ihre Existenz hängt von der Softwaregestaltung durch den Spielbetreiber ab. In der virtuellen Welt dagegen sind sie individualisierbar, so dass teilweise urheberrechtlicher(10), teilweise immaterialgüterrechtlicher Schutz sui generis(11)für möglich gehalten wird. Abs. 7
Wer solche absoluten Rechtspositionen ablehnt, ist auf das Schuldverhältnis zwischen User und Betreiber zurückgeworfen. Durch Abschluss des Spielvertrags kann der User vertragliche Ansprüche auf Servernutzung und auf Aufrechterhaltung erlangter Items erwerben.(12)Die Übertragung der Items selbst wird so zum Realakt. Ein Anspruch auf Aufrechterhaltung virtueller Errungenschaften kann nach § 398 BGB abgetreten werden. Abs. 8
Erstaunlicherweise bleibt das Strafrecht diesem Streit gegenüber gelassen. Es schützt sowohl unkörperliche Daten (z.B. § 303a StGB) als auch schuldrechtlich-relative Ansprüche (z.B. das Vermögensdelikt § 263 StGB). Im Ausgangsfall folgt daraus: Abs. 9

4. Strafbarkeit wegen Betrugs nach § 263 StGB
T erschwindelte sich die Accountdaten des O. In Betracht kommt daher eine Strafbarkeit wegen Betrugs nach § 263 Abs. 1 StGB. Die Täuschung des T führte zu einem Irrtum des O. Irrtumsbedingt überließ O dem T seine Accountdaten. Ganz abgesehen von der grundlegenden Frage, inwieweit Güter virtueller Welten zum Vermögen im Sinne von § 263 StGB zählen – um die Ausrüstung des Avatars zu erlangen, musste T erst noch weitere eigenmächtige Handlungen vornehmen. Die Überlassung der Accountdaten führte jedenfalls nicht unmittelbar zur Vermögensminderung.(13)Mangels Vermögensverfügung scheidet eine Strafbarkeit wegen Betrugs aus. Abs. 10

5. Strafbarkeit wegen Ausspähens von Daten nach § 202a StGB
Die zum Avatar des O gehörenden Items sind Teil des Spielprogramms, also Daten im Sinne von § 202a Abs. 2 StGB. T hat sich Zugang zu ihnen verschafft, obwohl sie nicht für ihn bestimmt waren. Allerdings müssten die Daten besonders gesichert gewesen sein und T müsste diese Sicherung überwunden haben. Abs. 11
Der Schutz durch ein Passwort begründet besondere Sicherung. Allerdings hatte O dem T die Accountdaten mitgeteilt und dadurch den Zugangsschutz aufgehoben. Heghmanns/Kusnik(14)halten das für irrelevant. Und in der Tat sollte bei eigenmächtigem Täterzugriff auf ein Passwort der nachfolgende Datenzugriff mittels Passwort von § 202a Abs. 1 StGB erfasst bleiben. Abs. 12
§ 202a StGB setzt aber ausdrücklich voraus, dass der Täter die Zugangssicherung überwindet. Und Zugangssicherung im Sinne von § 202a StGB ist ein faktischer Zustand erschwerter Zugänglichkeit. Wer das Opfer durch Täuschung dazu bringt, die Sicherung aufzuheben, kann § 202a StGB daher richtigerweise nicht verwirklichen. Abs. 13

6. Strafbarkeit wegen Datenveränderung nach § 303a StGB
Allerdings könnte T sich nach § 303a Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, als er dem Avatar des O dessen Items entzog. Den Items zugrunde liegende Daten im Sinne von § 202a Abs. 2 StGB wurden dem Zugriff des O entzogen, also unterdrückt.(15)Das müsste rechtswidrig geschehen sein. Und das setzt voraus, dass O in Bezug auf die Daten Berechtigter war. Abs. 14
Die Daten waren jedoch Teil der Spielsoftware. Und an der Spielsoftware behält sich der Spielbetreiber regelmäßig alle Rechte vor. Dem User O stehen nur schuldrechtliche Ansprüche gegen den Betreiber auf Nutzung und Aufrechterhaltung der Daten zu. Heghmanns/Kusnikhalten diese Ansprüche für ausreichend, weil sie die Rechte des Betreibers überlagern.(16)Ein Überlagerungsverhältnis anzunehmen, verträgt sich zwar schlecht mit der vom Betreiber abgeleiteten Rechtsposition des Users. Vor Datenunterdrückung geschützt werden müssen aber auch untergeordnete relative Nutzungsrechte. Abs. 15
Die von O durch Preisgabe der Accountdaten erteilte Einwilligung deckt das Verhalten des T nicht. Rechtsgutsbezogene Willensmängel stehen einer wirksamen Einwilligung entgegen. Dass der User nur in den Grenzen des vom Betreiber Erlaubten rechtfertigend einwilligen könnte, spielt folglich keine Rolle. Abs. 16
Im Verhältnis zum Betreiber hat T außerdem die zu den Items gehörenden Logfiles verändert. Diese Datenveränderung war jedoch nicht rechtswidrig, weil der berechtigte Spielbetreiber gerade will, dass jede Veränderung der Itemzuordnung in den Logfiles verbucht wird. Abs. 17
T hat sich – im Verhältnis zu O – nach § 303a Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Zu diesem Ergebnis kam im Ausgangsfall auch das Amtsgericht Augsburg. Abs. 18

7. Weitere Straftatbestände
Darüber hinaus könnte T einen Computerbetrug nach § 263a Abs. 1 StGB begangen haben. Er verwendete die Accountdaten des O absprachewidrig. Ob die Verwendung der Daten deshalb unbefugt im Sinne von § 263a StGB war, ist umstritten.(17)Das kann aber dahingestellt bleiben. Denn maßgeblich von Menschenhand getätigte Verschiebungen fallen nicht unter den Lückenfüller-Tatbestand § 263a StGB.(18)Abs. 19
In Betracht kommen außerdem §§ 269, 274 StGB. Von T generierte Daten sind aber nicht unecht, sondern dem Spielbetreiber als Aussteller zuzuordnen. Und die beweiserheblichen Datensätze der Spielsoftware – Logfiles, die den Verbleib der Items protokollieren – beeinflusste T jedenfalls nicht in Nachteilszufügungsabsicht. Abs. 20

8. Ausblick
Das Internetstrafrecht stellt Theorie und Praxis vor zahlreiche Probleme. Schon in der Frage der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts herrscht Streit. Grundsätzlich entscheidet der Begehungsort, §§ 3, 9 StGB. Soll es bei verbotenen Äußerungen genügen, dass sie in Deutschland abgerufen werden können?(19)Abs. 21
Die Kriminologie unterscheidet bei Delikten im Zusammenhang mit MMORPGs und Metaversen, den sogenannten Game- und Metacrimes, zwischen Outworld-Delikten und Inworld-Delikten. Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass sie innerhalb der virtuellen Welt begangen werden.(20)Zum Beispiel: Ein Spieler, dessen Avatar überlegene Fähigkeiten hat, droht innerhalb des Spiels einem Mitspieler an, dessen Avatar im Kampf zu töten – es sei denn, der Mitspieler überlässt dem überlegenen Avatar wertvolle Items. Strafbare (versuchte) Nötigung oder Erpressung? In Inworld-Konstellationen wie dieser müssen spielkonforme Handlungen, auch wenn sie unfair sind, richtigerweise straffrei bleiben. Abs. 22
Die exakten Grenzen der Strafbarkeit muss weitere Forschung ausloten. Zu Recht hat sich die strafrechtliche Abteilung des 69. Deutschen Juristentags 2012 in München Fragen der Internetkriminalität gewidmet. Angehenden Juristen bietet sich ein zukunftsträchtiges Betätigungsfeld.
JurPC Web-Dok.
58/2013,   Abs. 23

(1)Erstveröffentlichung: Der Wirtschaftsführer 2/2013 S. 55 ff.
(2) http://www.duden.de/rechtschreibung/virtuell (Stand: 7.1.2013).
(3) Krebs/Rüdiger, Gamecrime und Metacrime, Frankfurt 2010, S. 17.
(4) http://www.gridsurvey.com (Stand: 7.1.2013).
(5) Krebs/Rüdiger, Gamecrime und Metacrime, Frankfurt 2010, S. 19.
(6) Az. 33 Ds 603 Js 120422/09 jug., vereinfacht.
(7) Krebs/Rüdiger, Gamecrime und Metacrime, Frankfurt 2010, S. 23.
(8) Psczolla JurPC 17/2009, Abs. 8, 16.
(9) Lober/WeberMMR 2005 S. 653 ff., 656.
(10) Für den Avatar Klickermann MMR 2007 S. 766 ff., 768.
(11) Für den Avatar Koch JurPC 57/2006 Abs. 27 ff.
(12) Näher dazu Striezel, Der Handel mit virtuellen Gegenständen aus Onlinewelten, Stuttgart 2010, S. 204 ff.
(13) Vgl. dazu Wessels/Hillenkamp, Strafrecht Besonderer Teil 2, 35. Auflage, Heidelberg 2012, S. 291.
(14) CR 2011 S. 248 ff., 250 f.
(15) Zur Definition Fischer, Strafgesetzbuch, 59. Auflage, München 2012, § 303a Rn. 10.
(16) CR 2011 S. 248 ff., 249.
(17) Vgl. dazu Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar, 12. Auflage, Berlin 2012, Tiedemann/Valerius § 263a Rn. 50 m.w.N.
(18) Tiedemann/Valerius(Fn. Fehler: Referenz nicht gefunden) § 263a Rn. 65 m.w.N.
(19) Näher dazu Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 5. Auflage, Baden-Baden 2011, S. 62 ff.
(20) Krebs/Rüdiger, Gamecrime und Metacrime, Frankfurt 2010, S. 18, 98.
* Ken Eckstein, Dr. jur., Privatdozent an der Universität Regensburg, arbeitet als Hochschullehrer auf den Gebieten Strafrecht, Strafprozessrecht und Europäisches Strafrecht, unter anderem an den Universitäten Freiburg, Augsburg, München und an der Universität des Saarlandes; seit 2010 Spezialisierung im Computerstrafrecht.
[ online seit: 02.04.2013 ]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Eckstein, Ken, MMORPGs und Metaversen: Strafrechtsschutz in virtuellen Welten - JurPC-Web-Dok. 0058/2013