Hajo Rauschhofer *Beweismittelbeschaffung bei SoftwareverletzungJurPC Web-Dok. 44/2010, Abs. 1 - 78 |
I n h a l t s ü b e r s i c h t | ||||||||||||||||
I. | Einführung | |||||||||||||||
II. | Rechtliche Möglichkeiten | |||||||||||||||
III. | Praxisbeispiel | |||||||||||||||
IV. | Verfahrensseitige Problemstellungen | |||||||||||||||
V. | Kombination beider Verfahrenstypen | |||||||||||||||
VI. | Verfahrensspezifische Hinweise | |||||||||||||||
VII. | Ausblick und Zusammenfassung |
I. Einführung |
Während das Softwaregeschäft in den Massenmärkten von den großen Playern beherrscht wird, finden sich für sehr spezielle Segmente häufig Softwarehersteller mit wenig Konkurrenz im Markt. Da sich in diesen Bereichen noch Geld verdienen lässt, erhöht dies die Attraktivität für Mitbewerber, sich diesen Markt zu erschließen. Mitbewerber setzen nicht selten auf Ideen des jeweiligen "Platzhirsches" auf, weshalb es für die Verteidigung dessen Reviers essentiell ist, sich vor unlauteren Nachahmungen zu schützen. Erste Verdachtsmomente einer Übernahme von Konzepten oder gar Programmcode ergeben sich, wenn ein Indizienbündel aus einzelnen Indizien die Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung erhöht. So finden sich häufig Einzelereignisse, die für sich genommen noch nichts Ungewöhnliches darstellen, aber in deren Bündelung doch zumindest einen gewissen Verdacht erregen müssen. Wenn beispielsweise in einem Hochtechnologiesegment zur Steuerung von Maschinen die grafische Benutzeroberfläche identisch und die Programmabläufe gleich sind, Mitarbeiter zu Mitbewerbern gewechselt haben oder beispielsweise Mitbewerber bei der Implementierung der Standardsoftware des Schutzrechtsinhaber bei einem Kunden mitgewirkt haben, liegt es nahe, sich über die Frage der Verletzung eigener IP-Rechte Gewissheit zu verschaffen. | JurPC Web-Dok. 44/2010, Abs. 1 |
Dem Schutzrechtinhaber steht zunächst die Möglichkeit der Strafanzeige wegen gewerblicher Urheberrechtsverletzung nach § 108a UrhG zur Verfügung. Hierfür ist indes erforderlich, dass ein massiver Anfangsverdacht über die Rechtsverletzung besteht, so dass mit Hilfe der Staatsanwaltschaft hier weitere Beweismittel im Rahmen einer Hausdurchsuchung beschafft werden können. Diese Maßnahme hat sich bei einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad der Rechtsverletzung als sehr hilfreich erwiesen. | Abs. 2 |
Üblicherweise reicht ein pauschaler Verdacht indes nicht für eine belastbare Strafanzeige aus und birgt vielmehr das Risiko, wegen falscher Verdächtigung selbst strafrechtlich in Anspruch genommen zu werden. | Abs. 3 |
Probates Mittel zur Überbrückung dieses Informationsdefizits sind daher Besichtigungsverfahren, wenn sie den Gegner überraschen, wie dies bei einer Hausdurchsuchung nach der Strafprozessordnung der Fall ist. | Abs. 4 |
Der nachfolgende Beitrag soll für Praktiker Möglichkeiten, Verfahrensspezifika, aber auch Problemstellungen aufzeigen. | Abs. 5 |
II. Rechtliche Möglichkeiten |
Nicht neu nach der Entscheidung BGH Faxkarte(1)ist, dass sich der Inhaber von Schutzrechten im Wege der Klage Gewissheit darüber verschaffen kann, ob der einer Software zugrunde liegende Quellcode seine Schutzrechte verletzt. Ergänzend zu § 809 BGB bietet nun die ins nationale Recht umgesetzte Enforcement-Richtlinie(2), die knapp zweieinhalb Jahre nach der Ablauf der Umsetzungsfrist in nationales Recht vereinheitlicht wurde, seit 01.09.2008 durch die Änderung des Urhebergesetzes ergänzende Ansprüche auf Auskunft nach §§ 101 und 101a UrhG(3). | Abs. 6 |
Während insoweit durch die neuere Rechtsprechung vor allem die Providerauskunft und die Ausprägung des gewerblichem Ausmaßes i. S. des § 101 Abs. 1 UrhG bei Filesharingaktivitäten besonders in das Licht des öffentlichen Interesses gerückt ist(4), finden sich - soweit bekannt - bisher keine Verfahren der Softwarebesichtigung nach § 101a UrhG auf Vorlage und Besichtigung. | Abs. 7 |
Zusammengefasst bietet § 101a UrhG - wie bisher auch - die nunmehr kodifizierte Möglichkeit, im Falle hinreichender Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzung eine Sache zu besichtigen, soweit dies nicht unverhältnismäßigist. | Abs. 8 |
Wie bereits vor Erlass der Richtlinie in der Literatur diskutiert(5)wurde nunmehr in Absatz 3 geregelt, dass die Duldung der Besichtigung einer Sache auch im Wege der Einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden kann, wobei das Gericht Maßnahmen zum Schutz vertraulicher Informationen zu treffen hat. Da der Gesetzgeber die diesbezüglich konkreteren Voraussetzungen offen gelassen hat, lohnt es sich, die bisherige, wenngleich überschaubare Rechtsprechung zu Besichtigungsverfahren heranzuziehen, um daraus die Ausfüllung der Verfahrenserfordernisse ableiten zu können. | Abs. 9 |
III. Praxisbeispiel |
Anhand zweier unterschiedlicher Verfahren seien zunächst die jeweiligen Verfahrensspezifika erläutert, um in einem zweiten Schritt Vorschläge für die Zukunft zu machen. | Abs. 10 |
1. Bei dem einen Verfahren handelt es sich um das bereits publizierte Verfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt(6), bei dem anderen um ein Besichtigungsverfahren wegen der Verletzung eines Software-Verfahrenspatents vor dem Land- und Oberlandesgericht Düsseldorf(7). | Abs. 11 |
Wenngleich sich das eine Verfahren nach Urheberrecht, das andere nach dem Patentrecht richtet, so ist beiden Verfahren jedoch gemein, dass zum einen die Grundsätze, die sowohl für Urheber- als auch Patentrecht in der Enforcement- Richtlinie gleich geregelt wurden, bereits vor Umsetzung im nationalen Recht angewendet wurden, zum anderen die prozessualen Voraussetzungen nahezu die selben sind. Zudem verweist die gesetzliche Begründung zu § 101a UrhG auf die zu § 140c PatG(8). | Abs. 12 |
In dem Frankfurter Verfahren wurde folgendem Antrag in der ersten Instanz stattgegeben: | Abs. 13 |
Der zuständige Gerichtsvollzieher wird ermächtigt, sämtliche Computer der Antragsgegnerin, die sich in den Geschäftsräumen der Antragsgegnerin an ihrem Geschäftssitz, nämlich in | Abs. 14 |
Abs. 15 |
befinden, in Augenschein und während der Inaugenscheinnahme in Sicherungsverwahrung zu nehmen und einem gegenüber der Antragsgegnerin zur Verschwiegenheit verpflichteten, durch das Gericht bestimmten Gutachter, zu ermöglichen, dass dieser Gutachter vor Ort eine sofortige Besichtigung sämtlicher Computer der Antragsgegnerin durchführen und feststellen kann, ob auf den Festplatten etwaige Software vorhanden ist, die der Software der Antragstellerin „Zaubersoftware“ dadurch gleicht, dass Quellcode und/oder die Bedienoberfläche und/oder die Programmablaufpläne ganz oder teilweise mit dem Quellcode und/oder der Bedienoberfläche und/oder den Programmablaufplänen mit der Software „Nachgemacht“ der Antragsgegnerin übereinstimmen. | Abs. 16 |
Zum diesem Zwecke wird dem Sachverständigen gestattet: | Abs. 17 |
a) | jeden einzelnen Computer in Betrieb zu nehmen und an einen mitgebrachten oder vor Ort bereits befindlichen Drucker anzuschließen; | Abs. 18 |
b) | die auf den Computern der Antragsgegnerin vorgefundenen Programme „Nachgemacht“ der Antragsgegnerin probeweise zu starten und mit dem Programm „Zaubersoftware“ der Antragstellerin zu vergleichen; | Abs. 19 |
c) | jeweils auf der Entwicklungsumgebung und Produktivumgebung Einsicht in die Programmdateien des Programms „Nachgemacht“ zu nehmen sowie den Quellcode auszudrucken; | Abs. 20 |
d) | das Programm „Nachgemacht“ im Quellcode auf einen vom Sachverständigen mitgebrachten Datenträger (Diskette, USB-Stick, CD-ROM oder DVD) zu übertragen und zum Zwecke des weiteren Vergleichs mit dem Programm „Zaubersoftware“ der Antragstellerin auf ein mitgebrachtes Notebook des Sachverständigen zu überspielen, um dieses auch außerhalb der Geschäftsräume der Antragsgegnerin zu überprüfen; | Abs. 21 |
e) | einen Bericht, welche Computerprogramme, Module oder Programmelemente der Antragstellerin sich in den Computerprogrammen der Antragsgegnerin befinden, an das Gericht zu übergeben; | Abs. 22 |
f) | für den Fall, dass der Sachverständige zu dem Ergebnis der zumindest weitgehenden Übereinstimmung oder Identität von Quellcode und/oder Bedienoberfläche und/oder Programmablaufplänen gelangt, die auf den Computern der Antragsgegnerin ermittelten Dateien und/oder Quellcodes, des Programmes „Nachgemacht“ als Beweismittel zu speichern und diese zusammen mit dem Bericht nach lit. e) an das Gericht zu übergeben sowie der Antragstellerin zu übergeben. | Abs. 23 |
Weiter wird für den Fall der Weigerung des Antragsgegners vorsorglich beantragt, dem Gerichtsvollzieher die Durchsuchung der Geschäfträume zu gestatten. | Abs. 24 |
Nachdem der gerichtlich bestellte Sachverständige eine weitgehende Übereinstimmung auf Quellcodebasis gefunden hat, erfolgte auf den Widerspruch der Antragsgegnerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung ein Vergleich dahingehend, dass der Quellcode nebst Gutachten an die Antragstellerin übergeben wird. Die Kostenentscheidung sollte nach 91a ZPO erfolgen, die erstinstanzlich durch das Landgericht vollumfänglich der Antragsgegnerin auferlegt wurden. | Abs. 25 |
Auf die sofortige Beschwerde hin verteilte das OLG Frankfurt die Kosten mit 1/3 zu 2/3, da es den Antrag lit. f), also die Herausgabe des Gutachtachtens mit Feststellung der Rechtsverletzung, aber vor Abschluss des einstweiligen Verfügungsverfahrens, als zu weit gefasst bewertete(9). Es führte hierzu aus: | Abs. 26 |
"Selbst wenn die Herausgabe zu beschleunigen wäre, könnte dies allenfalls dazu führen, dass dies am Ende des Verfügungsverfahrens zu geschehen hat (KG a.a.O. m.w.N.). Diese bedeutsame Einschränkung hätte im Antrag aufgenommen und das besondere Interesse an einer Herausgabe vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens dargelegt werden müssen." | Abs. 27 |
2. Mit einem ähnlichen rechtlichen "Mechanismus", indes prozessrechtlich anders konstruiert, wurde jüngst ein Verfahren vor dem Landgericht Düsseldorf zur Besichtigung eines Softwarepatents durchgeführt. Entsprechend der sog. Düsseldorfer Besichtigungspraxis wurde ein Beweissicherungsverfahren mit dem der Einstweiligen Verfügung dergestalt verbunden, dass die Beweissicherung ohne Anhörung des Gegners erfolgte und flankiert durch die Einstweilige Verfügung diverse Anordnungen zur Duldung von Untersuchungsmaßnahmen getroffen wurden(10). | Abs. 28 |
Im Unterschied zu dem Frankfurter Verfahren wurde zur Verfahrensbetreuung vor Ort dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin die Anwesenheit gestattet, indes durch das Gericht auferlegt, "die im Zuge des selbstständigen Beweisverfahrens zu ihrer Kenntnis gelangten und den Geschäftsbetrieb der Antragsgegnerin betreffenden Tatsachen geheim zu halten, und zwar auch gegenüber der Antragstellerin und deren Mitarbeitern". | Abs. 29 |
Demgemäß wurde folgendem, etwas verkürzt dargestelltem Antrag(11)stattgegeben: | Abs. 30 |
I. | Abs. 31 |
Auf Antrag der Antragstellerin DD.MM.2007 wird, da ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist und die Antragstellerin ein rechtliches Interesse daran hat, dass der Zustand einer Sache festgestellt wird, die Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens gem. § 485 ff. ZPO angeordnet. | Abs. 32 |
II. | Abs. 33 |
1. Es soll durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens Beweis darüber erhoben werden, ob die in der Betriebsstätte der Antragsgegnerin | Abs. 34 |
befindlichen Unterlagen und Vorrichtungen wie insbesondere | Abs. 35 |
♦ | Ausschreibungsunterlagen | Abs. 36 |
♦ | Lasten- und Pflichtenhefte | Abs. 37 |
♦ | Anforderungsdefinitionen | Abs. 38 |
♦ | Konzepte wie fachliche Fein- und/oder Grobkonzepte | Abs. 39 |
♦ | Ablaufdiagramme | Abs. 40 |
♦ | Systemdarstellungen | Abs. 41 |
♦ | Server | Abs. 42 |
♦ | Speicher | Abs. 43 |
♦ | Computerprogramme, insbesondere 08-15-4711 | Abs. 44 |
♦ | Steuerungsprogramme | Abs. 45 |
und sonstige Unterlagen (…) dergestalt, dass die XYZ dazu geeignet sind, das Verfahren nach Anspruch Y des deutschen Patents DE 4711 auszuführen, welches durch die Kombination folgender Merkmale gekennzeichnet ist: | Abs. 46 |
III. | Abs. 47 |
Im Wege der einstweiligen Verfügung werden darüber hinaus folgende weitere Anordnungen getroffen: | Abs. 48 |
1. Neben dem Sachverständigen hat die Antragsgegnerin folgenden anwaltlichen Vertretern der Antragstellerin die Anwesenheit während der Begutachtung zu gestatten: | Abs. 49 |
– | Patentanwalt Dr. X | Abs. 50 |
– | Rechtsanwalt Dr. R | Abs. 51 |
2. Patentanwalt Dr. X und Rechtsanwalt Dr. R werden verpflichtet, Tatsachen, die im Zuge des selbstständigen Beweisverfahrens zu ihrer Kenntnis gelangen und den Geschäftsbetrieb der Antragsgegnerin betreffen, geheim zu halten, und zwar auch gegenüber der Antragstellerin und deren Mitarbeitern. | Abs. 52 |
3. Der Antragsgegnerin wird — mit sofortiger Wirkung und für die Dauer der Begutachtung — untersagt, eigenmächtig Veränderungen an den zu begutachtenden Einrichtungen (Servern, Speichern) und Programmen vorzunehmen, insbesondere Steuerungsprogramme, Menüs, Dateien und Dateieigenschaften zu deaktivieren oder zu verändern. | Abs. 53 |
Wie im Frankfurter Verfahren hängt die Aushändigung des auf der Besichtigung vor Ort basierenden Gutachtens davon ab, ob eine Patentverletzung zu bejahen ist oder nicht. Damit keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, darf das Gutachten erst herausgegeben werden, wenn über das verfahrensrechtliche Gesuch des Besichtigungsschuldners rechtskräftig entschieden ist(12). Ergibt die Besichtigung somit eine (abhängige erfinderische) Patentverletzung, so hat der Geheimnisschutz des Verletzers hinter den Belangen des Schutzrechtinhabers zurückzutreten(13). Regelmäßig wird der Besichtigungsschuldner Geheimhaltungsinteressen anführen, so dass bereits im Besichtigungsverfahren eine Entscheidung darüber zu treffen ist, ob eine Patentverletzung vorliegt oder nicht(14). Das Gericht hat hierzu beide Parteien anzuhören und kann - wenn es erforderlich ist - den Sachverständigen ergänzend schriftlich und/oder mündlich Stellung nehmen lassen. | Abs. 54 |
Führt das Verfahren somit zu einer Patentverletzung, erhält der Antragsteller das Gutachten. Wird eine Verletzung verneint, verbleibt es bei der Geheimhaltungs-auflage der Bevollmächtigten des Antragstellers und das Gutachten wird nicht ausgehändigt. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass das LG Düsseldorf die Geheimhaltungsverpflichtung gegenüber den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin auf das Ergebnis des Gutachtens erstreckte(15). | Abs. 55 |
Dies hatte in der konkreten Fallsituation zur Folge, dass die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin dieser nicht einmal mitteilen durften, dass die erstinstanzlichen Richter ein Gutachtenherausgabe verweigerten, obwohl der gerichtliche Gutachter die Verwirklichung sämtlicher Patentansprüche bejaht. | Abs. 56 |
Die daraufhin beim OLG Düsseldorf eingelegt Beschwerde hatte nicht nur in der Sache Erfolg und führte zur Zurückverweisung. Das OLG stellt darüber hinaus noch fest, dass die Anwälte der Antragstellerin nicht an der Mitteilung des Gutachtenergebnisses gegenüber der Antragstellerin gehindert sind, da "sich ihre Verschwiegenheitspflicht ausschließlich auf betriebsinterne Tatsachen bezieht, während es sich bei der Bekanntgabe davon, ob der gerichtliche Sachverständige im Ergebnis eine Patentverletzung bejaht oder verneint hat, um eine bloße Wertung handelt, die die Geheimnissphäre der Antragsgegnerin offensichtlich nicht berühren kann. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn bereits die Mitteilung des Besichtigungsergebnisses aufgrund der besonderen Umstände des Falles Rückschlüsse auf eine bestimmte konstruktive Ausgestaltung des Besichtigungsergebnisses zulässt, so der Senat(16). | Abs. 57 |
IV. Verfahrensseitige Problemstellungen |
Jeder, der ein solches Besichtigungsverfahrens einleitet, sollte sich darüber bewusst sein, dass trotz des Eilcharakters des Verfahrens nur selten ein schneller Erfolg zu erzielen sein dürfte. | Abs. 58 |
Anders als noch als in der erstinstanzlichen Entscheidung des Landgerichtes Frankfurt im Quellcodebesichtigungsfall, vertreten die Oberlandesgerichte Düsseldorf(17), Frankfurt(18)und Berlin(19)als somit wohl herrschende Meinung die Auffassung, dass eine Gutachtenherausgabe nicht vor Abschluss des OLG-Verfahrens erfolgen könne, wenn der Besichtigungsschuldner geheimhaltungsbedürftige Tatsachen glaubhaft macht. Da nach der Düsseldorfer Besichtigungspraxis im Zwischenstreit über die Frage der Herausgabe des Gutachtens die Rechtsanwälte und tunlich auch Patentanwälte des Antragsstellers mit eingebunden werden, impliziert dies, dass diese in der Kommunikation mit ihrer eigenen Mandantschaft durch die vom Gericht auferlegte Geheimhaltungsanordnung stark beschnitten sind. | Abs. 59 |
Vor Verfahrensbeginn sollten sich daher die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers intensiv auf eine mögliche Auseinandersetzung vorbereiten lassen, um in der Folgezeit ohne Verletzung ihrer Geheimhaltungsverpflichtung dann schriftsätzlich sowohl auf behauptete Geheimhaltungsinteressen, vor allem aber auf die Frage der Patentverletzung erwidern zu können. | Abs. 60 |
Problematisch kann es werden, wenn der Antragsgegner bzgl. bestimmter Tatsachen eine Geheimhaltungsbedürftigkeit behauptet, über deren Richtigkeit die Bevollmächtigten des Antragstellers mit diesem nicht kommunizieren dürfen und daher eine Erwiderung schwer fällt. Dennoch sind mit jedem Argument, das eine Patentverletzung plausibler erscheinen lässt, die Geheimhaltungsinteressen des Besichtigungsschuldners neu zu bewerten(20). | Abs. 61 |
Da wie aufgezeigt, die Gutachtenherausgabe von der Frage der Rechtsverletzung abhängt, entbrennt hierüber regelmäßig ein intensiver Streit mit allen möglichen Facetten eines Beweissicherungsverfahrens, bis hin zu Befangenheitsanträgen gegen den Gutachter. | Abs. 62 |
Erst wenn das Verfahren in der Rechtsmittelinstanz im Sinne der Antragstellerin abgeschlossen ist, erhält diese dann das Gutachten zur weiteren Rechtsverfolgung, also zur Erhebung der Hauptsacheklage. Die Frist zur Erhebung der Hauptsacheklage zielt auf die Durchsetzung desjenigen Anspruchs ab, dessen Klärung die selbstständige Beweisanordnung dient. Innerhalb der Frist des § 494a Abs. 1 ZPO ist daher Klage auf Unterlassung etc. wegen Schutzrechtsverletzung zu erheben.(21) | Abs. 63 |
V. Kombination beider Verfahrenstypen |
In Fortentwicklung der Antragstellung des Quellcodebesichtigungsverfahrens (Oberlandesgericht Frankfurt) mit den Grundsätzen des Düsseldorfer Besichtigungsverfahrens könnte sich eine Verbindung beider Anträge im Lichte der umgesetzten Enforcement-Richtlinie für § 101a UrhG kombinieren lassen. | Abs. 64 |
Anders als in der ursprünglichen Konstellation, die Gutachtenherausgabe im Wege der Einstweiligen Verfügung zu erreichen, könnte wie für das Patentverfahren auch für das Urheberrechtsverfahren auf die Antragstellung der patentrechtlichen Düsseldorfer Besichtigungspraxis zurückgegriffen werden, deren jeweilige Ausgestaltung sich jeweils aus den konkreten Anforderungen des Einzelfalls ergeben. Die Antragstellung würde dem Düsseldorfer Verfahren entsprechen und um die Sachverhaltsspezifika der Urheberrechtsverletzung zu ersetzen sein | Abs. 65 |
Diese Kombination hätte als Weiterentwicklung den Vorteil, dass insbesondere nach Gutachtenerstattung und Diskussion der Rechtsverletzung die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers sich wesentlich intensiver in die Diskussion einbringen können und insoweit die gerichtliche Entscheidung nicht allein auf die Bewertung des Gutachtens durch das Gericht erfolgt, was im Urheberrecht regelmäßig leichter als im Patentrecht fällt, da speziell für den IT-Bereich die Rechtsprechung zur Schutzfähigkeit und Rechtsverletzung reichhaltiger ist und es nicht auf patentrechtliche Sondertatbestände(22)ankommt. | Abs. 66 |
VI. Verfahrensspezifische Hinweise |
1. Da das Besichtigungsverfahren nur sinnvoll ist, wenn der Besichtigungsschuldner keinen Verdacht hat, so dass insoweit der "Echtzustand" gesichert werden kann, hat der Besichtigungsschuldner im Ergebnis nur einen Schuss frei, da danach mit einer Vernichtung belastender Informationen zu rechnen sein könnte. | Abs. 67 |
Vor Einleitung des Verfahrens muss sich der Antragsteller daher intensiv mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzung auseinandersetzen. Ohne die akademische Diskussion hier vertiefen zu wollen(23), sei ein Literaturstudium der diversen Beiträge empfohlen, um sodann die entsprechende Subsumtion für die Glaubhaftmachung vornehmen zu können. | Abs. 68 |
Der Antragsteller sollte hierbei eine Vielzahl von Indizien vortragen, die eine Rechtsverletzung zumindest als hinreichend wahrscheinlich erachten lassen. Fehlt es an einer detaillierten und belastbaren Substantiierung kann ein Anspruch vereint werden(24). | Abs. 69 |
2. Des Weiteren muss er sich im Rahmen der Antragsgestaltung darüber Gedanken machen, welche Beweismittel er wo in welchem Zustand auffinden könnte. | Abs. 70 |
Neben den Geschäftsräumen eines Unternehmens sind nicht selten die Heim-PCs von Programmieren und Entwicklern von erheblichem Interesse, da der Rechtsverletzer mit größerer krimineller Energie solche Daten nicht in der Firma, sondern auf dem heimischen PC speichert. | Abs. 71 |
In manchen Fällen "verkauft" sich ein Programmierer als "talentiert" gegenüber dem gutgläubigen Unternehmen, nutzt aber stattdessen zur Softwareentwicklung Erkenntnisse oder gar Codebestandteile aus der Dekompilierungen des Vorbilds. | Abs. 72 |
Beispielsweise konnte in einem Fall auf diesem Wege ermittelt werden, dass die Kopie eines Programms und die Ausschaltung der ursprüngliche Dongle-Routine und Übernahme eigener Dongels aus Fernost bezogener Dongles im Rahmen der Quellcodebearbeitung mit einem bestimmten Programmtool durch einen Programmier am heimischen PC vorgenommen wurde. Die Arbeitsdateien dieses Vorgangs auf Quellcodeebene, die diese Schritte bewiesen, vernichtete der Programmierer; auf Objektcodeebene ließ sich dies nicht beweisen. Der Programmierer übersah jedoch, dass das Tool zur Bearbeitung dieses Programms an anderer Stelle eine Sicherungsdatei des so bearbeiteten Quellcodes ablegte. Der Programmierer löschte also die als Beweismittel dienliche Hauptdatei, übersah jedoch die Schattendatei, die zur Überfügung der Rechtsverletzung bis zur strafrechtlichen Verurteilung führte. | Abs. 73 |
Des Weiteren sollte sich die Besichtigungsanordnung neben dem Programm auf Unterlagen, wie Konzepte, Ausschreibungsunterlagen, Last- und Pflichtenhefte, Ablaufdiagramme oder Systemdarstellungen etc. erstrecken; dies ist stets Frage des Einzelfalls. | Abs. 74 |
Da im Rahmen des Besichtigungsverfahrens idealer Weise der Zustand zum Besichtigungszeitpunkt zu sichern ist, sollte sich der Antragssteller des Weiteren mit der Frage auseinandersetzen, auf welchen Widerstand er trifft. Wird das selbstständige Beweisverfahren mit der Einstweiligen Verfügung kombiniert, erfolgt die Zustellung im Parteibetrieb, so dass die Zustellung der Duldungsverfügung zusammen mit dem Beginn der Beweissicherung tunlicher Weise zeitgleich zu erfolgen hat. | Abs. 75 |
Ist mit Widerstand zu rechnen, kann eine Zuziehung des Gerichtsvollziehers nach § 892 ZPO sinnvoll sein. Aus Markenverfahren bekannt, kann hier zusätzlich die Unterstützung des Gerichtsvollziehers durch die Polizei gem. § 758 Abs. 3 ZPO erforderlich werden. | Abs. 76 |
Die Situation vor Ort hat der Antragsteller zu antizipieren, da hier eventuell jede Minute zählt, um die Beseitigung beweiserheblicher Dokumente und Dateien zu vermeiden. | Abs. 77 |
VII. Ausblick und Zusammenfassung |
Das Besichtigungsverfahren im Wege der Einstweiligen Verfügung, insbesondere in
der vorgeschlagenen Kombination des Frankfurter und Düsseldorfer Verfahrens
bietet für den Schutzrechtinhaber die Möglichkeit einer schnellen und
effektiven Beweissicherung. Zu beachten sind dabei zum einen die im Vorfeld zu
treffenden Maßnahmen, zum anderen auch, dass sich nach erfolgter
Beweissicherung der Streit über die Gutachtenherausgabe hinziehen kann. Da
speziell in Patentsachen der Streitwert bei Patentverletzungsklagen regelmäßig
siebenstellig ist, bietet das Besichtigungsverfahren insoweit eine
kostengünstige Variante sich zunächst Gewissheit zu verschaffen.
| JurPC Web-Dok. 44/2010, Abs. 78 |
Fußnoten: |
* Dr. jur., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Informationstechnologierrecht; das Thema war Gegenstand eines Vortrages bei der DGRI am 24.11.2008. |
(1) BGH, GRUR 2002, 1046. |
(2) RICHTLINIE 2004/48/EG DES €OPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. |
(3) Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums vom 7.Juli 2008, BGBl. I 2008, 1191. |
(4) OLG Köln, Az. 6 Wx 2/08, JurPC Web-Dok. 169/2008. |
(5) Tilmann/Schreibauer, Die neueste BGH-Rechtsprechung zum Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB, GRUR 2002, 1015; Rauschhofer Quellcodebesichtigung Eilverfahren - Softwarebesichtigung nach § 809 BGB, GRUR-RR 2006, 249. |
(6) OLG Frankfurta a. M., GRUR RR 2006, 295. |
(7) OLG Düsseldorf, Az.: I-2 W/08 (unveröffentl., Verf. noch anhängig). |
(8) Gesetzentwurf der Bundesregierung, Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums, S. 118. |
(9) OLG Frankfurt a. M., GRUR RR 2006, 295. |
(10) LG Düsseldorf, Az. 4a O 274/07 (unveröffentl.) |
(11) Der Antrag basiert im Wesentlichen auf dem Vorschlag Kühnen/Geschka, a.a.O.. Rz. 167. |
(12) Kühnen/Geschke, Die Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 3. Auflage, Rz. 170, Fußnote 212. |
(13) Kühnen, Die Besichtigung im Patentrecht, GRUR 2005, 192. |
(14) Kühnen, Die Besichtigung im Patentrecht, aaO., 193. |
(15) LG Düsseldorf, Az. 4a O 274/07 (unveröffentl.), Beschluss vom 04.08.2008 |
(16) OLG Düsseldorf, Az.: I-2 W 56/08 (unveröffentl., Verf. noch anhängig), Beschluss vom 14.01.2009. |
(17) OLG Düsseldorf, Az.: I-2 W 56/08 (unveröffentl., Verf. noch anhängig). |
(18) OLG Frankfurt a. M., GRUR-RR 2006, 295, 296. |
(19) KG Berlin, NJW 2001, 233, 234. |
(20) Kühnen, aaO., 193. |
(21) Kühnen/Geschke, aaO., Rz. 173. |
(22) Regelmäßige Verteidigung gegen die Patentverletzungsklage ist eine Nichtigkeitsklage, die auf die ganze Palette von Gründen wie keine Erfindung, keine Neuheit, etc. gestützt wird. |
(23) Battenstein, Instrumente zur Informationsbeschaffung im Vorfeld von Patent- und Urheberrechtsverletzungverfahren, S. 42 ff. m.w.N. |
(24) JurPC Web-Dok. 164/2009, Abs. 1 - 68, http://www.jurpc.de/rechtspr/20090164.htm |
* Dr. jur. Hajo Rauschhofer ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Informationstechnologierrecht; das Thema war Gegenstand eines Vortrages bei der DGRI am 24.11.2008. |
[ online seit: 02.03.2010 ] |
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs. |
Zitiervorschlag: Rauschhofer, Hajo, Beweismittelbeschaffung bei Softwareverletzung - JurPC-Web-Dok. 0044/2010 |