JurPC Web-Dok. 140/2009 - DOI 10.7328/jurpcb/2009247123

Ralf Zosel*

Im Namen des Volkes:
Gerichte zitieren Wikipedia

JurPC Web-Dok. 140/2009, Abs. 1 - 73


Zosel, Ralf
I n h a l t s ü b e r s i c h t
I.   Einleitung
II.   Das erste Mal
III.   Quantitative Analyse
IV.   Qualitative Analyse
V.   Zitierung von Online-Quellen
VI.   Wikipedia zitieren, aber richtig
VII.   Ergebnis

I. Einleitung

Juristen nutzen heute Computer und das Internet mit großer Selbstverständlichkeit für ihre Arbeit. Die juristische Recherche ist ohne Datenbanken wie juris und beck-online kaum noch vorstellbar. Aber auch das freie Internet hat einiges zu bieten. Das ist allerdings recht unübersichtlich, und mit einer simplen Google-Recherche landet man höchstens zufällig einen Glückstreffer. Den muss man dann auch noch genau unter die Lupe nehmen, um seine Qualität zu bewerten. Keine leichte Aufgabe! Sich an der seriösen Aufmachung der Seite zu orientieren, ist jedenfalls keine gute Idee, seitdem jeder mit wenigen Mausklicks ein professionell anmutendes Portal zusammenbauen kann.[1]JurPC Web-Dok.
140/2009,   Abs. 1
Bei der Wikipedia hat man solche Probleme scheinbar nicht, denn Wikipedia gilt allgemein als seriös. Wohl jeder hat inzwischen die Erfahrung gemacht, dass die 2001 gegründete und inzwischen allein in der deutschen Version mehr als 750.000 Artikel[2] umfassende freie Online-Enzyklopädie nicht nur äußerst umfangreiche, detaillierte und gut aufbereitete Informationen bereithält, sondern dass die in aller Regel auch hieb- und stichfest sind. Verschiedene Untersuchungen bestätigen dies.[3]Abs. 2

II. Das erste Mal

Gerade als Jurist wird man immer wieder mit den vielfältigsten Lebenssachverhalten konfrontiert. So hat man beispielsweise als Verwaltungsrichter zu entscheiden, wie hoch der angemessene Stundensatz für die Tätigkeit eines Dolmetschers in der arabischen Sprache ist. Mit der Recherche in juristischen Datenbanken kommt man zu dem Ergebnis, dass dies bisher sehr uneinheitlich gehandhabt wird. Sind arabische Sprachen genauso schwierig zu dolmetschen wie asiatische Sprachen? Bevor man nun ein Gutachten zu der Frage einholt, gibt man einfach mal "Arabisch" bei Google ein und landet — wie so oft — mit dem ersten Treffer bei Wikipedia. Dort findet man einen umfangreichen Artikel mit zahlreichen weiterführenden Links. Davon waren die Richter der 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen offenbar so beeindruckt, dass sie in ihrem Beschluss vom 30.01.2004 formulierten:[4]Abs. 3
"Dem liegen im Hinblick auf den Grad der erforderlichen Sprachkenntnisse und der Schwierigkeit der zu erbringenden Leistung folgende Erwägungen zugrunde: Das Arabische gehört zur hamitosemitischen Sprachfamilie (s. die nachfolgende Grafik, zitiert nach Wikipedia der freien Enzyklopädie, www.wikipedia.de)." Abs. 4
Es folgen seitenweise Ausführungen über Geschichte, Verbreitung und Aufbau der arabischen Sprache. Abs. 5
Die Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Es handelt sich um die erste in der juris-Datenbank dokumentierte Entscheidung, bei der sich ein deutsches Gericht auf Wikipedia beruft. Dabei ist man sich der historischen Bedeutung offensichtlich nicht bewusst und geht auch mit keiner Silbe auf die Zitierfähigkeit von Wikipedia ein. Zudem ist die Fundstellenangabe sehr unpräzise. Abs. 6

III. Quantitative Analyse

Dem Beschluss des VG Göttingen folgten in Deutschland im selben Jahr elf weitere Entscheidungen unter Berufung auf die Online-Enzyklopädie. In der Wikipedia selbst wird eine Liste gepflegt mit "deutschsprachigen Gerichtsentscheidungen und Entscheidungen gerichtsähnlicher Spruchkörper, in denen auf Wikipedia-Artikel verwiesen wird".[5] Diese Liste enthält derzeit[6]393 Einträge, darunter sind 294 Entscheidungen deutscher Gerichte. Damit ist diese Liste besser gepflegt als die internationale in der englischsprachigen Wikipedia.[7]Dort sind nur 292 Einträge verzeichnet, darunter gerade mal sieben deutsche. Bemüht man die juris-Rechtsprechungs-Datenbank, kommt man mit dem Suchwort "wikipedia" auf 300 Treffer.[8]Abs. 7
Nun können darunter auch Entscheidungen sein, die "Wikipedia" erwähnen, ohne sich darauf als Quelle zu berufen. Stichproben zeigen aber, dass in der großen Mehrzahl der Fälle Wikipedia tatsächlich als Belegstelle zitiert wird. Abs. 8
Im zeitlichen Verlauf stellt sich die Nennung von Wikipedia durch deutsche Gerichte wie folgt dar: Abs. 9
Abs. 10

IV. Qualitative Analyse

Wikipedia wird von den Gerichten in ganz unterschiedlicher Art zitiert, wie der folgende Überblick zeigt: Abs. 11
1.  Wer bringt Wikipedia in das Verfahren ein? Abs. 12
a)  Die Parteien Abs. 13
Beispiel: Das LG München I[9] übernimmt in seiner Entscheidung große Teile des ausführlichen Wikipedia-Artikels zum "Usenet", der von einer der Parteien als Anlage in das Verfahren eingeführt worden war.  Abs. 14
b)  Das Gericht Abs. 15
Beispiel: Das AG Siegen[10] zur Frage der Befangenheit eines Richters: "Die vom Kläger beanstandete Maßnahme (Internetrecherche) beruht auf § 291 ZPO. Danach bedürfen Tatsachen, die bei dem Gericht offenkundig sind, keines Beweises. Darunter fallen auch Informationen aus allgemein zugänglichen, zuverlässigen Quellen (Zöller/Greger, ZPO, 24. Auflage 2004, § 291 Rn. 1), hier: Internet-Lexikon Wikipedia. Derartige Tatsachen darf das Gericht auch ohne entsprechende Parteibehauptung in den Prozess einführen (Zöller/Greger a. a. O., Rn. 2)." Abs. 16
2.  Wie intensiv ist der Erkenntnisgewinn durch Wikipedia? Abs. 17
a)Bloßer weiterführender Hinweis zur Untermauerung der eigenen Sachkenntnis ("vgl.")         Abs. 18
Beispiel: Das Niedersächsische OVG[11]  zur Frage, ob ein "Mausarm" als Berufskrankheit anzuerkennen ist: "Arbeitstechnisch wurde die Tätigkeit hauptsächlich ausgeführt, indem die einzelnen Daten mittels Mausklicks markiert und in die zu erstellende Datei gezogen oder kopiert (drag & drop, vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Drag_&_Drop) wurden." Abs. 19
b)  Berufung auf Wikipedia als Autorität Abs. 20
Beispiel: Das SG Düsseldorf[12] sucht Anhaltspunkte für eine eheähnliche Gemeinschaft: "Für eine derartige Gemeinschaft zwischen der Antragstellerin und Herrn G bestehen vorliegend — nach Aktenlage — keine Anhaltspunkte. Streng genommen wird dies von der Antragsgegnerin auch gar nicht behauptet, denn die Antragsgegnerin schließt aus dem von der Vermieterin der Antragstellerin gebrauchten Begriff der 'Liaison D'Amour' auf eine 'eheähnliche Lebensgemeinschaft'. Liaison (französisch 'Bindung') aber ist — in der deutschen Umgangssprache — der Begriff für eine nur 'kurzzeitige Liebesbeziehung'. Das Wort wurde in dieser Bedeutung geläufig durch den Roman 'Les liaisons dangereuses' (Gefährliche Liebschaften) von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos. (www.wikipedia.de-Stichwort)." Abs. 21
3.  Wie gezielt wird Wikipedia zitiert? Abs. 22
a)  Allgemeiner Hinweis auf Wikipedia          Abs. 23
aa)  ohne Angabe einer URL   Abs. 24
Beispiel: OVG Sachsen-Anhalt[13]zur Rechtmäßigkeit einer Anordnung zur Rückführung und Entsorgung illegal verbrachter Abfälle: "Ein Wiegeschein dient im Wesentlichen dazu, beim Transport von Schüttgütern und Flüssigkeiten an der Annahmestelle das Gewicht der Lieferung festzustellen und dem Lieferanten den Empfang zu quittieren (vgl. die Darstellung in der wikipedia-Enzyklopädie im Internet)" Abs. 25
bb)  mit Angabe von www.wikipedia.de Abs. 26
Beispiel: Das BPatG im Markenbeschwerdeverfahren "Lüneburger Heide": "Die Lüneburger Heide ist als Teil des norddeutschen Tieflandes eine große Heide- und Waldlandschaft im Nordosten Niedersachsens im Städtedreieck zwischen Hamburg, Bremen und Hannover (vgl. www.wikipedia.de)." Abs. 27
b)  Hinweis auf speziellen Artikel Abs. 28
aa)  Nennung des Artikels Abs. 29
(1)  ohne Angabe einer URL Abs. 30
OVG Berlin-Brandenburg[14] zur Frage einer gaststättenrechtlichen Genehmigung: "Bei der in der Betriebsbeschreibung des Antragstellers vom 11. Dezember 2006 dargestellten Betriebsstätte handelt es sich um eine Diskothek (vgl. Beschreibung des Begriffs 'Diskothek' unter, aus 'Wikipedia, die freie Enzyklopädie') ..." Abs. 31
(2)  mit Angabe einer URL      Abs. 32
(a)  nur Angabe von www.wikipedia.de Abs. 33
Beispiel: Der BFH[15] zur Frage der Qualifikation eines Sachverständigen: "Schon bei der Entstehung des modernen Industriedesigns spielte das Möbeldesign eine Schlüsselrolle (vgl. zum Stichwort 'Industriedesign' im Internet unter www.wikipedia.de)." Abs. 34
(b)  Angabe der vollständigen URL Abs. 35
Beispiel: VG Karlsruhe[16] zur Frage eines Abschiebungsverbotes: "Gleichzeitig hielten Kämpfe rivalisierender Kräfte an. Seit Anfang 2006 schienen die Taliban in Afghanistan zwar wieder zu erstarken (Taliban aus Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Taliban )." Abs. 36
bb)  Nur Angabe der URL ohne Nennung des Artikels         Abs. 37
Das BPatG[17]im Markenbeschwerdeverfahren "Gute Laune Die fröhliche Illustrierte": "Bei einer Illustrierten handelt es sich um eine periodisch erscheinende Publikumszeitschrift, die durch eine intensive Bebilderung gekennzeichnet ist (vgl. 'Wikipedia' unter 'http://de.wikipedia.org/wiki/Illustrierte'        Abs. 38
4.  Wird ein bestimmter Stand des Wikipedia-Artikels zitiert?         Abs. 39
5.  Setzt sich das Gericht mit der Qualität der Wikipedia-Inhalte auseinander?       Abs. 40
a)  ja     Abs. 41
Beispiele: Abs. 42
OLG Hamm zum Suchmaschinen-Spamming: "Abgesehen davon, dass diese Darstellung, die bei Wikipedia von 'jedermann' eingestellt werden kann, keine offizielle Begriffsdefinition darstellt, ..."        Abs. 43
AG Siegen[18]: "Es ist daher unerheblich, ob das Wikipedia-Lexikon tatsächlich die Voraussetzungen erfüllt, um als allgemein anerkannte zuverlässige Informationsquelle angesehen zu werden. Eine solche Auffassung ist jedenfalls vertretbar." Abs. 44
b)  nein Abs. 45
Festzuhalten bleibt: Abs. 46
Zu der Frage 4 konnte ich kein Beispiel finden. Es ist ganz üblich, Wikipedia ohne Angabe eines Datums o.ä. zu zitieren. Abs. 47
Die allermeisten Entscheidungen sind bei Nr. 5 b. einzustufen, d.h. es erfolgt in der Regeln keinerlei Auseinandersetzung mit der Frage der Zitierfähigkeit von Wikipedia. Abs. 48

V. Zitierung von Online-Quellen

Wie die Beispiele zeigen, zitieren Richter seit Jahren völlig unbekümmert das Online-Lexikon. Ich hatte noch gelernt: Zitierfähig ist alles, was in der juristischen Seminarbibliothek steht. Online-Quellen spielten 1994 noch keine Rolle — einmal abgesehen von juris, aber was man dort fand, zitierte man halt nach der dort angegebenen Offline-Quelle. Das war wissenschaftlich nicht korrekt, aber im Hinblick auf die Zuverlässigkeit von juris wohl vertretbar. Damit umging man jedenfalls die Diskussion zur Zitierfähigkeit von juris, die schon 1992 in der juristischen Ausbildungsliteratur geführt wurde. Ich zitiere Raimond Emde[19] nach dem in der juris-Datenbank hinterlegten Kurzreferat: Abs. 49
Verfasser setzt sich kritisch mit dem Beitrag von Hoeren in JuS 1992, 267, auseinander. Entgegen der Auffassung Hoerens ist er der Meinung, die in Juris abgespeicherten Urteile seien unter Angabe der Herkunft in Examenshausarbeiten durchaus zitierfähig. Dies gehe eindeutig aus einem Schreiben des Justizministeriums aus dem Jahre 1987 hervor. Verfasser wendet sich weiter gegen die von Hoeren vertretene These, es bestehe ein Zusammenhang zwischen einer schlechten Arbeit und der Computernutzung. Abs. 50
Die Zeiten ändern sich. Online-Quellen sind in der juristischen Literatur längst Alltag, wie die nachstehende Statistik der Treffer nach "http" und "www" in der juris-Datenbank illustriert. Abs. 51
Abs. 52
Juristen nehmen es mit der Zitierung von Online-Quellen nicht so genau. Das fängt schon damit an, dass sie am liebsten das Protokoll ("http://") weglassen, weil heutige Browser dies bei der Eingabe in die Adresszeile automatisch ergänzen. Dabei gibt es eine internationale Richtlinie zur Zitierung elektronischer Dokumente. Nach der ISO-Norm 690-2[20] ist die vollständigeURL anzugeben. Abs. 53
Internetadressen ändern sich leider hin und wieder. Das ist nicht im Sinne des Erfinders, der 1998 postulierte: "Cool URLs don't change."[21]Hinzu kommt, dass die URLs heutiger Internetportale häufig recht kryptisch daherkommen und beispielsweise so aussehen: Abs. 54
http://www.juris.de/jportal/portal/t/1a2g/page/jurisw.psml?doc.hl=1&doc.id=BJLU094249840%3Ajuris-lit02&showdoccase=1&documentnumber=4&numberofresults=4&doc.part=S&doc.price=0.0¶mfromHL=true#focuspoint Abs. 55
http://beck-online.beck.de/Default.aspx?details=off&words=NJW+1998%2C+2801&;btsearch.x=0&btsearch.y=0&chkdoktyp=on&chkrestrict=on&txtkontext=Y-300-Z-JuS-B-2008-H-05-Name-Inhaltsverzeichnis&docid=17567194&vpath=bibdata%5Czeits%5CJUS%5C2008%5Ccont%5CJuS.2008.H05.htm Abs. 56
Man behilft sich damit, dass man angibt, wonach der Leser in dem jeweiligen Portal recherchieren muss, um zu dem betreffenden Dokument zu gelangen. Abs. 57
Findet man ein bestimmtes Dokument nicht mehr, liegt dies nicht immer an einer geänderten Internetadresse. Manchmal nehmen Anbieter Inhalte auch ganz vom Netz. Bei den großen juristischen Portalen wird das nicht oder nur selten passieren. Gerade bei kleinen Anbietern kann das aber aus unterschiedlichen Gründen vorkommen, z.B. wegen geänderter Interessenlage, Geschäftsaufgabe oder unbeabsichtigtem Datenverlust infolge mangelhafter Backup-Strategie. Insofern bietet der in einer Festschrift publizierte Beitrag, der von verschiedenen unabhängigen Bibliotheken archiviert wird, eine weitaus höhere Dauerhaftigkeit als der auf einer Homepage veröffentlichte Text. Abs. 58
Aber selbst wenn ich das zitierte Online-Dokument finde, bleibt die Unsicherheit, ob es seit dem Abruf durch den Zitierenden nicht bereits wieder geändert wurde. Man vertraut in der Regel darauf, dass der Anbieter, der üblicherweise auch per "Impressum" identifizierbar ist, keine willkürlichen Änderungen an dem Online-Text vornehmen wird. Seriöse juristische Portale werden die Erwartung in die Stabilität ihrer Inhalte in aller Regel auch nicht enttäuschen. Man empfindet aber insgesamt einmal ins Netz gestellte Texte eher als statisch. Und so verzichten dieselben Leute, die bei Bücherzitaten akribisch die Auflage und das Erscheinungsjahr vermerken, bei Internetzitaten darauf, den Zeitpunkt des Abrufs der Information anzugeben. Abs. 59

VI. Wikipedia zitieren, aber richtig

Diese "gefühlte Stabilität" empfinden surfende Richter offenbar selbst bei einer sich so dynamisch entwickelnden Website wie der Wikipedia und zitieren eine Seite wie den o.g Artikel "Arabische Sprachen", als wäre er in Stein gemeißelt. Dabei hat dieser Text in den sechs Jahren seines Bestehens bereits 750 Änderungen erfahren. Die "Mitmach-Enzyklopädie" ist gerade deshalb so beliebt, weil es sich um ein offenes System handelt, bei dem jedermann eingeladen ist, die vorhandenen Inhalte zu ergänzen oder zu verändern. Entsprechend oft werden die Texte in einem gut gehenden Wiki — und Wikipedia ist mit Abstand das bestfrequentierte Wiki weltweit — geändert. Abs. 60
Daraus den Schluss zu ziehen, Wikipedia sei eben nicht zitierfähig, wäre voreilig. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich ein Wiki nämlich als stabiler als die meisten anderen Websites. Das Geheimnis liegt in der Versionierung: Jede Änderung auf einer Seite erzeugt eine neue Version der Seite, alle alten Versionen bleiben erhalten. So lässt sich heute noch der Artikel "Arabische Sprachen" in der Version vom 27.01.2004, 15:42 Uhr abrufen, die mutmaßlich Grundlage für die eingangs genannte Entscheidung des VG Göttingen war. Um das genau zu wissen, hätten die Richter allerdings den Zeitpunkt des Abrufs der Seite angeben müssen, am besten mit Datum und Uhrzeit. Die alten Versionen sind über die Versionshistorie (Reiter "Versionen/Autoren") zu erreichen. Hätten die Richter den sog. "Permanentlink" angegeben, ließe sich die historische Version leicht aufrufen, ohne erst in der Versionshistorie stöbern zu müssen. Der Permanentlink ist zu erreichen über den entsprechend bezeichneten Link in der linken Randspalte ("Werkzeuge"). Während die Adresse Abs. 61
http://de.wikipedia.org/wiki/Arabische_Sprache Abs. 62
auf die jeweils aktuelle Version der Seite verweist, geht der Permanentlink auf die immer gleiche historische Version. Abs. 63
http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Arabische_Sprache&oldid=565301 Abs. 64
Eine Meldung am oberen Seitenrand weist darauf hin, dass es sich um eine historische Fassung handelt: Abs. 65
Abs. 66
Ganz ungenau ist es jedenfalls, "www.wikipedia.de" als Quelle anzugeben. Dabei handelt es sich nur um eine Weiterleitung auf de.wikipedia.org, deren Verfügbarkeit nicht immer gewährleistet ist.[22]Abs. 67
Statt nun das Datum des Abrufs der Seite kann ich bei Wikipedia präzise den Zeitpunkt der letzten Änderung des von mir gesichteten Standes angeben, und zwar mit Datum und Uhrzeit und dazu den entsprechenden Permanentlink angeben. Dass diese Links tatsächlich dauerhaft verfügbar bleiben, kann im Hinblick auf die hinter dem Lexikon stehende Wikimedia Foundation als sicher gelten. Abs. 68
Jede Änderung im Wiki ist vollkommen transparent. Mit einem Klick auf den Link "(Unterschied)" rechts von "Aktuelle Version" in der o.g. Meldung wird tabellarisch aufgelistet, was auf der Seite gelöscht und was hinzugefügt wurde. Noch detaillierter wird das über die Versionshistorie angezeigt (Reiter "Versionen/Autoren"). Abs. 69
Wie schafft es Wikipedia, im Vergleich mit herkömmlichen Lexika zu bestehen? Ein Heer von Freiwilligen sorgt dafür, dass ständig Verbesserungen einfließen und Verschlechterungen rückgängig gemacht werden. Aber wer Wikipedia nutzt, sollte dies nicht unkritisch tun. Ruft man eine Seite auf, sollte ein Blick in die Versionshistorie zur Routine gehören. Was wurde zuletzt geändert? Gibt es Anzeichen für Vandalismus? Indem man sich an der Qualitätskontrolle beteiligt, schützt man sich selbst vor Manipulationen und wird Teil der Gemeinschaft. Diese Art der Beteiligung ist der Preis für die Nutzung des kostenlos zur Verfügung stehenden Wissensspeichers. Zur Zeit laufen Versuche mit "stabilen Versionen", die den Kontrollaufwand für den einzelnen weiter minimieren sollen.[23]Abs. 70
Bleibt die Frage, wen man eigentlich zitiert, wenn man Wikipedia zitiert. Zwar lässt sich die Entstehungsgeschichte jedes Artikels genau nachvollziehen. Die meisten Wikipedia-Autoren arbeiten aber unter Pseudonym, und so erscheinen in der Versionshistorie fast nur Spitznamen, die sich nur selten realen Personen zuordnen lassen. Hinzu kommen die anonymen Beiträge, bei denen bloß noch die IP-Adresse des verwendeten Rechners bekannt ist. Wer also sind die Urheber, auf die ich mich mit meinem Zitat berufe? Die Antwort lautet schlicht: Urheber ist die Gemeinschaft der Wikipedia-Autoren, die Wikipedia-Community. Für einen Richter, der sein Urteil "im Namen des Volkes" spricht, nicht die schlechteste Referenz. Abs. 71

VII. Ergebnis

Die Untersuchung zeigt, dass Richter seit Jahren Wikipedia als Hilfsmittel für ihre Entscheidungen einsetzen, Tendenz steigend. Dies ist auch völlig legitim. Nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Offenheit ist Wikipedia eine zuverlässige Quelle für die unterschiedlichsten Fragestellungen. Allerdings ist vor Übernahme eines Zitats stets ein Blick auf die Versionsgeschichte des betreffenden Artikels zu werfen. Die Zitierung sollte nach folgendem Muster unter Verwendung des Permanentlinks vorgenommen werden: Abs. 72
Wikipedia, Stichwort "Gerhard Käfer", Version vom 17.04.07, 13:16 Uhr, abrufbar unter http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Gerhard_Käfer&oldid=30628348 JurPC Web-Dok.
140/2009,   Abs. 73




F u ß n o t e n

[1]    Möglich ist das beispielsweise mit Netvibes, abrufbar unter http://www.netvibes.com (23.05.2008), vgl. Meister, Une page d'accueil personnalisable : l'exemple de Netvibes, LAWgical vom 23.11.06, abrufbar unter http://lawgical.jura.uni-sb.de/index.php?/entry/138-Une-page-daccueil-personnalisable-lexemple-de-Netvibes.html(26.05.07).
[2]    Wikipedia, Größenvergleich, Version vom 20.05.2008, 19:39 Uhr, abrufbar unter http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Wikipedia:Größenvergleich&oldid=46287476.
[3]    stern-Test, Wikipedia schlägt Brockhaus, vom 05.12.2007, abrufbar unter  http://www.stern.de/computer-technik/internet/604423.html (24.05.2008); Giles, Special Report Internet encyclopaedias go head to head, nature 438, 900-901, 15.12.2006, kostenpflichtig abrufbar unter http://www.nature.com/nature/journal/v438/n7070/full/438900a.html (24.05.2008); Vergleich der Wikipedia mit dem Brockhaus, Version vom 05.04.2007, 22:44 Uhr, abrufbar unter http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Wikipedia:Wikipedistik/Vergleiche/Brockhaus&oldid=30155894.
[4]    Az. 2 A 2145/02.
[5]    Wikipedia als Quelle für Gerichte, Version vom 23.05.2008, 17:46 Uhr, abrufbar unter http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Wikipedia:Wikipedia_als_Quelle_für_Gerichte&oldid=46403119.
[6]    Stand 24.05.2008.
[7]    Wikipedia as a court source, Version vom 21.04.2008, 18:28 Uhr, abrufbar unter http://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Wikipedia:Wikipedia_as_a_court_source&aoldid=207171360.
[8]    Stand 23.05.2008.
[9]    Urt. v. 19.04.2008 - 7 O 3950/07 - abrufbar unter http://www.jurpc.de/rechtspr/20070069.htm#0004 (24.05.2008).
[10] Urteil vom 03.03.2006 - 3 Ca 1722/05 - JurPC Web-Dok. 65/2006, Abs. 20, abrufbar unter http://www.jurpc.de/rechtspr/20060065.htm#0020 (24.05.2008).
[11] Urteil vom 22.08.2006 - 3 A 38/05 - abrufbar unter http://www.jurpc.de/rechtspr/20060110.htm#0019 (24.05.2008).
[12] Beschl. v. 23.11.2005 - S 35 AS 343/05 ER - juris Rdnr. 19.
[13] Beschl. v. 27.03.2008 - 2 M 44/08 - juris Rdnr. 9.
[14] Beschl. v. 20.03.2008 - 2 S 116.07 - juris Rdnr. 7.
[15] Beschl. v.  05.11.2007 - XI B 64/07 - juris Rdnr. 7.
[16] Urt. v. 06.02.2008 - A 11 K 503/07 - juris Rdnr. 24.
[17] Beschl. v. 13.02.2008 - 29 W (pat) 62/04 - juris Rdnr. 50.
[18] Urt. v. 03.03.2006 - 3 Ca 1722/05 - JurPC Web-Dok. 65/2006, Abs. 20, abrufbar unter http://www.jurpc.de/rechtspr/20060065.htm#0020(24.05.2008).
[19] Emde, Textverarbeitung und Informationsbeschaffung durch Computer — eine Hilfe in der Examenshausarbeit? JuS 1992, 536.
[20] Excerpts from International Standard, ISO 690-2, Information and documentation -- Bibliographic references -- Part 2: Electronic documents or parts thereof, abrufbar unter http://www.collectionscanada.gc.ca/iso/tc46sc9/standard/690-2e.htm(23.05.2008).
[21] Berners-Lee, Cool URIs don't change, abrufbar seit 1998 unter http://www.w3.org/Provider/ Style/URI (23.05.2008).
[22] Vgl. Zosel, Übernahme von wikipedia.de?, LAWgical vom 06.11.2003, abrufbar unter http://lawgical.jura.uni-sb.de/archives/000132.html(26.05.2008); Speiser, Einstweilige Verfügung gegen Wikipedia online, LAWgical vom 21.01.2006, abrufbar unter http://lawgical.jura.uni-sb.de/archives/000956.html (26.05.2008).
[23] Wikipedia, Gesichtete und geprüfte Versionen, Version vom 26.05.2008, 16:44 Uhr, abrufbar unter http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Hilfe:Gesichtete_und_geprüfte_Versionen&oldid=46520574.
Anmerkung der Redaktion:
Der vorliegende Beitrag wurde in der Festschrift für Dr. Gerhard Käfer erstveröffentlicht, vgl. http://www.juris.de/jportal/navigation/Unternehmen/Presse/Pressemitteilungen/Archiv+2009/Festschrift.jsp.
* Ass. iur. Ralf Zosel ist beim Verlag C.H. Beck als Community Manager verantwortlich für das beck-blog (http://blog.beck.de) und die beck-community (http://community.beck.de). Er ist Gründer des JuraWiki (http://www.jurawiki.de), Mitbegründer des LAWgical (http://lawgical.jura.uni-sb.de), Mitglied der Redaktion des Juristischen Internetprojekts Saarbrücken (http://jura.uni-saarland.de) und engagiert sich für freie juristische Internetprojekte (vgl. http://fjip.de).
[ online seit: 07.07.2009 ]
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