Günter Reiner *Juristische Didaktik und E-Lernen: |
I n h a l t s ü b e r s i c h t | ||||||||
A. | Einleitung | |||||||
B. | Didaktische Möglichkeiten des E-Lernens | |||||||
C. | Anforderungen an die juristische Didaktik | |||||||
I. | Vermittlung juristischer Kenntnisse | |||||||
II. | Vermittlung juristischer Handlungskompetenz | |||||||
1. | Analyse | |||||||
2. | Logische Gedankenführung | |||||||
3. | Bewertung | |||||||
4. | Juristische Kommunikation | |||||||
D. | Folgerungen für das juristische E-Lernen | |||||||
I. | Vermittlung juristischer Kenntnisse | |||||||
II. | Vermittlung juristischer Handlungskompetenz | |||||||
1. | Analyse | |||||||
2. | Logische Gedankenführung | |||||||
3. | Bewertung | |||||||
4. | Juristische Kommunikation | |||||||
E. | Realisierungsbeispiele aus dem eigenen Angebot des Verfassers | |||||||
I. | Vermittlung juristischer Handlungskompetenzen | |||||||
1. | Methodisch orientiertes Falltraining | |||||||
2. | Praktisch orientiertes Klausurtraining | |||||||
II. | Vermittlung juristischer Kenntnisse | |||||||
1. | Interaktives Baumdiagramm | |||||||
2. | Multiple-Choice-Tests | |||||||
Z. | Zusammenfassung und Ausblick |
A. Einleitung |
Eine kürzlich durchgeführte praktische Recherche des Verfassers über (frei verfügbare) juristische Lernangebote im deutschsprachigen Internet ergab, dass es zwar eine große Fülle an Lernmaterialien für Studierende des Rechts gibt, echte, speziell für den Computer aufbereitete Lernkurse mit nennenswerten interaktiven Elementen aber immer noch selten sind. Teilweise sind sie zwar technisch und optisch durchaus anspruchsvoll gemacht, in der Regel liegt aber die "Stoffvermittlung" im Vordergrund. Vom didaktischen Konzept her gehen sie dabei kaum über das hinaus, was auch mit herkömmlichen Medien (z.B. Büchern, Skripten) möglich wäre.(1) Eine anerkennenswerte, auf die Vermittlung von juristischen Handlungskompetenzen (Tätigkeit als Strafverteidiger) gerichtete Ausnahme mit beachtlichen interaktiven Elementen stellt der "Virtuelle Mootcourt" von Stephan Barton dar (hierzu noch unten D.II.2.).(2) Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang auch die in einem juristischen Fachverlag auf CD-ROM erschienenen (kostenpflichtigen) "Normfall Trainer" mit ihren schematisierten Falllösungen, die im Vergleich zum "Virtuellen Mootcourt" aber deutlich weniger interaktiv sind. Insgesamt belegen die Beobachtungen sowie die eigenen Erfahrungen des Verfassers beim Erstellen von Angeboten(3) aber die Schwierigkeiten des juristischen E-Lernens. | JurPC Web-Dok. 160/2007, Abs. 1 |
Der theoretische Zusammenhang zwischen juristischer Didaktik und E-Lernen ist bislang weitgehend unerforscht. Es gibt zwar vereinzelte Veröffentlichungen zu diesem Themenbereich (siehe Literaturliste); diese beschränken sich aber weitgehend darauf, den Status quo der bestehenden Angebote zu beschreiben, ohne dass ein Bestreben nach Systembildung und Abstraktion, insbesondere im Hinblick auf das theoretisch Mögliche, erkennbar wäre. Ein entsprechender Versuch, den Möglichkeiten und Grenzen des juristischen E-Lernens näher zu kommen, soll im Folgenden unternommen werden. | Abs. 2 |
Die nachfolgenden Ausführungen gliedern sich in vier Abschnitte, eine kurze Beschreibung der didaktischen Möglichkeiten des E-Lernens (B.), Überlegungen zu den besonderen Anforderungen an die juristische Didaktik (C.), den Versuch einer ersten Synthese im Abschnitt "Folgerungen für das juristische E-Lernen" (D.) sowie eine Betrachtung praktischer Realisierungsbeispiele aus dem eigenen Angebot des Verfassers (E.). | Abs. 3 |
B. Didaktische Möglichkeiten des E-Lernens |
E-Lernen im Sinne der nachfolgenden Überlegungen ist rechnerunterstütztes Lehren (enger als "rechnerunterstütztes Lernen") durch rechnerbasierte Lernkurse.(4) So verstanden müsste man anstelle von E-Lernen eigentlich besser von "E-Lehre" sprechen, würde dieser Ausdrucküblicherweise nicht mit "Elektrizitätslehre" assoziiert. Maßstab der nachfolgenden Betrachtung ist ein Vergleich des E-Lernens mit herkömmlichen Lernmedien (Skripte, Folien, Bücher). Es geht nicht darum, bisherige Präsenzlehre - immerhin zumindest in Kleingruppen der Idealfall interaktiven Lehrens/Lernens - durch den Computer zu ersetzen, sondern sie bestmöglich zu ergänzen. Rationalisierungs- und Kostenaspekte bleiben außer Betracht. | Abs. 4 |
Die besonderen didaktischen Möglichkeiten des E-Lernens ergeben sich aus den Stärken des Computers im Vergleich zu anderen Medien. Ganz allgemein betrachtet liegen sie in der automatisierten Verarbeitung von Eingabedaten und der Ausgabe der Ergebnisse dieses Prozesses an Peripheriegeräte (Bildschirm, Drucker etc.), die ihrerseits die Verbindung mit dem Ziel des Lernprozesses, dem Gehirn des Lernenden, herstellen. Zwar sind auch Druckerzeugnisse als Prototyp herkömmlicher Medien heutzutage immer Ergebnis eines Datenverarbeitungsprozesses. Im Unterschied zur Lektüre eines Buches oder einer Zeitschrift ist der Lernende beim E-Lernen aber in direktem Kontakt mit dem Computer, so dass er von der Variabilität seiner Ausgabedaten unmittelbar profitieren kann. Anders als das Buch ist der Computer in der Lage, Informationen, insbesondere Lerninhalte spontan in Abhängigkeit von den Eingaben des Nutzers(5) zu erzeugen bzw. anzupassen. Dies ist eine Grundvoraussetzung von Interaktivität. Mit Interaktivität ist hier gemeint, dass der Lernende entsprechend seinem Lernfortschritt Eingaben in den Computer vornimmt und der Computer daraufhin dem Nutzer eine individualisierte Rückkopplung erteilt, die ihn über seinen Lernerfolg informiert oder aus der er zumindest Rückschlüsse auf seinen Lernerfolg ziehen kann (Lernkontrolle). Eine institutionalisierte Form dieser Lernkontrolle ist der Lerntest(6) mit einer Vielzahl individueller oder zumindest individualisierter, ggf. unter Zuhilfenahme eines Zufallsgenerators erzeugter Aufgaben am Ende einer Lerneinheit. Lässt sich ein solcher Test elektronisch bewerten, eröffnet sich zudem die Möglichkeit teil- oder gar vollautomatisierten Prüfens. Die Interaktivität des Computers setzt freilich voraus, dass das entsprechende Expertenwissen zuvor in die Software Eingang gefunden hat. | Abs. 5 |
Neben dem Gesichtspunkt der Interaktivität zeichnet sich der Computer als Lernmedium dadurch aus, dass die Ausgabedaten in unterschiedlichster Form präsentiert werden können. So entstehen akustische und optische Reize (z.B. gesprochene Texte, Musik, sonstige Töne; "Java"- oder "Flash"-Animationen; Filme), die über die Möglichkeiten bedruckter Medien weit hinaus gehen. Dies erweitert das Spektrum der vermittelbaren Wissensinhalte, man denke nur an Lehr-Filme zur Vermittlung non-verbaler Kenntnisse etwa in Vernehmungspsychologie oder Gesprächs- und Verhandlungsführung. Gleichzeitig entstehen zusätzliche Kanäle der Wissensvermittlung, was die Motivation und die Wissensspeicherung im Gedächtnis fördert (z.B. Video-Aufzeichnungen von Lehrveranstaltungen oder "Podcasts" zu Wiederholungszwecken). | Abs. 6 |
Ein weiterer Vorteil elektronischen Lernens besteht in der Vernetzbarkeit des Wissens durch interne und externe Verweisungen ("Links") auf weiterführende Informationen oder Kurse. Solche Verweisungen sind zwar auch in gedruckten Medien möglich, der Computer-Nutzer kann ihnen aber besonders einfach und daher mit größerem Anreiz nachgehen. Mit Hilfe der Vernetzung lassen sich Lerninhalte ferner auf die jeweiligen Vorkenntnisse des Nutzers ausrichten, indem bestimmte Themen aus dem eigentlichen Kurs herausgenommen und dem Nutzer nur optional über eine Verweisung zur Verfügung gestellt werden, die er bei fehlendem Bedarf ignoriert. | Abs. 7 |
Die dem computergestützten Lernen ebenfalls nachgesagte Flexibilität hinsichtlich von Ort und Zeit ist demgegenüber bei gedruckten Lernmedien mindestens in gleicher Weise vorhanden und stellt keinen Vorteil des E-Lernens dar. Auf die in Zusammenhang mit dem E-Lernen immer wieder genannten Nachteile (Verzicht auf Arbeitsplätze für Lehrer, Notwendigkeit technischen Wissens zur Realisierung, soziale Isolierung der Lernenden etc.) braucht nicht eingegangen zu werden, weil nach der vorliegenden Konzeption das E-Lernen die Präsenzlehre nicht ersetzen, sondern ergänzen soll. | Abs. 8 |
C. Anforderungen an die juristische Didaktik |
Die Anforderungen an die juristische Didaktik definieren sich aus dem Lernziel. Dieses besteht letztlich darin, den Studierenden zu befähigen, das Recht (bzw. Teilgebiete davon) "mit Verständnis zu erfassen und anzuwenden". So jedenfalls definieren es die Juristenausbildungsprüfungsordnungen der Bundesländer für die Erste Juristische Staatsprüfung.(7) Auf juristische Studieninhalte in fachfremden, z.B. wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen, lässt sich dieser Gedanke ohne weiteres übertragen. | Abs. 9 |
Das Erreichen des genannten Lernziels setzt den Erwerb verschiedener Arten von Wissen voraus. Pädagogen und Psychologen unterscheiden zwischen deklarativem und prozeduralem Wissen. Neben beiden werden teilweise noch andere Kategorien genannt (z.B. das "kontextuelle Wissen" oder nach anderen Ansätzen das "strategische Wissen" und das "Metawissen"). Ohne auf die unterschiedlichen psychologischen Ansätze eingehen zu wollen, unterscheidet der Verfasser aus seiner eigenen Erfahrung im juristischen Lernen und Lehren heraus nachfolgend zwischen der Vermittlung juristischer Kenntnisse und juristischer Handlungskompetenz. Die Bezeichnung "Kenntnisse" meint dabei alle Informationen (Fakten, aber auch Handlungsanweisungen) mit juristischem Bezug, die ihrer Art nach letztlich auswendig gelernt und wiedergegeben werden können. Das setzt sog. "bewusstes Wissen" voraus. Mit juristischer "Handlungskompetenz" wird nachfolgend die Fähigkeit des Studierenden bezeichnet, seine juristischen Kenntnisse über die bloße Wiedergabe hinaus im Rahmen von eigenen Gedankengängen anzuwenden. Insbesondere sollte er dazu in der Lage sein, eine (abstrakte) Gesetzesvorschrift auf einen konkreten Fall zu übertragen, ohne dass ihm das konkrete Ergebnis im Rahmen seiner gelernten Rechtskenntnisse bereits bekannt wäre. Auch die juristische Handlungskompetenz lässt sich psychologisch als Ergebnis einer bestimmten Art von Wissen begreifen. Voraussetzung für dessen Erwerb ist ein Grundbestand an abfragbaren juristischen Kenntnissen, wobei Detailwissen dabei von geringerer Bedeutung ist als systematisches Wissen. Hinzu kommt aber unspezifisches oder gar sog. "unbewusstes Wissen" und Intuition, was häufig erst durch Ausprobieren und Übung erworben wird. | Abs. 10 |
I. Vermittlung juristischer Kenntnisse |
Juristische Kenntnisse beziehen sich in erster Linie auf juristische Fakten und handlungsorientiertes Wissen. Juristische Fakten sind vor allem Informationen über das geltende Recht im weitesten Sinn. Da die Studierenden in den juristischen Prüfungen die Gesetzestexte (mestens in unkommentierter Form) verwenden dürfen, brauchen sie sich klausurrelevante juristische Fakten nur einzuprägen, soweit diese nicht unmittelbar abgelesen oder ohne großen Zeitverlust aus dem Gesetzestext (oder, wenn Kommentare erlaubt sind, aus den Kommentaren) abgeleitet werden können. Gelernt werden sollten demnach ggf. ein Grobüberblick über den Inhalt und Aufbau der einschlägigen Gesetze, außerdem Informationen über die Zwecke des Gesetzes und die Interessen der von seinen Regelungen betroffenen Personen, am besten auch wichtige Auslegungsprobleme einschließlich hierzu vertretener Lösungsansätze, um ein "Gespür" für das betreffende Rechtsgebiet zu erlangen. Das handlungsorientierte Wissen erfasst Kenntnisse über die anerkannten Auslegungsmethoden und Methoden der Rechtsfortbildung, ferner über zulässige Argumentationsmuster (z.B. Erst-Recht-Schluss; Umkehrschluss), über übliche juristische Differenzierungsmuster (z.B. formell/materiell; unmittelbar/mittelbar; subjektiv/objektiv; Vorsatz/Fahrlässigkeit; Rechtswidrigkeit/Verschulden etc.) und ggf. auch über den richtigen Aufbau der Gedankenkette bei der Prüfung einer juristischen Frage, vor allem also die "Technik der Fallbearbeitung".(8) | Abs. 11 |
II. Vermittlung juristischer Handlungskompetenz |
Die Vermittlung juristischer Handlungskompetenz liegt im Zentrum des Lernziels der juristischen Ausbildung. Dies gilt nicht nur für angehende Juristen, sondern auch für Studierende nicht-juristischer Studiengänge, denn ein Großteil der juristischen Fähigkeiten ist außerhalb der Gesetzesanwendung ebenfalls überaus gewinnbringend (nicht zuletzt im Rahmen der sog. "Allgemeinen berufsqualifizierenden Kompetenzen" i.S. des "Bologna"-Jargons). Die nachfolgend genannten Fähigkeiten bzw. Eigenschaften sind zwar auch in anderen Wissenschaften gefragt und insofern keine Besonderheit der juristischen Ausbildung. Charakterisierend für die juristische Denkweise dürfte aber die spezielle Kombination dieser Anforderungen sein, denn sie hat ihre Schwerpunkte gleichermaßen im logisch-deduktiven und im wertend-induktiven Bereich. Einteilen könnte man die Charakteristika der juristischen Denkweise in vier Kategorien, die sich in der praktischen Rechtsanwendung häufig überschneiden: 1. die Fähigkeit zur Analyse tatsächlicher und rechtlicher Umstände, 2. die Fähigkeit zum Aufbau einer logischen (oder - angesichts unsicherer Prämissen - zumindest scheinlogischen) Gedankenkette bei der Gesetzesanwendung, 3. die Fähigkeit zur Bewertung und zum Ausgleich widerstreitender Interessen und 4. damit zusammenhängend die Fähigkeit zur juristischen Kommunikation. | Abs. 12 |
1. Analyse |
Nicht umsonst sind Juristen als "Erbsenzähler" bekannt. Positiv gewendet zeichnen sich Juristen durch ihre Genauigkeit und Präzision aus. Mit ihren Lösungsvorschlägen überzeugen sie nur dann, wenn sie genau lesen, zuhören, formulieren und denken; ferner müssen sie in der Lage sein, Unschärfen oder logische Fehler in der Gedankenführung anderer zu erkennen. Ein wichtiger Teil der Arbeit von Juristen besteht darin, Dinge (Fakten, Rechtstatsachen) miteinander zu vergleichen, voneinander abzugrenzen und zu ordnen. Dass ihre Differenzierungen bisweilen für Laien merkwürdig anmuten, ist der Preis dieser Genauigkeit. Ordnen bedeutet Kategorien bilden, Begriffe zueinander in Bezug setzen und sie anhand abstrakt-genereller Merkmale, ausgehend von konkreten Beispielen zu definieren. So ist es auch die Abstraktion, die einen wesentlichen Teil des juristischen Denkens ausmacht. Damit hängt die Fähigkeit zusammen, Wichtiges/Relevantes von Unwichtigem/Irrelevantem zu unterscheiden und auf diese Weise zu entscheiden, welche Sachverhalte (Realitätsausschnitte) in Bezug auf die relevanten Kriterien und eine bestimmte Rechtsfrage gleich zu behandeln sind. Die Rechtstechnik der Analogie, die in Betracht kommt, wenn (in Bezug auf die relevanten Kriterien) gleiche Sachverhalte vom Wortlaut der betroffenen Vorschrift nicht in gleicher Weise erfasst werden, ist dafür ein Anwendungsfall von vielen. In entsprechender Weise kann sich die Frage der Vergleichbarkeit auch bei rechtlichen Fakten (z.B. Wirkungen der Anfechtung einerseits und des verbraucherschützenden Widerrufs andererseits) stellen. | Abs. 13 |
Die Fähigkeit, Dinge zu definieren, ist regelmäßig dann gefragt, wenn sich bei der Anwendung einer Vorschrift aus dem relevanten sprachlichen Vorverständnis allein heraus nicht eindeutig sagen lässt, ob ein konkreter Sachverhalt von einem bestimmten Tatbestandsmerkmal erfasst wird oder nicht. Mit Hilfe einer selbst entwickelten, wenn auch nicht durch allgemeinen Konsens abgesicherten Definition lässt sich dann das gewünschte Ergebnis als Folge eines zumindest formal (um nicht zu sagen: scheinbar) logischen Schlusses darstellen. Die Frage zum Beispiel, ob eine Gesellschaft mit einem deutlich positiven Nettovermögen zahlungsunfähig im Sinne des § 17 InsO ist, wenn sie im Augenblick illiquide ist, aber in zwei Monaten wieder zu flüssigen Mitteln kommt, lässt sich aus dem Begriff der "Zahlungsunfähigkeit" selbst nicht beantworten. Nimmt man dagegen eine Definition zu Hilfe, nach der von Zahlungsunfähigkeit immer dann auszugehen ist, wenn der Schuldner seine fälligen Verpflichtungen nicht erfüllen kann und keine unbeachtliche bloße "Zahlungsstockung" vorliegt,(9) die nicht länger als drei Wochen dauern darf, lässt sich die gestellte Frage formal zwingend beantworten.(10) | Abs. 14 |
Ebenfalls in die Kategorie der Analyse realer Sachverhalte fällt die Fähigkeit, Interessen und - als Maßstab für die Beurteilung ihrer Schutzwürdigkeit - Verhaltensoptionen zu erkennen. Jeder rechtlichen Regelung liegt eine Abwägung der Interessen der von ihr betroffenen Personen seitens des Regelungsgebers zugrunde, die es zu erkennen und zu verstehen gilt. Nur dann ist sichergestellt, dass die Regelung nicht stur nach dem Wortlaut, sondern sinnvoll, "mit Verständnis" (siehe oben C., vor I.), angewendet wird. Besonders schwierig ist die sinnvolle Interessen- und - damit verbunden - Risikozuordnung in Mehrpersonenverhältnissen. Dass jemand (z.B. der Hersteller eines defekten Zuliefererteils) einen von ihr verursachten Schaden (z.B. Produktionsausfall) tragen sollte, braucht nicht immer zu bedeuten, dass diese Person den Ausgleich auch direkt an diejenige Person zu leisten hat, die den Schaden erlitten hat (im Bsp. den Endkunden, der das Produkt vom Händler gekauft hat). Eine wichtige juristische Fähigkeit besteht somit darin, in komplexen Sachverhalten bzw. Regelungssystemen diejenigen juristischen "Stellschrauben" auszumachen, die die gestellte Frage im konkreten Fall am besten lösen (im Bsp.: Innenausgleich in den jeweiligen Vertragsverhältnissen). Die Qualität der Lösung bemisst sich dabei nicht nur nach dem Ergebnis im konkreten Fall, sondern auch und gerade danach, ob gewählte Lösungsverfahren auch bei abgewandelten Fallkonstellationen zu haltbaren Ergebnissen führen. Die Aufgabe des Juristen besteht insofern darin, im Wege von "Gedankenexperimenten" Lösungswege im Hinblick auf ihre Eignung zur Verallgemeinerung zu testen. Dahinter steckt letztlich das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichheit und der Allgemeinheit freiheitsbegrenzender Gesetze. | Abs. 15 |
2. Logische Gedankenführung |
Die juristische Argumentation besteht im Wesentlichen im Nachweis, dass eine konkrete Falllösung Gebot eines gesetzlichen Befehls ist. Dies geschieht durch die Technik der Subsumtion, d.h. eines Vergleichs des konkreten Sachverhalts mit einer im Tatbestand (Voraussetzungsteil) des Gesetzes nach allgemeinen Kriterien beschriebenen unbestimmten Menge von Sachverhalten. Die Argumentation verläuft dabei im Wege des absteigenden Syllogismus nach dem Muster Obersatz - Untersatz - Schlusssatz, dessen korrekte Anwendung vielen Studierenden Schwierigkeiten bereitet. Noch größere Probleme haben sie, wenn es darum geht, u.U. durchaus vorhandene abstrakte Rechtskenntnisse zur Lösung eines konkreten Falles einzusetzen, und vor allem, dabei die Gedankenführung ausgehend von der gestellten Fallfrage oder - hierarchisch nachrangig - Vorfrage richtig aufzubauen und jeweils mit der richtigen Vorschrift, nämlich derjenigen zu beginnen, die ihrer Struktur nach geeignet ist, die gestellte (Vor-) Frage zu beantworten (Suche nach der "Antwortnorm"). | Abs. 16 |
3. Bewertung |
Die Fähigkeit des Juristen zur Gewichtung einmal erkannter (siehe oben 1.) widerstreitender Interessen, Ziele oder Aussagen ist ebenfalls von prägender Bedeutung für die Rechtsanwendung. So überrascht es nicht, dass z.B. das OLG Hamburg in seinem Anforderungsprofil für die Einstellung von Richtern und Staatsanwälten u.a. ein "Verständnis für soziale Belange, für gesellschaftliche und wirtschaftliche Zusammenhänge" sowie "die Fähigkeit, divergierende Interessen objektiv zu bewerten und auszugleichen" verlangt.(11) Wie schon oben (vor 1.) angedeutet, reicht die reine Logik zur Beantwortung juristischer Fragen allein in der Regel nicht aus. Vielmehr sind in den meisten Fällen nur Teile der juristischen Gedankenführung logisch zwingend. Dementsprechend sind dann nicht nur unterschiedliche Argumentationswege, sondern auch unterschiedliche Ergebnisse "vertretbar". Der Grund hierfür liegt in dem Umstand, dass Teile der Argumentation auf Wertungen und Abwägungsvorgängen beruhen. Beispielsweise können bei der Auslegung eines Tatbestandsmerkmals der Wortlaut für eine bestimmte Deutung, der Gesetzeszweck für eine andere und die Gesetzesmaterialien für noch eine andere Deutung sprechen. Dann sind die verschiedenen Argumente gegeneinander zu gewichten. Das Ergebnis der Abwägung leitet der Jurist gerne mit der kaum angreifbaren Formulierung "Die gewichtigeren Argumente sprechen für ..." ein. In anderen Fällen sind die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen, weil der Gesetzgeber diese Abwägung nicht selbst vorgenommen hat. So ist zum Beispiel nach wie vor umstritten, ob es für den Zugang mündlicher Willenserklärungen darauf ankommt, was der Erklärende tatsächlich gesagt hat (Erklärungstheorie) oder was der Erklärungsempfänger verstanden hat (Wahrnehmungstheorie). Nicht selten delegiert der Gesetzgeber die Aufgabe der rechtsschöpfenden Interessenabwägung auch bewusst an den Rechtsanwender im Rahmen von sog. normativen Tatbestandsmerkmalen (z.B. "Treu und Glaube", "ordentlicher Kaufmann", "Stand der Technik", "angemessene Frist", "unzumutbar"; "räumlich relevanter Markt"). Ggf. ist für den Abwägungsvorgang der Rückgriff auf externen Sachverstand (z.B. von Kaufleuten, Ingenieuren) erforderlich. Juristische "Bewertung" ist immer zugleich "Grenzziehung" in einem Terrain ohne eindeutige, logisch bereits vorgegebene Grenzen, die nur noch aufzudecken wären (z.B. zwischen noch angemessenen und nicht mehr angemessenen Fristen, zwischen für den Wettbewerb noch relevanten und nicht mehr relevantem Nachfragerverhalten etc.). Wertende Rechtsanwendung bedeutet daher, echte Entscheidungen in einem Entscheidungsraum mit mehreren denkbaren Möglichkeiten zu treffen und damit Verantwortung zu übernehmen. | Abs. 17 |
4. Juristische Kommunikation |
Entscheidend für die Rechtsfindung sind schließlich auch sozial-kommunikative Fähigkeiten. Rechtsfindung ist Diskurs. Eine tragfähig ("richtige") Lösung ist nur eine solche, die andere überzeugt und einen möglichst breiten Konsens herstellt.(12) In letzter Konsequenz geht es hier um die topischen und rhetorischen Facetten der Jurisprudenz.(13) Für den wertend-induktiven Bereich, wo jeder entsprechend seinem individuellen Vorverständnis zu einer anderen Einschätzung gelangen kann, ist das selbstverständlich. Selbst im formal logisch-deduktiven Bereich reicht es aber nicht aus, nach eigener Überzeugung "Recht" zu haben, denn Konsens setzt auf der Gegenseite nicht nur Vernunft, sondern auch die Bereitschaft zum Verstehen voraus. Diese wird am besten dadurch hergestellt, dass dem anderen der Eindruck vermittelt wird, seinerseits verstanden zu werden. Daher geht eine gute juristische Argumentation auch auf die Argumente der Gegenseite ein, selbst wenn diese unzutreffend sein sollten. In der Gerichtspraxis manifestiert sich diese Erkenntnis im Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG), das dem Richter nicht nur gebietet, das (rechtzeitige) Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen, und ihm Überraschungsentscheidungen verbietet (vgl. § 139 II ZPO), sondern das ihn auch dazu zwingt, in seiner Entscheidungsbegründung bei zentralen Fragen auch zu unzutreffenden Argumenten der Parteien Stellung zu beziehen.(14) | Abs. 18 |
D. Folgerungen für das juristische E-Lernen |
Nunmehr bleibt noch zu untersuchen, in welchen der oben (C.) genannten Bereiche juristischen Lernens/Lehrens die speziellen Anforderungen an die juristische Didaktik besonders mit den Möglichkeiten des E-Lernens (B.) konvergieren. | Abs. 19 |
I. Vermittlung juristischer Kenntnisse |
Recht besteht aus Sprache, und juristische Fakten sind schon von daher prädestiniert für eine Darstellung in Textform.(15) Aber auch handlungsorientiertes juristisches Wissen (z.B. über Auslegungsmethoden) lässt sich textlich gut vermitteln. Ein elektronisch auf einer Online-Plattform aufbereiteter Text ist dabei vom Ansatz her nicht schlechter zur Wissensvermittlung geeignet als ein gedrucktes Skript oder Buch, insbesondere, wenn sich der elektronische Text zusätzlich ausdrucken und ggf. mit Notizen versehen lässt. Hinzu kommen die oben genannten (II.) besonderen elektronischen Möglichkeiten in Bezug auf die äußere Gestaltung und Vernetzung ("Verlinkung") der Informationen. | Abs. 20 |
Ein vergleichsweise größerer Nutzenvorsprung des E-Lernens gegenüber herkömmlichen Medien ist bei der lernbegleitenden Wissenskontrolle auszumachen. Die Auswertung abgefragten Wissens lässt sich gut (elektronisch oder in anderer Weise) automatisieren, soweit es sich strukturell um geschlossene Fragen handelt (Bsp.: "Hat der BGH die Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft anerkannt: ja/nein ?"; "Mit welcher Frist hat der Vorstand einer AG die Hauptversammlung einzuberufen: zwei Wochen/drei Wochen/ein Monat ?"). Hierzu bieten sich insbesondere Multiple-Choice-Tests, An- bzw. Zuordnungs-Tests oder Lückentext-Aufgaben an. Speziell im Bereich der Kontrolle methodologischen Wissens könnte man den Nutzern z.B. vorgeben, bestimmte vorformulierte Begründungen zu einer gegebenen Rechtsfrage bestimmten Auslegungsmethoden zuzuordnen, wobei der Computer die Eingaben dann automatisch überprüft. | Abs. 21 |
Bei offenen Wissensfragen (ohne eine geschlossene Liste mit Antwortvorschlägen) gestaltet sich die Automatisierung wesentlich schwieriger. Die Automatisierung setzt hier voraus, dass der Kreis der möglichen (richtigen) Antworten im Vorhinein bekannt ist und daher in das Computerprogramm eingebaut werden kann. Rechtswissenschaftliche Wissensfragen, die diese Voraussetzung ohne weiteres erfüllen (z.B. "Welches Gericht entscheidet über die Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts Hamburg?"; "In welcher Vorschrift des AktG ist die sog. "business judgement rule" geregelt?"(16); "Wie viele Mitglieder hat eine Schwurgerichtskammer?"; "In welchem Band der amtlichen Entscheidungssammlung in Zivilsachen findet sich das "Hühnerpest"-Urteil des BGH(17)?"), sind aber eher unergiebig, da sie das Ausbildungsziel (siehe oben C., vor I.) nur am Rande berühren. | Abs. 22 |
Sobald die Fragen auf die Auslegung und Anwendung des Rechts zielen, entsteht aber ein Programmierproblem. Denn dann wird der Kreis der möglichen Antworten tendenziell unbestimmt, auch wenn man sich eigentlich noch im Bereich der juristischen Kenntnisse befindet. Möchte man nämlich dem Lernenden entsprechend dem Lernziel die Möglichkeit geben zu zeigen, dass er nicht nur stur auswendig gelernt oder aus dem Gesetzestext abgeschrieben hat (Fragebeispiel: "Wie nennt das HGB den Namen, unter dem der Kaufmann seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt?"), sondern das Gelernte auch verstanden hat (in vorstehendem Bsp.: die Unterscheidung zwischen "Firma" und Unternehmen), muss man ihm gestatten, die abgefragten Zusammenhänge mit eigenen Worten zu erklären. Dann sind selbst auf Fragen wie "Was versteht der BGH in seiner Entscheidung "Rote Taube"(18) unter einer Erfindung i.S. des § 1 PatentG?" nahezu unendlich viele Antworten möglich, wenn man nicht ein wörtliches Zitat verlangt (und gleichzeitig neue Rechtschreibung vorgibt). | Abs. 23 |
II. Vermittlung juristischer Handlungskompetenz |
Juristische Handlungskompetenz erwirbt man vor allem durch Ausprobieren, Erfahrung in der Rechtsanwendung und durch Lebenserfahrung.(19) Dies deutet schon auf die grundsätzliche Schwierigkeit, juristische Handlungskompetenz im zeitlich gedrängten Rahmen eines Jura-Studiums, geschweige denn eines fachfremden - mit oder ohne E-Lernen - zu vermitteln. Abstraktes handlungsorientiertes Wissen ist zwar in gewissem Umfang Voraussetzung juristischer Handlungskompetenz, reicht dafür aber nicht aus. Selbst für erfahrene Juristen hört hier das Lernen nie auf, wobei von den vorgenannten vier Facetten der juristischen Denkweise vor allem die "Bewertung" und die "juristische Kommunikation" erfahrungs- und altersabhängig sind. Didaktisch lässt sich Erfahrung bei der Anwendung von Wissen in bescheidendem Umfang immerhin dadurch generieren, dass der Lehrende dem Nutzer Aufgaben stellt, ihn beim Lösen unterstützt und die Lösungen anschließend kontrolliert (Erfolgskontrolle). Das bedeutet Interaktivität. | Abs. 24 |
1. Analyse |
Verhältnismäßig leicht kann man sich Rechnerunterstützung noch bei der Schulung bestimmter Teilfertigkeiten im Rahmen der Analysefähigkeit vorstellen. Genauigkeit beim Lesen, Schreiben und Denken lässt sich z.B. durch automatisch auswertbare Text- und Bildervergleiche trainieren, wobei die Inhalte nicht unbedingt immer juristischer Natur zu sein brauchen, sondern zu Zwecken der Auflockerung durchaus anderen Bereichen entnommen werden können (z.B. Vergleich zweier Bilder). Die Fähigkeit, Dinge zu ordnen und Kategorien zu bilden, lässt sich mit elektronischen Zuordnungstests - wenn auch nur auf bescheidenem Niveau - ebenfalls trainieren. So kann z.B. die Aufgabe gestellt werden, vorgegebene Prüfungsschritte in die richtige Reihenfolge zu bringen oder bestimmte Begriffe (z.B. "Loslösen vom Vertrag", "Anfechtung", "Rücktritt") nach Art eines Baumdiagramms hierarchisch zu ordnen. Die Fähigkeit, "Dinge", insbesondere Sachverhalte (Realitätsausschnitte), miteinander zu vergleichen (z.B. Beeinträchtigung des Eigentums i.S. des § 1004 BGB einerseits und Beeinträchtigung der Ehre andererseits), lässt sich ebenfalls nur auf einfachem Niveau elektronisch abfragen und überprüfen. Soll es dabei dem Nutzer überlassen bleiben, die für den Vergleich relevanten Kriterien herauszufinden (im Beispiel: Beeinträchtigung eines absoluten Rechts, in beiden Fällen gegeben), gerät die Automatisierung schon wegen der Vielzahl der Möglichkeiten, die richtige Lösung sprachlich zu formulieren, schnell an ihre Grenzen. Das betrifft auch Übungen zur Förderung des Abstraktionsvermögens, z.B. um ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal zu definieren, beruht doch die Abstraktion mehrerer Sachverhalte nach generellen Kriterien ebenfalls auf Vergleichen. | Abs. 25 |
Rein ergebnisorientierte Aufgaben mit Erfolgskontrolle sind demgegenüber zwar, wenn sie sich der Technik geschlossener Fragen bedienen, vergleichsweise leicht zu programmieren (z.B. "Lässt sich § 1004 BGB analog auf die Verletzung der Ehre anwenden?"). Ob sie dabei das tiefere Verständnis des Nutzers für die Materie fördern, bleibt aber weitgehend dem Zufall überlassen. Lindern lässt sich dieses Defizit dadurch, dass dem Nutzer nicht nur mitgeteilt wird, ob er die Frage richtig beantwortet hat, sondern auch, warum die betreffende Antwort richtig ist und/oder warum ausgewählte abweichende Antworten falsch sind. Dieses Verfahren bringt gegenüber einem herkömmlichen Übungsbuch mit Lösungsteil konzeptionell aber keinen didaktischen Mehrwert (wohl aber u.U. darstellungstechnisch) und eignet sich von vornherein nicht in den Bereichen, wo eine Vielzahl von Lösungen richtig bzw. (noch) vertretbar sind. | Abs. 26 |
Ein teilautomatisierter Mittelweg in Richtung auf eine rechnerunterstützte Betreuung des Übungsprozesses besteht darin, dem Nutzer - z.B. in einem sog. "Popup"-Fenster - eingabeabhängig (im einfachsten Fall über einen anzuklickenden "Hilfe"-Knopf) Tipps für das weitere Vorgehen zu geben, weiterführende Fragen zu stellen (z.B. "Sind Sie sicher, dass der Vertrag immer noch wirksam ist? Kennen Sie Möglichkeiten, um einen Vertrag nachträglich zu vernichten?") oder - bei richtigen Eingaben - durch eine positive Reaktion zu ermuntern (z.B. "hervorragend!"). Der "Virtuelle Mootcourt", die "Normfall Trainer" (oben A.), aber auch die eigenen Falllösungsmodule des Verfassers (unten E.I.) verfolgen dieses Konzept der schrittweisen, eingabeabhängigen Rückkoppelung. | Abs. 27 |
2. Logische Gedankenführung |
Im Mittelpunkt der logischen Gedankenführung zur Begründung einer rechtlichen Aussage liegt in erster Linie eine saubere Subsumtion (siehe oben C.II.2.). Nach derzeitigem Erkenntnisstand erscheint es wegen der Komplexität des Lösungsraums nahezu ausgeschlossen, selbst bei fester (also nicht selbst vom Computer generierter) und bewusst einfacher Aufgabenstellung die Qualität eines (im Idealfall) vollständigen selbstständigen Subsumtionsprozesses automatisiert zu überprüfen. Diesbezüglich gibt es nur dann eine Chance technischer Realisierung, wenn das System dem Bearbeiter ganz enge Vorgaben zur äußerlichen Gestaltung seiner Eingaben macht. Bis ins Einzelne geregelt werden muss dann nicht nur die Reihenfolge der einzelnen Prüfungspunkte, selbst wenn sie sachlogisch nicht vorgegeben ist (z.B. "Prüfen Sie die Tatbestandsmerkmale in der Reihenfolge, in der sie im Gesetzeswortlaut vorkommen!"), sondern auch die Wortwahl (z.B. "Beginnen Sie die Prüfung immer nach dem Muster "A könnte einen Anspruch aus § xyz haben") und sogar die Art, wie Paragrafen und Absätze zitiert werden (siehe oben Fn. 16#). Das ist unpraktikabel und verdirbt den Nutzern den Spaß am Umgang mit dem Computer. | Abs. 28 |
Alternativ wird die Lösung der gestellten Aufgabe (z.B. Beantwortung einer Rechtsfrage; Abgabe einer Verhaltensempfehlung unter Berücksichtigung der Rechtslage) in kleine Abschnitte zerlegt. Das System bietet dem Nutzer in jedem Abschnitt dann eine bestimmte Auswahl an möglichen Lösungsschritten (Gedankenschritten bzw. Verhaltensoptionen) zum Anklicken an, wobei jeweils nur eine Option aus der Musterlösung stammt und die anderen der (bewusst dosierten) Verwirrung dienen. Das entspricht dem Konzept von Multiple-Choice-Tests mit der Besonderheit, dass hier alle Einzelfragen in den Kontext einer Gesamtaufgabe gestellt sind und aufeinander aufbauen. Zur Unterstützung des Lernerfolgs kann dem Nutzer bei jeder (richtigen oder falschen) Antwort eine motivierende bzw. erklärende und weiterführende Rückkoppelung gegeben werden. Der "Virtuelle Mootcourt" (oben A.) entspricht dem vorgenannten Konzept in einer darstellerisch und technisch besonders ansprechenden Weise. Dort werden dem Nutzer in Textform und anhand von originalgetreu gestalteten Aktenauszügen Fälle aus dem Strafprozessrecht präsentiert. Diese Fälle muss er im Wege eines Rollenspiels (als Strafverteidiger) anhand einer ihm zur Verfügung stehenden, in verschiedene Rubriken eingeteilten (z.B. Fragen/Erklärungen; Anträge; Rechtsbehelfe; Realakte) Auswahl von Handlungsoptionen lösen. Das System begleitet jede Auswahl mit einer z.T. ausgiebigen bestätigenden oder ablehnenden Erläuterung, die der Computer allerdings nicht spontan erzeugt, sondern die im Voraus "von Hand" in das System eingegeben werden musste. Die Herstellung von Kursen dieser Art ist inhaltlich somit sehr aufwändig. Im Idealfall generiert der Computer diese Rückkoppelung situationsabhängig selbst, was nach derzeitigem Stand der Technik aber praktisch ausgeschlossen erscheint. | Abs. 29 |
3. Bewertung |
Die computerunterstützte interaktive Vermittlung der Fähigkeit zur juristischen Bewertung entzieht sich derzeit einer Automatisierung fast vollständig. Leicht programmierbare geschlossene Fragen zur Erfolgskontrolle sind von vornherein ungeeignet, soweit sie lediglich das Ergebnis der Abwägung erfragen, denn gerade bei dieser Handlungskompetenz ist "der Weg das Ziel", tritt also das Ergebnis gegenüber dem Prozess der Bewertung selbst in den Hintergrund. So ist z.B. die Antwort "ja" auf die Abwägungsfrage, ob eine Bank bei der Vermittlung einer Anlage dazu verpflichtet ist, den Kunden darauf hinzuweisen, dass sie den Emissionsprospekt nicht selbst geprüft hat,(20) ohne Offenlegung der dahinter stehenden Erwägungen wertlos. Wenn man also mit geschlossenen Fragen operiert, müssen sie sich auf den Abwägungsvorgang beziehen (z.B.: "Haben Sie sich bei Ihrer Abwägung gefragt, ob der Anleger wirklich in allen Fällen schutzwürdig ist?"). Mit offenen Fragen lässt sich das Erreichen des Lernziels in den genannten Bereichen wesentlich besser überprüfen, allerdings stellt sich hier das entscheidende Problem, die bewertende Rückkoppelung auf die Eingaben des Nutzers zu automatisieren. Letztlich liegt gerade in diesem Bereich der juristischen Ausbildung ähnlich wie bei der juristischen Kommunikation (nachfolgend unter 4.) die besondere Bedeutung der Präsenzlehre. | Abs. 30 |
4. Juristische Kommunikation |
Ebenfalls an seine Grenzen gelangt das juristische E-Lernen (im oben unter B. definierten Sinn) bei der Vermittlung der Fähigkeit zur juristischen Kommunikation. Im noch weit entfernten Idealfall generiert der Computer selbst juristische Argumente oder Scheinargumente, auf die der Bearbeiter dann eingehen muss, wobei der Computer die Replik seinerseits bewertet. Auch das wäre aber nur "zweite Wahl" im Vergleich zu einem menschlichen Kommunikationspartner, denn die psychologische Komponente bleibt hier außer Betracht. Technisch machbar ist derzeit allenfalls ein Vorrat ("Pool") von zuvor in den Computer eingegebenen Argumenten und Gegenargumenten, aus denen der Computer zunächst nach dem Zufallsprinzip bestimmte Argumente auswählt, auf die der Nutzer dann eingehen muss. Eine automatisierte Kontrolle der anschließenden Replik des Nutzers erscheint freilich ausgeschlossen. Der Nutzer wird sich damit begnügen müssen, dass ihm auf Mausklick eine Musterreplik gezeigt wird, die er selbst mit seiner eigenen Antwort zu vergleichen hat. | Abs. 31 |
Sinnvoller erscheint es unter den gegebenen Umständen, den Computer im Rahmen der juristischen Kommunikation zunächst lediglich als Vehikel für die Kommunikation (also als Kommunikationsmittel) der Lernenden untereinander oder mit dem Lehrenden einzusetzen, z.B. im Rahmen von geschlossenen oder offenen Diskussionsforen. Die Professur des Verfassers nutzt diese Möglichkeit zur Unterstützung der Veranstaltung "Privatrecht für Wirtschaftswissenschaftler" durch zwei (nicht-öffentliche) Foren, eines für die Kommunikation der Studierenden mit der Professur und eines für die Kommunikation der Studierenden untereinander (unter Anleitung erfahrener Kommilitonen aus älteren Jahrgängen). | Abs. 32 |
E. Realisierungsbeispiele aus dem eigenen Angebot des Verfassers |
Das juristische E-Lern-Angebot der Professur des Verfassers befindet sich auf der universitätsweiten "Open-Source"-E-Lern-Plattform ILIAS.(21) Es richtet sich primär an Studierende der Wirtschaftswissenschaften, dürfte aber auch von Studierenden der Rechtswissenschaft mit Gewinn genutzt werden können. Es hat sich bislang punktuell entsprechend dem Bedarf und den zur Verfügung stehenden technischen und personellen Möglichkeiten ohne geschlossenes didaktisches Gesamtkonzept, also intuitiv entwickelt. Vorgestellt werden nachfolgend jeweils zwei Angebote zur Vermittlung juristischer Handlungskompetenzen (I.) und zur Vermittlung juristischer Kenntnisse (II.). | Abs. 33 |
I. Vermittlung juristischer Handlungskompetenzen |
Bild 1 größer | Abs. 34 |
1. Methodisch orientiertes Falltraining |
Das "methodische Falltraining"(22) (nachfolgend: "Brötchenfall", Bild 1) befindet sich in der Kategorie "Juristische Methodik". Es versteht sich als "Anleitung zur juristischen Denkweise" und nimmt eine Bearbeitungszeit von ca. 90 Minuten in Anspruch, wobei Unterbrechungen möglich sind. Das Konzept besteht darin, den Gedankenablauf einer juristischen Aufgabe am Beispiel eines denkbar einfachsten (zivilrechtlichen) Sachverhalts ohne rechtliche Probleme aus dem Bereich des Vertragsrechts (A kauft Brötchen bei B, bezahlt sie und verlangt nun Herausgabe der Ware. Zu Recht ?) von der Fragestellung bis zum Endergebnis anhand der Denktechnik des absteigenden Syllogismus (siehe oben B.II.2.) als möglichst lückenlose Kette quasi "mit der Lupe" zu präsentieren. Die Interaktivität des Moduls ist noch sehr beschränkt, was z.T. in der (im Übrigen ganz überwiegend positiven) studentischen Bewertung zum Ausdruck kommt. | Abs. 35 |
Durch die extreme Verdichtung des Gedankenablaufs - allein das "Drehbuch" umfasst ca. 20 Manuskriptseiten - sollen die Studierenden erkennen, wie sich der Aufbau der Prüfung beinahe von selbst ergibt, indem sie ausgehend von der Fallfrage und dem passenden Obersatz einen Gedanken an den anderen reihen. Dadurch sollen sie für komplexere Aufgaben geschult werden, bei denen das Ergebnis nicht von vornherein auf der Hand liegt. Die Falllösung im "Brötchenfall" baut sich mit jedem "Klick" des Nutzers einen Schritt weiter auf dem Bildschirm auf, wobei der Nutzer versuchen sollte, die jeweils nächsten Schritte zu antizipieren bzw. die ihm vom System gestellten Fragen zu beantworten. Dies setzt freilich ein Maß an Selbstdisziplin voraus, das nicht alle Nutzer aufbringen. Zusätzlich gibt es Verweisungen auf weiterführende bzw. erklärende Informationen, die bei Bedarf angeklickt werden können. Gestalterisch abgerundet wird das Angebot durch einige "Flash"-Animationen, die in der Evaluation z.T. auch honoriert wurden. Beispielsweise erscheint der Sachverhalt am Anfang dynamisch und hörbar ("tack, tack, tack...") wie von einer Schreibmaschine geschrieben auf dem Bildschirm. | Abs. 36 |
Bild 2 größer | Abs. 37 |
2. Praktisch orientiertes Klausurtraining |
Im Klausurtraining "Studienerfolg durch Lexika"(23) (Bild 2) wird der Nutzer Schritt für Schritt zur praxistauglichen Lösung eines Original-Klausurfalles aus der Abschlussklausur zur Vorlesung "Privatrecht für Wirtschaftswissenschaftler" im BWL/VWL-Vordiplom angeleitet, deren Schwierigkeitsgrad in etwa den Klausuren zu den kleinen Scheinen in der Juristenausbildung entsprechen dürfte . Der Sachverhalt des "Lexikonfalls" ist wesentlich komplexer als der "Brötchenfall", dafür wird die Lösung nicht "mit der Lupe" einer bis ins Kleinste lückenlosen Gedankenkette, sondern "eins zu eins", also mit derjenigen Argumentationsdichte dargestellt, die von den Studenten in der Klausur auch erwartet wird. Eingeflossen in die didaktische Aufbereitung sind die Erfahrungen aus der Korrektur der Originalklausur. Hilfestellungen in Form von Fragen und Erläuterungen sollen den Nutzern helfen, den richtigen Lösungsweg zu finden. Dazu werden die Nutzer in der Falllösung von einem virtuellen "Professor Oberschlau" und seinem nicht allwissenden, aber motivierten virtuellen Studenten "Jacob Fragtviel" unterstützt. Während Jacob versucht, die Dinge in studentengerechter Sprache zu erläutern und hin und wieder kleine Denkanstöße zu geben, mischt sich Professor Oberschlau vor allem an Stellen ein, die der besonderen Aufmerksamkeit und Sorgfalt bedürfen oder wo Jacob nicht mehr weiterhelfen kann. | Abs. 38 |
In Bezug auf ihr didaktisches Ziel sind "Brötchenfall" (oben 1.) und "Lexikonfall" gleichermaßen in den Bereich der Vermittlung juristischer Handlungskompetenzen, und dort speziell bei der logischen Gedankenführung (oben D.II.2.) einzuordnen. Beide Kurse bauen aufeinander auf, wobei sie sich in der Größe der dargestellten einzelnen Gedankenschritte unterscheiden. Während der "Lexikonfall" nur diejenigen Gedankenschritte thematisiert, die diskussionswürdig sind und letztlich auch zu Papier gebracht werden sollen, versteht sich der "Brötchenfall" als Grundlegung, die dem Bearbeiter nicht nur aufzeigen will, wie er eine Klausur schreiben soll, sondern bereits im Vorfeld, wie er denken muss, um die richtige Lösung zu ermitteln (und anschließend - ausgedünnt - schriftlich niederzulegen). | Abs. 39 |
Die beiden Kursen zugrunde liegenden didaktischen Konzepte ähneln sich: Im Wesentlichen handelt es sich um den Versuch, Handlungskompetenzen dadurch zu vermitteln, dass dem Nutzer nach und nach (Klick für Klick) dargestellt wird, wie handlungsorientiertes Wissen angewendet wird. Die schrittweise Darstellung soll es dem Nutzer erlauben, jeweils zunächst selbst zu überlegen, welches der folgende Schritt ist, um dann nach dem Klick seine eigene Lösung eigenverantwortlich mit der dargestellten Lösung zu vergleichen. Der "Lexikonfall" ist jünger als der "Brötchenfall" und - nicht zuletzt dank der gestiegenen Experimentierfreude der Professur - interaktiver, was auch in der im Vergleich zum "Brötchenfall" (bisherige Durchschnittsbewertung von 2,0) positiveren studentischen Evaluierung (bisherige Durchschnittsbewertung von 1,7) zum Ausdruck kommt. Er enthält deutlich mehr Hilfestellungen, die der Nutzer bei Bedarf aufrufen kann, ferner Rückmeldungen und Erklärung auf falsche Eingaben. Zusätzlich integriert sind interaktive Wissensabfragen (kurze Multiple-Choice-Tests, Zuordnungsaufgaben). Insofern dient das Modul nebenbei auch der Vermittlung juristischer Kenntnisse. | Abs. 40 |
II. Vermittlung juristischer Kenntnisse |
1. Interaktives Baumdiagramm |
Beim Modul "Leistungsstörungsrecht"(24), das im Wesentlichen in "Flash" programmiert ist, ist die Vermittlung juristischer Kenntnisse in einem inzwischen hochkomplexen Rechtsgebiet primäres Ziel. | Abs. 41 |
Bild 3 größer | Abs. 42 |
Das Angebot besteht aus einem Schaubild in Form eines Baumdiagramms (Bild 3) und einem interaktiven Übungsformular (Bild 4) zur Lernkontrolle. Das Übungsformular gibt einen Ausschnitt aus dem Diagramm wieder, enthält aber teilweise andersfarbige und zugleich leere Kästchen zum Ausfüllen, die bei richtigen Eingaben die Farbe der bereits ausgefüllten Kästchen annehmen. Die Nutzer sollten den Kurs mit dem Schaubild beginnen. Dieses enthält zunächst nur den Oberbegriff "Leistungsstörungsrecht des BGB" und baut dann nach und nach auf Mausklick die untergeordneten Begriffsebenen bzw. die Rechtsfolgen auf. Vor dem Klicken sollten die Nutzer jeweils überlegen, wie sich der betreffende Begriff weiter untergliedern lässt bzw. welche verschiedenen Rechtsfolgen der mit dem Begriff bezeichnete Tatbestand haben kann. Die Programmierung insbesondere des Übungsformulars verursachte erhebliche Probleme, denn die Nutzer sollten so weit wie möglich in die Lage versetzt werden, die Kästchen formal abweichend von dem Ausgangsschaubild auszufüllen, solange die Antworten inhaltlich richtig sind (zu Schwierigkeiten dieser Art siehe schon oben D.I.). Wie sich der im Durchschnitt ebenfalls erfreulichen, wenn auch im Vergleich zu den beiden anderen Kursen etwas abfallenden studentischen Evaluierung ergibt, haben allerdings nicht alle Nutzer verstanden, dass das Lernziel nicht darin besteht, das Baumdiagramm stur auswendig zu lernen. | Abs. 43 |
Bild 4 größer | Abs. 44 |
2. Multiple-Choice-Tests |
Speziell der Wissenabfrage als Ergänzung der Wissensvermittlung (durch Präsenzlehre und E-Lern-Angebote) dienen die erst seit Kurzem freigeschalteten Multiple-Choice-Tests (Bild 5). | Abs. 45 |
Bild 5 größer | Abs. 46 |
Im Gegensatz zu den vorgenannten freiwilligen Kursen handelt es sich hier versuchsweise um ein Angebot, das die Teilnehmer an der Privatrechtsvorlesung 2006/2007 mit einer Erfolgsquote von mindestens 60 % absolvieren mussten, um für das Herunterladen der neuesten Teile des vorlesungsbegleitenden Skripts freigeschaltet zu werden. Das Skript war in Teile zerlegt, die entsprechend dem Vorlesungsfortschritt elektronisch bereitgestellt wurden. Die Multiple-Choice-Fragen beziehen sich jeweils auf den vorangegangenen Teil des Skripts. Die Resonanz der Studierenden auf dieses Angebot, das sie beliebig oft absolvieren konnten, war positiv. Die meisten derjenigen, die sich die Mühe gemacht hatten, das Evaluierungsformular auszufüllen, fanden die Idee des "Pflichttests" sehr gut. In diesem Umfang durchaus überraschend beurteilten sie auch den Lerneffekt der Wissenskontrolle als "sehr gut", obgleich die Mehrzahl angab, keine Hilfsmittel verwendet zu haben. Die Professur sammelte dabei ebenfalls wertvolle Erfahrungen im Umgang mit Multiple-Choice-Tests (MC-Tests). Die Kunst besteht darin, die Fragetechnik, die angebotenen Antwortoptionen und die Auswertung so weit zu perfektionieren, dass das Testergebnis nicht nur Kenntnisse, sondern auch Handlungskompetenzen reflektiert. Eine besondere Herausforderung besteht darin, "Zufallstreffer" durch geeignetes Nachfragen zu den Gründen der vorausgegangenen Antwort so weit wie möglich auszuschließen. Ein Abgleich der Einzelergebnisse der Studierenden bei der (im Wesentlichen als Fallaufgabe gestalteten) Abschlussklausur zur Vorlesung mit den von der E-Lern-Plattform automatisch erstellten Auswertungsstatistiken der MC-Tests ergab auf den ersten Blick keine erkennbare Korrelationen, d.h. Studierende mit guten Klausurnoten hatten die Tests nicht merkbar besser bestanden als ihre Kommiliton(inn)en mit schlechteren Klausurnoten. Dies kann mit den unterschiedlichen Anforderungsprofilen der MC-Tests und der Klausur, aber auch mit den unterschiedlichen Prüfungszeitpunkten und vielleicht sogar mit dem Lehreffekt des Testmoduls zusammenhängen. Immerhin ließ sich feststellen, dass die meisten der Studierenden, die die Klausur nicht bestanden haben, zuvor an den Tests gar nicht regelmäßig teilgenommen hatten. Ob sie damit gleichzeitig auf das Skript verzichtet oder ob sie sich das Skript von Kommiliton(inn)en besorgt hatten, bleibt offen. | Abs. 47 |
Zusammenfassung und Ausblick |
Die theoretischen Grundlagen des juristischen E-Lehrens und -Lernens liegen noch weitgehend im Dunkeln. Eine genauere Erforschung der Möglichkeiten und Grenzen des Computereinsatzes in der juristischen Ausbildung zur zielgerichteten Unterstützung der Präsenzlehre könnte sich lohnen, nicht zuletzt im Zeichen von Massenveranstaltungen sowie der mittelfristig zu befürchtenden(25) Einführung von "Bachelor"- und "Master"-Abschlüssen auch in der Juristenausbildung auf und der damit verbundenen Verschulung und Mehrbelastung des Lehr- und Prüfungspersonals. In dem Maße, wie die Anwendung des Rechts (mit Verständnis) das Hauptziel der juristischen Ausbildung darstellt, besteht ein enger Zusammenhang zwischen juristischem E-Lernen und rechnerunterstützter Rechtsanwendung, einem der Betrachtungsgegenstände der Rechtsinformatik. | Abs. 48 |
Eine erste, die Zusammenhänge zugegebenermaßen noch stark vereinfachende
Gegenüberstellung der Anforderungen an die juristische Didaktik mit den
didaktische Möglichkeiten des E-Lernens hat - kaum überraschend -
ergeben, dass die rechnerunterstützte juristische Lehre ihre Stärken
bislang vor allem bei der Wissensvermittlung aufweist. Bei der Vermittlung
juristischer Handlungskompetenzen, also bei der Analyse und logischen
Gedankenführung und noch mehr im wertend-induktiven Bereich sowie bei den
sozial-kommunikativen Fähigkeiten, stößt die E-Lehre nach dem
gegenwärtigen Stand der Technik schnell an ihre Grenzen. Umso größer
ist die Herausforderung, gerade hier Fortschritte durch Ausarbeitung eines
theoretischen Fundaments zu erzielen. Eine interdisziplinäre
Zusammenarbeit von Juristen mit Pädagogen, Informatikern und
Mathematikern(26) bietet sich dazu an.
| JurPC Web-Dok. 160/2007, Abs. 49 |
Fußnoten:* Professor für Bürgerliches Recht, Handels-, Gesellschafts-, Wirtschafts- und Steuerrecht an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg, zugl. Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht.** Der Aufsatz ist eine veränderte, speziell auf die juristische Leserschaft abgestellte Fassung des diesjährigen Beitrags des Verf. in UNIForschung (Forschungsmagazin der Helmut-Schmidt-Universität), 17. Jg., Ausgabe 2007; S. 62 ff. (1) Siehe z.B. die "Saarheimer Fälle" (mit verlinkten Muster-Lösungen) aus dem Bereich des öffentlichen Rechts, die sich in der fiktiven saarländischen Stadt "Saarheim" abspielen (http://www.saarheim.de/); ferner das Programm des Jenaer Jura-Trainers (http://jura-trainer.de/lernprogramm/index.html) zum Zivilrecht, Öffentlichen Recht und Strafrecht, das sich im Wesentlichen auf die (stichwortartige) Darstellung des Stoffs beschränkt und auf Animationen verzichtet. (2) http://www.mootcourt.de/. Siehe hierzu Barton/Berenbrink/Freund, Virtueller MootCourt, Jura 2002, 641, http://www.degruyter.de/journals/jura/pdf/24_641.pdf (Abruf vom 15.9.2007). (3) Die Eingangsseite zum juristischen E-Lern-Angebot des Verf. findet sich unter http://iliascluster.unibw-hamburg.de/ ilias3/goto_unibw_cat_68.html. Siehe ferner die Beschreibung unten unter E. (4) Vgl. das ähnliche Begriffsverständnis bei Hilgendorf, Juristenausbildung und neue Medien, JZ 2005, 365, 367. Auf die Systemunabhängigkeit und Austauschbarkeit der Lernkurse, die teilweise für "E-Lernen" gefordert wird (Stangl, eLearning, E-Learning, Blended Learning, http://www.stangl-taller.at/ ARBEITSBLAETTER/LERNEN/Elearning.shtml, Abruf vom 15.9.2007), kommt es hier nicht an. (5) Der Beitrag bezieht sich selbstverständlich auf weibliche und männliche Nutzer (Bearbeiter, Studenten etc.) gleichermaßen. Im Interesse der Verständlichkeit des Textes wird nachfolgend auf eine geschlechtsdifferenzierende Formulierung ("Nutzerinnen und Nutzer" etc.) verzichtet. (6) Die "scharfe" Version dieser Lernkontrolle ist die elektronische Prüfung, an deren Qualität besondere rechtliche Anforderungen bestehen. Aus der reichhaltigen Rechtsprechung siehe z.B. BVerwG 19.5.2005 - 6 C 14/04, BVerwGE 123, 362; BVerfG 17.4.1991 - 1 BvR 1529/84 u.a., BVerfGE 84, 59; jüngst VG Leipzig Beschl. 11.1.2007 - 4 K 1054/06. (7) Siehe z.B. § 2 Abs. 1 der Hamburger Juristenausbildungsordnung (JAO) v. 10.7.1972. (8) Der Wert von sog. "Aufbauschemata" zur Prüfungsreihenfolge im juristischen Gutachten, die bei Studierenden äußerst beliebt sind, ist sehr beschränkt. Diese Schemata beziehen sich in der Regel auf "Klausurtypen" und versagen, wenn die Klausur von diesem Typus abweicht. Gefährlich ist das dann, wenn der Studierende die Abweichung nicht bemerkt. Da sich der richtige Aufbau immer logisch aus der Fallfrage ableiten lässt, ist es besser, wenn der Aufbau nicht in Form von Schemata "auswendig" gelernt, sondern als Fertigkeit trainiert wird. (9) Z.B. BGH 24.5.2005 - IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134. (10) Zur Kritik am "Cultus des Logischen" (von Jhering) der sog. Begriffsjurisprudenz und dazu, dass diese Kritik der Erkenntnis vom (im Ausgangspunkt) deduktiven Charakter der Rechtsfindung nicht entgegen steht, siehe z.B. Schuhr, Rechtsdogmatik als Wissenschaft, 2006, S. 46, Fn. 86, m.w.N. (11) http://fhh.hamburg.de/stadt/Aktuell/justiz/gerichte/ oberlandesgericht/richtereinstellung/start.html [Abruf v. 15.9.2007]. (12) Eine philosophische Stütze findet diese im Übrigen soziologisch-psychologische Sichtweise in der "Konsenstheorie der Wahrheit"; siehe z.B. Habermas, Wahrheitstheorien, FS Schulz, 1973, S. 211, 219. (13) Besonders deutlich Wiethölter, Privatrecht als Gesellschaftstheorie? Bemerkungen zur Logik der ordnungspolitischen Rechtslehre, in: FS L. Raiser (1974), S. 645, 649: Die Entscheidungsjurisprudenz (als Ausdruck und Folge einer politischen Verfügbarkeit von Recht) sei "in ihrem Kern pragmatisch und dogmatisch orientierte, topisch-rhetorisch-konsensstrategisch wirkende Problemanschauung von Juristen in Fachsprache". Sie sei in Deutschland die 'herrschende Meinung'". Siehe ferner z.B. Launhardt, Topik und Rhetorische Rechtstheorie: eine Untersuchung zu Rezeption und Relevanz der Rechtstheorie Theodor Viehwegs, Diss. Düsseldorf 2005, Abschnitt: "Topik und Rhetorik: Überredung versus Überzeugung?", S. 61 - 67, m.w.N.; grundlegend Viehweg, Notizen zu einer rhetorischen Argumentationstheorie der Rechtsdisziplinen, in: Jahrbuch für Rechtstheorie und Rechtssoziologie, Bd. 2, 1972, 439 ff. (14) BVerfG Beschl. 16.6.1995 - 2 BvR 382/95, NJW-RR 1995, 1033, unter IV.2. (15) Vgl. den Begriff der "Textform" gemäß § 126a BGB: "auf ... zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeignete Weise". (16) Selbst diese simple Frage schafft gewisse Programmierungsprobleme, denn die Antwort ist zwar inhaltlich, nicht aber von der Darstellung her eindeutig. Möglich sind z.B. "§ 93 AktG" oder einfach "§ 93", besser ist aber "§ 93 II 2", "§ 93 Abs. 2 Satz 2" oder auch "§ 92 Absatz 2 S. 2" etc.. Das Programmproblem lässt sich durch genaue Eingabeinstruktionen für den Nutzer lösen (z.B. Absätze als römische Zahlen darstellen etc.). Häufig passiert es aber, dass der Nutzer diese Instruktionen nicht genau liest. Gibt er dann eine inhaltlich richtige Antwort im "falschen" Format ein und erhält daher eine Fehlermeldung, ist die Frustration vorprogrammiert. (17) BGH 26.11.1968 - VI ZR 212/66, BGHZ 51, 91 ("Hühnerpest"). (18) BGH 27.3.1969 - X ZB 15/67, BGHZ 52, 74 ("Rote Taube"). (19) Vgl. § 3 I BVerfGG: Danach muss man mindestens 40 Jahre alt sein, um zum Richter am BVerfG gewählt werden zu können. (20) So OLG Stuttgart 22.1.2007 - 10 U 189/06, WM 2007, 593; hierzu kritisch Reiner/Pech, EWiR § 280 BGB 1/07, 323 f. (21) http://www.hsu-hh.de/ilias/. (22) http://iliascluster.unibw-hamburg.de/ ilias3/goto.php?target=pg_23239_1551&client_id=unibw. (23) http://iliascluster.unibw-hamburg.de/ ilias3/goto.php?target=pg_41311_10114&client_id=unibw. (24) http://iliascluster.unibw-hamburg.de/ ilias3/goto.php?target=pg_34497_5269&client_id=unibw. (25) Siehe stellvertretend für die immer stärker vernehmbaren Befürworter Jeep, Bologna: Stärken bewahren, Chancen nutzen, JZ 2006, 459 ff., u.a. mit der üblichen Internationalisierungs- und Isolierungsrhetorik ("europäische Kraft des Faktischen"). (26) Zu den Zusammenhängen zwischen Recht und Mathematik siehe z.B. Schuhr (Fn. 10#), S. 14 ff., 45 f., 67 ff.164 ff.; Meusnier, Nicolas, neveu exemplaire, Journ@l electronique d'Histoire des Probabilites et de la Statistique, Vol.2, nDEG1. Juin/June 2006, S. 1 ff., m.w.N. |
* Der Autor ist Professor für Bürgerliches Recht, Handels-, Gesellschafts-, Wirtschafts- und Steuerrecht an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg, zugl. Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht. |
[ online seit: 16.10.2007 ] |
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
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Zitiervorschlag: Reiner, Günter, Juristische Didaktik und E-Lernen: theoretische Konzeption und Anwendungsbeispiele - JurPC-Web-Dok. 0160/2007 |