Dieter Höbbel *Ausstattung der Familienrichter mit EDV als Bedingung für die Bewältigung hoher Pensen? (1)JurPC Web-Dok. 29/2007, Abs. 1 - 74 |
Viele Familienrichter(2)sind der Ansicht, ihre Belastung sei in den letzten Jahren so gestiegen, dass die Zumutbarkeitsgrenze erreicht, wenn nicht sogar überschritten sei. In dieser Einschätzung werden sie von den Richterverbänden unterstützt. Die Justizverwaltungen der 16 Bundesländer berühren dieses Thema nicht gern und sind nicht selten - in der Regel unausgesprochen - anderer Meinung. Sie verweisen auf eine Erhöhung der Zahl der in Familiensachen tätigen Richter. Dass damit indessen die Erhöhung der Zahl der Eingänge nicht aufgewogen wird, beweist ein Blick auf die allgemein zugänglichen Zählkartenstatistiken:(3) | JurPC Web-Dok. 29/2007, Abs. 1 |
| Abs. 2 |
Die Zahl der Eingänge ist also von 1994 bis 2004 um 19% gestiegen, die Zahl der Richter aber nur um 11%. Daher stieg die Zahl der Eingänge pro Richter von 1994 bis 2003 konstant. Sie ging 2004 auf hohem Niveau etwas zurück. | Abs. 3 |
| Abs. 4 |
Bislang konnten die Familienrichter in ihren Erledigungen allerdings mit diesen gestiegenen Eingängen Schritt halten. Ein weiterer Blick auf die bundesweite Zählkartenstatistik zeigt, dass die Erledigungszahlen pro Richter in den vergangenen Jahren eher leicht über den Eingangszahlen gelegen haben: | Abs. 5 |
| Abs. 6 |
Die Familienrichter haben - offensichtlich als Folge der ständig gestiegenen Eingangszahlen - die Erledigungsquote von Jahr zu Jahr gesteigert! | Abs. 7 |
Ein im Jahre 2004 tätiger Familienrichter hat 19 % , also fast ein Fünftel, mehr erledigt als sein im Jahre 1994 tätiger Kollege. | Abs. 8 |
Noch deutlicher zeigen das die folgenden Zahlen für Niedersachsen auf: | Abs. 9 |
| Abs. 10 |
Die niedersächsischen Familienrichter haben also von Jahr zu Jahr die "Schlagzahl" erhöht, um die erhöhten Eingangszahlen zu bewältigen. Ein niedersächsischer Richter des Jahres 1991 erledigte 349 Verfahren, der des Jahres 2004 aber 476 Verfahren, also 36% mehr. Gewichtet man die Erledigungen nach dem jedem Praktiker bekannten seinerzeit gültigen Pensenschlüssel(4), so erledigte der Richter des Jahres 2004 ein um 34 % größeres Pensum als sein 13 Jahre früher tätiger Kollege. | Abs. 11 |
| Abs. 12 |
Einer der Gründe für dieses Phänomen ist sicherlich die bei allen Richtern zu beobachtende Tatsache, dass sie wegen nicht festgelegter Arbeitszeiten eine erhöhte Erledigungsverantwortung haben. Eine nicht unerhebliche Rolle dürfte auch spielen, dass die Erledigungsquote für richterliche Beurteilungen immer noch hochrangig bedeutsam ist. Nach der Erfahrung des Verfassers(5)kommt in Familiensachen noch eine Besonderheit hinzu: Gerade Familienrichter sind engagiert, verantwortungsvoll und haben eine enge emotionale Beziehung zu ihrer Arbeit. Sie pflegen intensiven direkten Kontakt zu den Parteien und wissen, wie sehr diesen an einer Erledigung ihrer Familiensache liegt. | Abs. 13 |
Ob daneben - oder möglicherweise vorrangig - noch andere Gründe für die bisherige Entwicklung verantwortlich sind, soll anhand der Erledigungsquoten pro Richter in den verschiedenen Bundesländern weiter untersucht werden. Diese nicht aus den Zählkartenstatistiken ersichtlichen Zahlen wurden dem Verfasser auf Anfrage von allen 16 Landesjustizministerien mitgeteilt allerdings unter der Auflage, die in diesem Beitrag auf die Richterzahlen bezogenen Ergebnisse zu anonymisieren. Der Name der Bundesländer wurde daher in den folgenden Tabellen gegen Buchstaben ausgetauscht, die keine "Reanonymisierung" ermöglichen. Das verschlechtert zwar die Lesbarkeit , ändert aber nichts an den Grundaussagen dieses Beitrages. Niedersachsen hat einer Offenlegung zugestimmt. Es ist das Land D. | Abs. 14 |
Die nachfolgende Tabelle zeigt, wie viele Verfahren (Ehesachen + isolierte Familiensachen) ein Familienrichter im Jahre 2004 erledigte. | Abs. 15 |
| Abs. 16 |
Die großen Unterschiede überraschen. Im Bundesland D wurden pro Richter 27% mehr Verfahren erledigt als im Bundesland C. | Abs. 17 |
| Abs. 18 |
Es dürfte auch für die Landesjustizverwaltungen von hohem Interesse sein, hier nach den Gründen zu suchen. Würden im Bundesland C pro F-Richter genauso viele Verfahren erledigt wie im Bundesland D, könnten dort 27% der Familienrichter zur Entlastung anderer Bereiche, insbesondere zur Beschleunigung von Strafsachen mit angeordneter Untersuchungshaft eingesetzt werden. Wenn alle Familienrichter in Deutschland genauso viel Verfahren erledigen würden wie im Bundesland D, könnten 11% der Familienrichter (=150 Stellen) für die Entlastung anderer Bereiche eingesetzt werden. Jedenfalls ein Teil des Potentials könnte auch genutzt werden, um den Familienrichtern eine noch sorgfältigere Arbeit in anderen Verfahren (z.B. Sorge- und Unterhaltsrecht) zu ermöglichen. | Abs. 19 |
Wenn die Richter des Bundeslandes D alle deutschen Familiensachen bearbeiten würden, käme man mit rund 11% weniger Familienrichter = ca. 150 Stellen aus. Diese Feststellung soll kein Plädoyer für die Streichung von Stellen sein. Die Familienrichter könnten mit der ersparten Zeit andere Aufgaben (z.B. Sorgerechtsverfahren) mit mehr Zeitaufwand betreiben. Oder die Richter könnten in anderen Rechtsgebieten eingesetzt werden. | Abs. 20 |
Die Ursache für die stark differierenden Erledigungsquoten kann offensichtlich nicht darin liegen, dass die Richter der einzelnen Bundesländer unterschiedlich fleißig, intelligent oder dezernatserfahren sind. Das könnte höchstens für einen Vergleich innerhalb eines Gerichts oder beim Vergleich zweier Gerichte, nicht aber für den Landesdurchschnitt zutreffen. | Abs. 21 |
Auch ein weiteres nicht selten gehörtes Argument kann das Ergebnis nicht erklären: Die Kollegen würden bei gleichem Streitpotential Verfahrensnummern "schinden", also unnötige Aktenzeichen produzieren. Das könnte höchstens für einzelne Richter oder Gerichte zutreffen, aber nicht für den Durchschnitt aller Richter eines Landes. | Abs. 22 |
Auch wenn man zwischen großen und kleinen Ländern bzw. zwischen alten und neuen Ländern differenziert, ergibt sich - wie die nachfolgende Tabelle zeigt - keine schlüssige Begründung für die Unterschiede bei den Erledigungsquoten(6): | Abs. 23 |
| Abs. 24 |
Die Differenz zwischen großen und kleinen Ländern beträgt nur knapp 2%, diejenige zwischen alten und neuen Ländern 3%. | Abs. 25 |
| Abs. 26 |
Eine weitere Überlegung erweist sich als Trugschluss. Theoretisch hätten die Richter mit den niedrigeren Eingangszahlen mehr Zeit, bereits laufende Verfahren zu erledigen. Wie die nachfolgende Tabelle zeigt, ist in der Praxis jedoch das Verhältnis zwischen Eingängen und Erledigungen proportional: | Abs. 27 |
Je mehr Eingänge ein Richter hat, desto mehr Verfahren erledigt er in der Regel. | Abs. 28 |
| Abs. 29 |
Die Aufstellung zeigt deutlich, dass die Rangfolge der Erledigungszahlen pro Richter zu fast 100 % mit der Rangfolge der Eingangszahlen pro Richter korrespondiert. | Abs. 30 |
Ein Vergleich zwischen den Eingangszahlen und dem Bestand ergibt ein differenziertes Bild: | Abs. 31 |
Der Bestand pro Richter betrug am 31.12.2004 in: | Abs. 32 |
| Abs. 33 |
Es leuchtet ein, dass Richter der Bundesländer O, J, B und C bei den unerledigten Verfahren auf vorderen Rängen liegen, weil sie relativ niedrige Eingänge haben. | Abs. 34 |
Andererseits liegen die Richter der Bundesländer F, L und G auf hinteren Rängen, obwohl sie relativ niedrige Eingänge haben. Und vor allem stellt sich die Frage, warum die Richter der Länder N und D auf vorderen Rängen liegen, obwohl sie relativ hohe Eingänge haben. | Abs. 35 |
| Abs. 36 |
Die unterschiedlichen Zahlen könnten sich durch unterschiedliche Strategien bei der Erledigung der Arbeit, z.B. bei Scheidungsverfahren, ergeben(7). | Abs. 37 |
In einem Scheidungstermin kann ein Richter darauf drängen, dass alle Streitigkeiten (z.B. Umgangsrecht, Kindesunterhalt, Ehegattenunterhalt, Zugewinnausgleich) vor der Scheidung geklärt werden. Dann hat man zwar weniger Aktenzeichen, aber in der Regel weniger Folgestreit(8). Ein Richter kann aber auch sagen: "Das können Sie später regeln." Dann hat man mehr Aktenzeichen und eine geringere Zahl von Folgesachen pro Scheidung. | Abs. 38 |
Unterstellt man, dass es vorteilhaft ist, wenn ein Richter möglichst viele Folgesachen pro Scheidung erledigt, ergibt sich folgende Rangfolge: | Abs. 39 |
| Abs. 40 |
Die Unterschiede sind schon erstaunlich: Im Bundesland N werden 66,7 % mehr Folgesachen in Scheidungsverfahren erledigt als im Bundesland F. | Abs. 41 |
Es leuchtet ein, dass Länder mit niedrigen Erledigungszahlen relativ viel im Verbund erledigen (weil sie bei gleicher Streitmenge weniger Aktenzeichen haben) und Länder mit hohen Erledigungszahlen relativ wenig. Auffällig sind aber die Ausnahmen: Richter der Bundesländer M, D und P erledigen trotz relativ hoher Erledigungszahlen relativ viel im Verbund. Ihre hohe Erledigungsquote ist also relativ gesehen noch höher einzuschätzen. | Abs. 42 |
Manche "rechtfertigen" niedrige Erledigungszahlen mit der Behauptung, Richter mit höheren Erledigungszahlen würden unsorgfältiger, mit einer geringeren "Arbeitsdichte" arbeiten. Überprüft man diese Behauptung anhand der der Zahl der Berufungen und Beschwerden pro Familienrichter gegen erstinstanzliche Entscheidungen(9), so ergibt sich folgendes Bild: | Abs. 43 |
| Abs. 44 |
Die Zahl der Rechtsmittel ist absolut gesehen erstaunlich gering: bei durchschnittlich 428 Erledigungen pro Richter werden nur 21 Entscheidungen von einer Partei angefochten. Das sind 5 % der Erledigungen. | Abs. 45 |
Die Abweichungen in den einzelnen Bundesländern sind relativ gering. Die Rechtsmittelquote schwankt zwischen 3 % und 6 % der Erledigungszahlen. | Abs. 46 |
Im Übrigen ist zu beachten, dass erfahrungsgemäß die meisten Rechtsmittel zurückgewiesen werden, dass eine Rechtsmittelquote sehr stark vom Anwaltsverhalten abhängig ist, dass nicht selten in zweiter Instanz neuer Sachvortrag erfolgt, und dass selbst beim Stattgeben eines Rechtsmittels das erstinstanzliche Urteil richtig sein kann. | Abs. 47 |
| Abs. 48 |
Kommen wir zu einer weiteren sehr wichtigen Frage: | Abs. 49 |
Dauern Verfahren bei Richtern mit hohen Eingangszahlen wegen des hohen Arbeitsdruckes länger als bei Richtern mit niedrigen Eingangszahlen? Die Antwort soll mit den Zahlen für Scheidungsverfahren gegeben werden(10). | Abs. 50 |
| Abs. 51 |
| Abs. 52 |
Ein Ehepaar muss im Bundesland H 13,8 Monate, ein Ehepaar im Bundesland N aber nur 8,0 Monate auf seine Scheidung warten! | Abs. 53 |
Der Rang 2 für das Bundesland O leuchtet ein, weil es bei den Eingängen nur auf Rang 11 liegt. Ähnliches gilt für die Bundesländer J und C. Aber: Warum liegen die Bundesländer L, F und G trotz relativ niedriger Eingangszahlen auf hinteren Rängen? Und vor allem: Warum liegen die Bundesländer N, P, D und M auf den vordersten Rängen, obwohl sie relativ hohe Eingangszahlen haben? | Abs. 54 |
Die Dauer eines Verfahrens ist für Rechtssuchende höchst bedeutsam. Deshalb sollte jede Landesregierung alarmiert sein und die Verfahrensdauer nicht als unabänderliche Tatsache ansehen, wenn sie diese unterschiedliche Dauer eines Scheidungsverfahrens betrachtet. | Abs. 55 |
Verfahrensdauer und Bestand werden natürlich von Richter zu Richter unterschiedlich sein. Ein erfahrener, gesunder, fleißiger Richter wird eine kürzere Verfahrensdauer haben als ein Dezernatsanfänger, ein kranker oder ein an Arbeitsergebnissen nicht so interessierter Richter. Auf Landesebene müsste sich das ausgleichen. | Abs. 56 |
Die signifikanten Unterschiede zwischen den Ländern lassen sich damit aber nicht erklären. Halten wir jedoch fest: | Abs. 57 |
Die Richter der Länder D und M haben die höchsten Eingänge, sie erledigen am meisten, haben die wenigsten unerledigten Verfahren. Bei Ehescheidungsverfahren erledigen sie relativ viel im Verbund und haben mit die kürzesten Verfahrensdauer aller Länder. Ähnliches gilt für die Richter der Bundesländer N und P. | Abs. 58 |
Das kann doch kein Zufall sein. | Abs. 59 |
Es drängt sich folgende Überlegung auf: | Abs. 60 |
Die unterschiedlichen Leistungen sind in erster Linie mit einer unterschiedlichen Arbeitsweise zu erklären, die durch die abweichenden Rahmenbedingungen in den Bundesländern und vor allem durch die Ausstattung mit EDV beeinflusst wird. | Abs. 61 |
| Abs. 62 |
Die erwähnte Umfrage bei den 16 Landesjustizministerien hat im nichtrichterlichen Dienst der Familiengerichte keine großen Unterschiede ergeben. In praktisch allen Ländern gibt es inzwischen Serviceeinheiten, die die Geschäftsstellen- und Kanzleiarbeiten ganzheitlich erledigen. Fast allen steht EDV zur Verfügung(11). | Abs. 63 |
Ganz anders sieht es offensichtlich im richterlichen Dienst aus. Auf EDV-Gerichtstagen in Saarbrücken, Richterfortbildungsveranstaltungen und bei Einzelkontakten mit Kollegen/innen anderer Bundesländer hat der Verfasser immer wieder erfahren, wie unterschiedlich die richterlichen Arbeitsbedingungen in den Bundesländern sind. In der Regel wissen die Richter nicht, wie in anderen Bundesländern gleichartige Arbeiten erledigt werden. Die richterliche Arbeitswelt endet an der Landesgrenze. Dadurch werden nach Ansicht des Verfassers viele Erfahrungen und Einsparmöglichkeiten verschenkt. | Abs. 64 |
Die Umfrageergebnisse sind nach Ansicht des Verfassers so auszuwerten(12), dass im Jahre 2004 in 4 Bundesländern den Familienrichtern praktisch keine EDV zur Verfügung stand. In 8 Bundesländern konnten die Familienrichter die an sich für den nichtrichterlichen Dienst entwickelte EDV mitbenutzen, also mit Bausteinen Textprodukte herstellen. In 4 Bundesländern konnten die Familienrichter nach vorheriger Dateneingabe automationsunterstützte Entscheidungen (Scheidungsurteile oder Kindschaftsurteile oder PKH Beschlüsse) oder Sitzungsprotokolle incl. sämtlicher Abschriften und Ausfertigungen unterschriftsreif herstellen, also mit einem "Expertensystem" arbeiten. Diese Arbeitsmethode ist vor allem für Dezernatsneulinge oder Familienrichter, die nur mit einem Teil ihrer Arbeitskraft Familiensachen bearbeiten, vorteilhaft. Alle Richter, also auch die erfahrenen, profitieren davon, dass das zeitraubende Diktat sowie das spätere Lesen der von der Kanzlei abgeschriebenen, nicht selten zu korrigierenden Texte entfallen. | Abs. 65 |
Zu den Expertensystemen zählen die Programme FTCAM, FamText und forumSTAR(13). | Abs. 66 |
Bei FTCAM nimmt das System dem Richter die häufig komplizierten und fehlerrelevanten Berechnungen zum Vorsorgungsausgleich ab, erstellt einen ausführlichen Text und integriert diesen automatisch in das Verbundurteil. Wenn einer der Ehegatten oder die Kinder eine ausländische Staatsangehörigkeit haben, "prüft" das System(14)selbständig nahezu sämtliche Rechtsfragen (z.B. Rückverweisung auf deutsches Recht, Scheidungsgründe und Sorgerecht nach ausländischem Recht) und erstellt selbständig einen Urteilsentwurf. | Abs. 67 |
Legt man die Ausstattung mit richterlicher EDV als Maßstab zugrunde, so ergeben sich für 2004 folgende Erledigungszahlen pro Richter: | Abs. 68 |
| Abs. 69 |
Der Umfang der Arbeitsprodukte der Richter wurde also ganz erheblich davon beeinflusst, ob und welche Art der EDV den Richtern zur Verfügung stand. | Abs. 70 |
Schon reine Textprogramme mit Musterverfügungen oder Bausteinen erhöhten die Erledigungszahlen. Den Schub brachte aber die Arbeit mit einem Expertensystem. Denn: Richter/innen, denen ein Expertensystem zur Verfügung stand, erledigten 13 % mehr als diejenigen Richter/innen, die ohne EDV arbeiteten! Das ist eine Feststellung, die die Familienrichter überzeugen soll. Die Justizverwaltung kann die Richter wegen deren Unabhängigkeit zwar nicht anweisen, EDV zu benutzen. Aber dennoch: | Abs. 71 |
| Abs. 72 |
Die Situation wird sich im Jahre 2007 verbessern, weil es dann in sieben Ländern ein Expertensystem geben soll. | Abs. 73 |
Um nicht missverstanden zu werden: Es gibt natürlich neben der EDV zahlreiche
Faktoren, die zu höheren Erledigungsquoten führen. Nach der über 20 jährigen
Erfahrung beim AG Hannover sind das z.B. die durch ständige Treffen geförderte
Zusammenarbeit aller Beteiligten (Richter und nichtrichterlicher Dienst,
Richter und Rechtsanwälte, erste und zweite Instanz) , die "Absprache"
wichtiger Alltagsrechtsfragen (PKH Leitlinien AG Hannover = FamRZ 1996,212;
Streitwerte), keine Übertragung eines Familienrichterdezernats gegen den Willen
eines Richters, vorübergehende Entlastung und Wiedereingliederungsmaßnahmen bei
Krankheit, Kuren, Patenschaften erfahrener Richter für Dezernatsneulinge,
Fortbildung in Dezernatsfragen (Wie lese ich ein Akte? Wie schließe ich einen
Vergleich ab?), Hilfe für EDV Anfänger..... Und damit wären wir wieder beim
Thema.
| JurPC Web-Dok. 29/2007, Abs. 74 |
Fußnoten:(1) Dieser Beitrag ist in einer gekürzten Fassung in Deutsche Richterzeitung 2007,46-47 veröffentlicht worden.(2) Gemeint sind natürlich auch Familienrichterinnen. (3) Die diesem Beitrag zugrundeliegenden Zahlen sind der Fachserie 10 / Reihe 2.2. (Rechtspflege Familiengerichte) des Statistischen Bundesamts für 2004 (www.destatis.de/shop) entnommen. Beim Vergleich mit früheren Jahreszahlen ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Kindschaftsreform im Jahre 1998 zu einer Zuständigkeitserweiterung der Familiengerichte geführt hat. (4) Dieser wurde inzwischen durch Berechnungen nach PEBB§Y abgelöst (www.drb.de). (5) Verfasser war von 1979-2004 Familienrichter am AG Hannover und von 1984-1999 Mitglied des für Beförderungen zuständigen Niedersächsischen Präsidialrats. Er hat zahlreiche Schulungen in Niedersachsen und anderen Bundesländern durchgeführt und hat zusammen mit den anderen 16 Familienrichtern des AG Hannover das inzwischen von praktisch allen niedersächsischen Richtern benutzte sog. FTCAM System entwickelt. Das FTCAM System (www.ftcam.de) besteht aus zwei Teilen. In dem ersten Teil wird dem Richter die Möglichkeit angeboten, mit Hilfe von über 1000 Textmustern und über 7000 Bausteinen Texte zu erstellen. Mit dem zweiten Teil, einem sog. Expertensystem, kann ein Anwender die Daten seines Falles eingeben und der PC stellt dann automationsunterstützte Entscheidungsentwürfe her; vgl. Ausführungen am Ende. FTCAM kann im Gegensatz zu den anderen Programmen von jedermann als Einzelplatzversion benutzt werden. Es ist nur Word 8.0 erforderlich. (6) Die Zahlen für die alten und neuen Bundesländer waren früher sehr unterschiedlich. Im Jahre 1999 erledigte ein Richter in den alten Bundesländern 340 Verfahren, in den neuen Bundesländern 432. Im Jahre 2000 verringerte sich der Abstand auf 395 bzw. 438. Die Erledigungsquoten und die Rangfolgen für die Jahre 1999 und 2000 ähneln den Zahlen für das Jahr 2004. Die neuen Bundesländer hatten wegen der seinerzeitigen niedrigeren Erledigungsquoten der alten Bundesländer bessere Ränge. (7) Eine für Praktiker wichtige Zahl ist die Zahl der Termine pro Scheidung. Sie schwankt zwar erheblich. Sie beträgt im Durchschnitt aller Länder 1,271, im Land F nur 1,178 . im Land H dagegen 1,389. Es ist aber kein Zusammenhang mit der Erledigungsquote ersichtlich, d.h. Länder mit wenigen Terminen pro Scheidung erledigen nicht mehr Verfahren, Länder mit vielen Terminen nicht mehr Verfahren als andere Länder. (8)Um das Nummerschinden zu vermeiden, werden beim AG Hannover nicht Eingänge, sondern Familien (im Turnus) verteilt. Neueingänge in Altfamilien zählen im Turnus nicht. Jeder Richter erhält gleich viele Familien. Mit wievielen Verfahren er deren Streitigkeiten erledigt, ist seine Sache. (9) Von den im Jahre 2004 von den OLGs erledigten Rechtsmitteln 29 357 Verfahren richteten sich 24 180 gegen isolierte Familiensachen, 4 602 gegen Scheidungen und 575 gegen PKH Beschlüsse. (10)Nahezu gleichartige Differenzen ergeben sich, wenn man die durchschnittliche Dauer isolierter Familiensachen miteinander vergleicht. Beim AG Hannover dauerte eine Scheidung 2004 sogar nur 9,4 Monate und 2005 nur 9,3 Monate. Das für Niedersachsen günstige Bild ist also für das AG Hannover noch günstiger. (11)Im Jahr 2004 waren das: Baden-Württemberg: Sijus Fam; Bayern: FamText; Berlin: AULAK; Brandenburg: MEGA; Bremen: BASTA; Hamburg: Sijus Fam; Hessen: EUREKA-Fam; Mecklenburg-Vorpommern: ARGUS; Niedersachsen: EUREKA Fam und FTCAM; Nordrhein-Westfalen: JUDICA und TSJ; Rheinland-Pfalz: MAJA Fam und FTCAM; Saarland: EUREKA Fam und FTCAM; Sachsen: FamJus; Sachsen-Anhalt: EUREKA Fam; Schleswig-Holstein: MegaSAT; Thüringen: MEGA. In Hessen wird FTCAM zum 1.1.2007 eingeführt. (12)Die Einteilungen können nicht offengelegt werden, weil dann ein Rückschluss auf die Länder möglich wäre. Bei der Einteilung wurde das Rechenprogramm Winfam außer Acht gelassen, weil es im Jahre 2004 bei den meisten Ländern zur Verfügung stand - allerdings nicht bei allen Gerichten - , und weil die Rechenergebnisse nicht immer in die Urteile eingefügt werden konnten. (13)das 2007 in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen eingeführt werden soll. (14)z.Zt. bei 83 Staaten |
* Der Verfasser, VizePräsAG a.D. AG Hannover, Dieter Höbbel war von 1979-2004 Familienrichter am AG Hannover und von 1989-2002 Vorsitzender der EDV Kommission des Niedersächsischen Richterbundes. |
[ online seit: 27.02.2007 ] |
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs. |
Zitiervorschlag: Höbbel, Dieter, Ausstattung der Familienrichter mit EDV als Bedingung für die Bewältigung hoher Pensen? - JurPC-Web-Dok. 0029/2007 |