JurPC Web-Dok. 258/2004 - DOI 10.7328/jurpcb/20041910206

Lars Jaeschke*

Produktpiraten sollen Schiffbruch erleiden
Neue EU-Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums

JurPC Web-Dok. 258/2004, Abs. 1 - 9


Kürzlich hat das Europäische Parlament eine neue Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (Richtlinie 2004/48/EG vom 29. April 2004, Online-Fundstelle der berichtigten Fassung: http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/2004/l_195/l_19520040602de00160025.pdf) verabschiedet. Richtlinien sind Rahmengesetze der EU; sie stellen eine politische Forderung der Gemeinschaft auf, die von den Parlamenten der Mitgliedstaaten innerhalb einer gesetzten Frist in nationales Recht umgesetzt werden muss. Hierfür ist vorliegend ein Zeitraum von 2 Jahren vorgesehen. Danach wird es für Inhaber von Schutzrechten (Marken-, Patent- und Urheberrechten) einfacher, sich gegen unberechtigte Nachahmungen ihrer Produkte zur Wehr zu setzen.

JurPC Web-Dok.
258/2004, Abs. 1
Der Schutz geistigen Eigentums soll Erfinder oder Schöpfer in die Lage versetzen, einen rechtmäßigen Gewinn aus ihren Erfindungen oder Werkschöpfungen zu ziehen. Die Unterschiede zwischen den Regelungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums beeinträchtigen derzeit noch das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und verhindern, dass die bestehenden Rechte des geistigen Eigentums überall in der Gemeinschaft in demselben Grad geschützt sind. Diese Situation wirkt sich nachteilig auf die Freizügigkeit im Binnenmarkt aus und behindert die Entstehung eines Umfelds, das einen gesunden Wettbewerb begünstigt. Abs. 2
Mit der neuen Richtlinie sollen die Rechtsvorschriften einander angenähert werden, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten. Die neue Richtlinie wurde noch rechtzeitig kurz vor der EU-Osterweiterung verabschiedet, um Verzögerungen durch weitere Verhandlungen zu vermeiden. Alledings hatte dies zur Folge, dass eine Reihe von Vorschriften, die die Produktpiraterie noch wirksamer bekämpft hätten, aus der Endfassung der Richtlinie gestrichen oder entschärft wurden. Allerdings sind die Mitgliedstaaten nicht gehindert, die Bestimmungen der Richtlinie bei Bedarf zu innerstaatlichen Zwecken auszuweiten. Abs. 3
Das festgelegte Schutzniveau darf aber nicht unterschritten werden. Die Richtlinie betrifft die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die erforderlich sind, um die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sicherzustellen. Im Sinne der Richtlinie umfasst der Begriff "Rechte des geistigen Eigentums" dabei auch die gewerblichen Schutzrechte. Zur Beantragung der nach der Richtlinie möglichen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe befugt sind die Inhaber der Rechte des geistigen Eigentums, die Personen, die zur Nutzung solcher Rechte befugt sind, Verwertungsgesellschaften und Berufsorganisationen. Die Richtlinie beeinhaltet eine Inhaber bzw. Urhebervermutung. Damit der Urheber eines Werkes der Literatur und Kunst mangels Gegenbeweises als solcher gilt und infolgedessen Verletzungsverfahren anstrengen kann, genügt es danach, dass sein Name in der üblichen Weise auf dem Werkstück angegeben ist. Diese Bestimmung gilt entsprechend für Inhaber von dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten in Bezug auf ihre Schutzgegenstände. Abs. 4
Maßnahmen zur Beweissicherung im Einzelfall können die ausführliche Beschreibung mit oder ohne Einbehaltung von Mustern oder die dingliche Beschlagnahme der rechtsverletzenden Ware sowie gegebenenfalls der für die Herstellung und/oder den Vertrieb dieser Waren notwendigen Werkstoffe und Geräte und der zugehörigen Unterlagen umfassen. Die Mitgliedstaaten können Maßnahmen zum Schutz der Identität von Zeugen ergreifen. Sie haben sicherzustellen, dass die zuständigen Gerichte im Zusammenhang mit einem Verfahren wegen Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums auf einen begründeten und die Verhältnismäßigkeit wahrenden Antrag des Klägers hin die notwendigen Anordnungen treffen können. So müssen etwa Auskünfte über den Ursprung und die Vertriebswege von Waren oder Dienstleistungen, die ein Recht des geistigen Eigentums verletzen, von dem Verletzer und/oder jeder anderen Person erteilt werden, die entweder nachweislich rechtsverletzende Ware in gewerblichem Ausmaß in ihrem Besitz hatte oder nachweislich rechtsverletzende Dienstleistungen in gewerblichem Ausmaß in Anspruch nahm, oder nachweislich für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen in gewerblichem Ausmaß erbrachte, sowie nach den Angaben einer in den vorgenannten Alternativen genannten Person an der Herstellung, Erzeugung oder am Vertrieb solcher Waren bzw. an der Erbringung solcher Dienstleistungen beteiligt war. Vorgesehen ist auch, dass auf Antrag des Antragstellers gegen den angeblichen Verletzer eine einstweilige Maßnahme angeordnet werden kann, um eine drohende Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums zu verhindern. Zudem können in geeigneten Fällen Zwangsgelder verhängt werden und die Fortsetzung vom Rechtsverletzungen untersagt oder die Stellung von Sicherheiten verlangt werden, die die Entschädigung des Rechtsinhabers sicherstellen sollen. Eine einstweilige Maßnahme kann unter den gleichen Voraussetzungen auch gegen eine Mittelsperson angeordnet werden, deren Dienste von einem Dritten zwecks Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums in Anspruch genommen werden. Abs. 5
Im Falle von Rechtsverletzungen in gewerblichem Ausmaß müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die zuständigen Gerichte die Möglichkeit haben, die vorsorgliche Beschlagnahme beweglichen und unbeweglichen Vermögens des angeblichen Verletzers einschließlich der Sperrung seiner Bankkonten und der Beschlagnahme sonstiger Vermögenswerte anzuordnen. Dazu muss die geschädigte Partei glaubhaft machen, dass die Erfüllung ihrer Schadensersatzforderung fraglich ist. Zu diesem Zweck können die zuständigen Behörden die Übermittlung von Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen oder einen geeigneten Zugang zu den entsprechenden Unterlagen anordnen. Zu den möglichen Maßnahmen gehören zudem der Rückruf aus den Vertriebswegen, das endgültige Entfernen aus den Vertriebswegen oder die Vernichtung. Die Gerichte sollen anordnen, dass die betreffenden Maßnahmen auf Kosten des Verletzers durchgeführt werden, es sei denn, es werden besondere Gründe geltend gemacht, die dagegen sprechen. Das Verhältnismässigkeitsgebot und die Interessen Dritter sind zu berücksichtigen. Der Verletzer, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm, hat dem Rechtsinhaber zum Ausgleich des von diesem wegen der Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz zu leisten. Abs. 6
Nach den ursprünglichen Plänen der Kommission sollte die Inhaber geistiger Schutzrechte das doppelte dessen fordern können, was ein ordentlicher Lizenznehmer für die Erlaubnis zur Nutzung des Immatrialgüterrechts hätte zahlen müssen. Die geltende Fassung ist einer der eingangs genannten Tribute an die Verabschiedung der Richtlinie noch vor der EU-Osterweiterung. Bei der Festsetzung des Schadensersatzes verfahren die Gerichte danach wie folgt: Sie berücksichtigen alle in Frage kommenden Aspekte, wie die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei und der zu Unrecht erzielten Gewinne des Verletzers, sowie in geeigneten Fällen auch andere als die rein wirtschaftlichen Faktoren, wie den immateriellen Schaden für den Rechtsinhaber. Stattdessen können sie in geeigneten Fällen den Schadensersatz aber auch als Pauschalbetrag festsetzen, und zwar auf der Grundlage von Faktoren wie mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums eingeholt hätte. Abs. 7
Dies entspricht der Rechtslage in Deutschland, wonach der Schadensersatz auch mittels einer Lizenzfiktion und der hierfür zu zahlenden Gebühr berechnet werden kann. Für Fälle, in denen der Verletzer eine Verletzungshandlung vorgenommen hat, ohne dass er dies wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, können die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vorsehen, dass die Gerichte die Herausgabe der Gewinne oder die Zahlung von Schadensersatz anordnen, dessen Höhe im Voraus festgesetzt werden kann. Die Gerichte sollen bei Verfahren wegen Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums auf Antrag des Antragstellers und auf Kosten des Verletzers geeignete Maßnahmen zur Verbreitung von Informationen über die betreffende Entscheidung, einschließlich der Bekanntmachung und der vollständigen oder teilweisen Veröffentlichung, anordnen können. Abs. 8
Die Mitgliedstaaten können andere, den besonderen Umständen angemessene Zusatzmaßnahmen, einschließlich öffentlichkeitswirksamer Anzeigen, vorsehen. Unbeschadet der in dieser Richtlinie vorgesehenen zivil- und verwaltungsrechtlichen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe können die Mitgliedstaaten in Fällen von Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums andere angemessene Sanktionen vorsehen. Die Sanktionierung der Produktpiraterie mit Haft- und Geldstrafen wurde nicht festgelegt, weil Zweifel bestehen, ob strafrechtliche Regelungen Gegenstand einer Binnenmarktregelung sein können.Die Mitgliedstaaten müssen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um der Richtlinie nachzukommen innerhalb von 2 Jahren in Kraft setzen. Jeder Mitgliedstaat hat der Kommission nach drei weitere Jahren, also in fünf Jahren, einen Bericht über die Umsetzung der neuen Richtlinie vorzulegen.
JurPC Web-Dok.
258/2004, Abs. 9
* Dr. iur. Lars Jaeschke ist Rechtsreferendar in Frankfurt am Main.
[online seit: 22.10.2004 ]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Jaeschke, Lars, Produktpiraten sollen Schiffbruch erleiden - JurPC-Web-Dok. 0258/2004